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8

Seitdem ihr Zustand sie veränderte, hatte die Frau angefangen, Matthias auf eine neue Art zu mißbrauchen. Sie verlangte, war sie allein mit ihm in der Wohnung, Pflegedienste von komplizierter und seltsamer Art und genoß dabei das Glück häßlicher Seelen, sich ohne Gefahr despotisch zeigen zu dürfen. Aber einmal, als sie unbedeckt lag und sich von Matthias warme Kompressen auflegen ließ, mit denen sie wieder und wieder unzufrieden war, kehrte die Szene zurück, die sich vor vielen Monaten abgespielt hatte. Der Lehrer kam zeitig nach Hause. Matthias stand, in der Haltung eines aufmerksamen Arztes, über das Bett gebeugt, als jener schon in der Türe erschien.

Es wäre für die Frau vielleicht möglich und gewiß naheliegend gewesen, einfach zu erzählen, sie habe sich in einem Anfall von Schmerzen nicht anders mehr zu helfen gewußt und habe nach Matthias gerufen. Aber sei es, daß ihr diese Lüge nicht genug Sicherheit zu bieten schien, sei es, daß ihre natürliche und noch gesteigerte Bösartigkeit triumphierte, sie griff es anders an. Sie gab sich mit unglaublicher Geschwindigkeit die Haltung eines überrumpelten und beleidigten Weibes und erklärte, daß Matthias, der ohne Zweifel einer gewissen argen, ihr unerklärlichen Lüsternheit und Neugierde seines jungen Herzens folge, bei ihr eingedrungen sei, um sich am Anblick ihres Zustandes zu weiden. Dies geschehe, fügte sie hinzu, nicht zum ersten Mal. Doch wiederholt habe er sich so scheinheilig gebärdet, daß sie ihn nicht durch einen Verrat habe verderben wollen.

Der Lehrer, dem die Sache im Grunde wohl gleichgültig war, begriff, daß es seines Amtes sei, in Zorn zu geraten. Er war bereit, seine Frau unverdächtig zu finden, die allzuoft in hämischer Weise von dem Bauernjungen gesprochen hatte. Und zudem sah er den schweigenden Matthias durchaus in der Haltung eines Schuldigen dastehen, sehr rot, gesenkten Blicks und die Hände krampfhaft ineinander ringend.

Adam fühlte, daß er den jungen Menschen ohne Gefahr schlagen könne, und er trat auf ihn zu. Aber selbst in dem Zustand von Zerknirschung, in dem sich Matthias befand, und obwohl ihn Scham und Trübsal schwächer machten als ein Kind, lähmte er durch seine Gestalt und bessere Art den feigen kleinen Mann, der sich damit begnügte, ihn zu beschimpfen und ihn schließlich auf seine Kammer zu weisen. Die Frau saß halb aufrecht in ihrem Bett und, Gott weiß wie sie es fertig brachte, sie weinte.

Noch ehe er seine Dachkammer betrat, war es Matthias deutlich, daß nun alles zu Ende sei. Er übte keinerlei Kritik an dem Vorgefallenen, er versuchte keineswegs, sich innerlich aufzulehnen. Sein ursprüngliches und allgemeines Sündenbewußtsein übermannte ihn vollends vor diesem Geschehnis, das doch eigentlich nichts bedeutete.

Derart ungeheuerlich stand es vor ihm, daß die vollkommenste äußere Veränderung ihm nur als natürliche Folge erschien. So beargwöhnt, so beschuldigt, so befleckt vermochte er nicht zu bleiben. In solchem Zustand verfolgte man nicht eine begonnene ehrenvolle Laufbahn. Hier war nichts zu vertuschen, nichts zu verbessern.

Es galt zu fliehen. Er würde aus dieser Stadt entfliehen, die seine Schande gesehen hatte, er würde aus der Fürsorge seines Vaters entfliehen, die er nicht länger verdiente … Schon als er seine Stubentür hinter sich schloß, hatte er den Gedanken, sich am kommenden Tage wie gewöhnlich unter seine Klassengenossen einzureihen, wie eine Unmöglichkeit von sich geschoben.

Vieles mochte sich freilich in dem mischen, was ein Entschluß nicht wohl heißen konnte. Vielleicht griff seine Seele aufatmend nach dem schimpflichen Anlaß, schimpflicherem Leiden in diesem Hause zu entgehen, und wahrscheinlich war es auch wieder eine Sehnsucht nach Leiden, womit ihn die Weite verlockte. Es war ihm zu niedrig ergangen, und es war ihm nicht schlecht genug ergangen, wohl lag es so, – und die dumpfe Vorstellung von der entfernten großen, gleichgültigen Stadt, in der er, schlecht zum Kampfe gerüstet, um sein Leben würde zu kämpfen haben, erfüllte ihn mit einem Schauer, dem die Lust nicht fehlte.

Matthias ließ alle Teile seiner Habe, deren er nicht zu bedürfen glaubte, in der Mansarde zurück, nahm seinen Sonntagsanzug in ein Tuch und das Unentbehrlichste in ein Bündel, und ging die Treppe sacht hinunter. Die Nacht würde er im Stadtwalde verbringen und am anderen Tage ganz früh den überflüssigen Anzug zum Trödler tragen … Er ging um zwei Gassen, dann über das Flüßchen und stand unter Bäumen.

Es war eine Mainacht, warm, halbhell vom Monde. Matthias suchte eine versteckte Bank, legte sein Bündel an ihr eines Ende, bettete sich und sah durch Blätter in den milchigen Himmel auf. Schritte kamen, man lachte, man küßte sich, trat zu ihm her. Matthias lag schon mit geschlossenen Augen, er war nahe am Schlummer, er hörte das Mädchen sagen: »Komm fort, da liegt ein Strolch.«

 


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