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13

Im Grunde war Frau Gontard wohl nicht für allzu greifbare Abenteuer geschaffen, die ganz des Geistigen und ganz der Komplikationen ermangelten; sich von einfacher Schönheit dergestalt hinnehmen zu lassen, lag schwerlich in ihrer Natur. Vielleicht hatte sie sich nur aus einer Art von Verpflichtungsgefühl auf dieses Wagnis so hastig eingelassen: dem Verpflichtungsgefühl einer Frau, die so überlegen ist, daß sie sich aus Überlegenheit auch derlei Episoden gestatten muß … Jedenfalls fühlte sie sich erleichtert, ja dankbar und beglückt, als ihr nun immerhin kein ganz gemeiner Lakai, nicht einfach ein stattlicher Tölpel gegenübersaß; und eine halbe Stunde, nachdem Matthias eingetreten war, hielt sie bereits sein Schicksal zart und klug zwischen ihren mütterlichen Händen.

»Mein armer Freund,« sagte sie, »mein armer Freund,« und blickte ihn liebevoll an. Und allerdings war es eine Lust für sie, ihn zu betrachten.

Matthias sah frisch und wohl aus, weil er in seiner Scheu vor Spott sich den reichlichen Mahlzeiten im Dienerzimmer der Villa nicht zu entziehen vermochte. Aber zu robuster Gewöhnlichkeit war keine Anlage in ihm, und der etwas traurige Ernst seiner dunklen Augen dominierte durchaus in seinem Gesicht. Sein feiner Mund, knabenhaft voll noch und weich geschweift, doch keineswegs üppig, sein sanft gebildetes Kinn konnten rühren. Über der weißen, nicht sehr hohen Stirn lagerten die Haare reich und locker in ihrer Schwärze, und daß sie seitlich, nahe den Schläfen, sehr kurz gehalten waren, so kurz daß die Haut durchschimmerte, gab dem idealischen Gesicht einen Rahmen von Korrektheit, der den Eindruck des Zarten und Hilfsbedürftigen nur vertiefte.

Aber viel mehr noch rührte Frau Gontard dieser arme blaue Anzug, den Matthias nun statt seiner Livree trug, dieses Knabengewand, dessen Beinkleider und Ärmel zu kurz und dessen Ellbogen glänzend waren, und dem sie ansah, wie emsig es vor dem Besuche gebürstet worden war. Und hinabgleitend am Ärmel verweilten ihre Augen auf Matthias' Handgelenken, die hervorsahen. Sie waren nicht besonders fein, doch wohl geformt, ohne ein Rückbleibsel jener Entwickelungskrankheiten, die den Kindern der Armen selten erspart sind, und sie setzten sich fort in Händen, die lang und schmal und ebenmäßig erschienen, und die zitterten, während Matthias so unter Frau Gontards Blicken saß …

Sie erhob sich, sie warf mit einem weiten Schwung die losen Ärmel ihres Teekleides zurück und hüllte sein Knabenhaupt in ihre Arme.

Sie blieben lange schweigend. Dann bat sie: »Erzähle mir von dir.« Aber da er wegließ, was er empfand, und nur von dem sprach, was er gesehen hatte, so wurde seine Erzählung dürftig und kurz. Vielleicht wäre er im Stande gewesen, mit weit mehr Farbe zu berichten, auch war es ihm klar, daß sein Leben in manchem Betracht nicht zu den gewöhnlichen zählen könne; dennoch verabsäumte oder verschmähte er, etwas Besonderes daraus zu machen. Auch dieser Frau gegenüber fehlte es ihm an allem Willen, sich selbst ins Licht zu setzen, sie zu bestechen, zu gewinnen. Wohl fühlte er, daß Frau Gontard etwas Anderes sei und daß sie es besser mit ihm meine als die Frauen, die ihn bis heute besessen hatten. Doch auch sie war keine von denen, die, wie sein Blut träumte, wahrhaft den Preis und Wert des Lebens bildeten. Niemals würde er freiwillig, ganz aus sich heraus, an diese Frau gedacht haben.

Dennoch taute etwas auf in ihm, wie er sie so mit Güte reden hörte und in ihre freundlichen und belebten Züge sah; und sein Mitleid, jenes Mitleid, das stets in ihm bereit lag, begann sich auf seine eigene Person zu wenden.

Frau Gontard war keineswegs enttäuscht von dem, was sie vernommen hatte, und sie war lebhaften Geistes genug, selbst etwas daraus zu machen, wenn es an und für sich zu wenig schien. Sie dachte über Matthias nach und verwandelte sich in die Menschen seiner Erzählung, und das Herz wurde ihr groß in der Brust. Sie wußte Matthias Dank für diese Empfindungen, die er ihr verschaffte, und sie gewann ihn aufrichtig lieb in diesen Minuten, selbständig und ohne daß er viel hätte dazutun müssen. Die hellen Augen ihres blassen und scharfzügigen Gesichtes sahen aufmerksam auf eine Stelle der Teedecke nieder, sie hielt Matthias' weiche, kühle Hand in ihrer festen und warmen und sagte von Zeit zu Zeit: »Ein armer, lieber Junge …« Matthias spürte einen schönen, süßen Schmerz in der Brust; er lehnte mit geschlossenen Augen den Kopf fester gegen das Rückenpolster des Sessels.

 


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