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25

Die nervöse Gespanntheit dieses Abends verlor sich, und in ihnen beiden, natürlich, schwächte der empfangene Eindruck sich ab. Doch die wenigen Stunden hatten genügt, ihre Beziehung umzukehren.

Auch früher freilich hatte Matthias seine Freundin von den Frauen zu unterscheiden gewußt, die ihn sonst wohl gesucht hatten. Aber auch sie hatte ihn gesucht … War Lena über jenen gewesen: sie gehörte doch zu ihnen. Nun war alles verändert, nun verlangte sie nicht mehr nach ihm, leise hielt sie ihn von sich ab, – jetzt erst, darum erst liebte er sie. Es war der Zustand, den sein Blut sich ersehnt hatte, und den es so wenig zu ertragen vermochte, wie irgend eines Mannes Blut.

Es wurde ihm schrecklich klar, daß er kein Mittel besitze, diese Frau zur Neigung zu nötigen, wenn sie nicht guten Willens war, ihn gelten zu lassen. Wer schön ist, weiß, daß er schön ist. Aber stets war Matthias dieses Schönsein als etwas äußerst Geringes, ja Mißachtenswertes erschienen. Und im Übrigen war er ein halber Knabe ohne Namen, ohne Gaben, ohne Erziehung, ohne ein vorwärts gerichtetes Wollen, – ein Nichts, wenn man nicht eben gesonnen war, ihn blindlings zu billigen … Matthias hatte bitter viel Zeit zu solchen Überlegungen; er saß nun meist allein bei sich zu Hause.

Nicht als ob Lena sich rauh gegen ihn gezeigt hätte, wenn er bei ihr erschien. Sie war freundlich. Aber sie verbarg nicht ganz, wie wenig er noch für sie bedeutete; ja sie vergaß seine Gegenwart. Während er sprach, stand sie vielleicht plötzlich auf, um etwas an ihrem Schreibtisch zu suchen. Oder sie nahm mit zerstreuter Miene das Hörrohr des Telephonapparates ab … Matthias wurde glühend rot, er verstummte jäh und völlig, mitten in seinen Worten; er schämte sich, daß er überhaupt zu sprechen gewagt hatte.

Was in ihm wehtat und wuchs, war nicht einfaches, unzeitig erwachtes Liebesverlangen. Es war, als flehte er zugleich stumm um sein Leben. Hing nicht die Möglichkeit, sich selber hinfort zu ertragen, sich selber leben zu lassen, davon ab, daß er hier geliebt wurde … Unfähig, den ihm eingepflanzten Widerspruch mit festen Gedanken zu stellen und zu bannen, verlor er sich an ihn.

Vor Lenas gleichgültigem Blick entglitt er sich selbst; sein Mund trocknete aus, das Blut brauste ihm in den Ohren, und seine Hände wurden zu schwach, um sich zu schließen. Er wagte kaum mehr, vor ihr zu reden. Er wagte nicht mehr, ihre Finger zu berühren …

Einmal jedoch, in einem bestimmten Augenblick, da sie sich zurückbeugte, um eine Cigarette in Brand zu setzen, war der Reiz dieser Bewegung, die ihre losen Ärmel hinaufgleiten ließ, übergewaltig für ihn. Wie früher stürzte er nieder, umspannte ihre Füße und bestürmte sie mit wütenden Küssen: »Oh du, du …«

Lena fuhr ihm mit ihrer freien Hand über das Haar, und er spürte, hoffnungslos, an der Art wie diese Hand ihn streichelte, daß Lena auch jetzt zerstreut war und eigentlich nicht an ihn dachte. Nein, so durfte das nicht bleiben, – er mußte fort.

Er wiederholte sich oft dieses: Ich muß fort, aber in Wirklichkeit war er jetzt erst völlig an seinen Zustand geschmiedet. Erst jetzt, da dieser Zustand seinen letzten Schein von Rechtmäßigkeit verloren hatte.

Freilich kam er nicht selten zu Lena mit dem festen Vorsatz, heute nun ein Ende zu machen, oder wenigstens schien ihm dies sein fester Vorsatz zu sein. Er würde ihr sein Schicksal auf die Kniee legen …

Sollte er nun ein Handwerk erlernen, oder durfte er, so spät noch, sich auf einer Schule vervollkommnen, – denn ihm fehlten ja Kenntnisse, und oft erschreckte es ihn selbst, wie in seinem Geiste weite, öde Stellen mit zufälligem Wissen abwechselten. Mochte sie ihm seinen Weg weisen, blind würde er folgen … Aber er sprach niemals.

Zu nichts weiter mehr brachte er es mit Frau Gontard als zu einer angstvollen Konventionalität, die ihm schlecht zu Gesichte stand. Sie bemerkte das wohl nicht. Sie besann sich, vielfach und angestrengt beschäftigt, vielleicht niemals darüber, aus welchen Ursachen, mit welcher Absicht sie diesen ungeschickten, stummen Burschen weiter um sich halte. Wie man in einer Familie von Rang einen überjährten Diener nicht fortschickt, sondern, behält und nach seinem Nutzen nicht frägt …

Einen unnützen Knecht – ganz so nannte sich Matthias in seinen eigenen Gedanken, und er fand es natürlich, daß niemand da war, ihn zu trösten als Lenas alte Magd. Die hatte längst beobachtet, wie es stand. Und einmal kam sie ins Zimmer, trocknete sich an ihrer blauen Schürze die Hände und sagte ohne Scheu, ohne alle Überleitung:

»Das müsse Sie sich nit zu Herze nehme, wenn die gnädig Frau jetzt manchmal so anners is, sie hat alls so ihre Zeite, wo ihr was durch de Kopf geht, 's is scheints widder so was um de Weg.«

Matthias raffte sich zusammen und ging über diesen Zuspruch fort.

Bald aber nahm er dennoch seinen Weg zu der alten Frau: er unterhielt sich mit ihr, ja er suchte sie draußen in ihrer Küche auf und gewann wirklich einigen Trost aus den langen und langsamen Gesprächen. Und wohl stimmte dieses Vertrautwerden mit der Magd zu seinem innersten Zustand, zu der Erniedrigung, die bei ihm Liebe war, und die ihm alle Hoffnung auf fremde Liebe nahm.

Ja, hier bin ich an meinem Platze, hier, dachte er und blickte über den sandgescheuerten Küchentisch hinweg auf die alte Frau, die unter der Wasserleitung Tassen wusch und dabei stoßweis und familiär mit ihm plauderte, als mit Ihresgleichen.

 


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