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22

Es war einige Tage darauf, gegen Abend. Lena kam in Eile. »Adieu,« sagte sie, »verzeih, ich muß weg. Vor einer Premiere kann man ja nicht früh genug im Hause sein … Und etwas wie eine Premiere ist es doch heute.«

Sie schob ihren großgemusterten Schleier bis zu den Augen hinauf und bot Matthias die Wange zum Kuß.

»Ich bin so neidisch auf dich«, sagte er leise.

»Neidisch?«

»Ja … Nun denken schon den ganzen Nachmittag tausend Menschen an dich, und an ihre Freude durch dich.«

Frau Gontard knöpfte an den Handschuhen: »Ach, überschätze das nur nicht«, sagte sie ziemlich obenhin.

Matthias schüttelte eifrig und traurig den Kopf: »Während ich … ich …«

»Aber laß das doch endlich … Sind wir darüber noch immer nicht im Reinen? Mir scheint, du solltest wissen, daß auch du nötig bist, – wie sehr!« fügte sie mit etwas gewollter Wärme hinzu und ließ sich abermals die Wangen küssen, durch den Schleier hindurch dieses Mal …

»Also gescheit sein … Und wie ausgemacht, Rendezvous mit den Andern um viertel nach elf.«

Matthias blickte, allein geblieben, durchs Fenster in den Garten, zwischen dessen alten Bäumen es anfing, dämmerig zu werden. Ja, oft genug hatte sie dergleichen gesagt und oft genug hatte er sich trösten lassen. Doch heute, so schien es ihm, war ihr Ton ein anderer gewesen, unwillig, geärgert beinahe. Möglich zwar, daß er sich heute noch täuschte … Bald jedenfalls würde sie aufhören, an seine Rolle zu glauben …

Fürchtete er sich davor, trachtete er, dies hinauszuschieben? War eine solche Änderung nicht vielmehr alles, was er wünschen mußte? War er, ohne es zu wissen, schon trägen Herzens, schon niederträchtig geworden? Oh, dies alles mußte ein Ende haben, bald, bald!

Eine ach so gewohnte Traurigkeit legte sich ihm in der Stille des Zimmers auf die Brust. Er taugte ja zu nichts, – schon fühlte er dies vertraute Resultat jeder seiner Überlegungen sich nähern. Die geistige Atmosphäre, in die er versetzt worden war, hatte eine Zeit lang die Hoffnung in ihm wachgehalten, es könnte in dieser geistigen Welt doch auch für ihn ein Platz, ein bescheidener Platz, sich angemessen erweisen. Aber nun gestand er sich, einmal mehr, dies sei eine billige Täuschung gewesen. Und um sicher zu gehen, daß er keine Wahrheit vor sich verstecke, sprach er in die Dämmerung hinein: »Ein Bauernjunge bin ich, sonst nichts.«

Er erschrak an einem leichten Geräusch, und fast gleichzeitig hörte er die Stimme der Magd. Sie fragte: »Was brumme Sie da im Finstre, Herrche?«

Matthias war aufgestanden. »So, Sie sind da, Mathilde,« sagte er und zwang sich zum Lachen, »ja, ich bin heute schief gewickelt …«

Sie hörte auf, in der Schublade das Silberzeug zu ordnen. »Was, habe Sie Kummer? Wo denn, erzähle Sie emal …«

Matthias hatte große Lust, einfach hinauszuweinen und seinen Kopf der alten Person an die Brust zu legen, in einem Gefühl des Verwandtseins. Aber gerade dem wollte er nicht nachgeben, nicht Recht geben. So fuhr er nur wie scherzend einmal über ihre Hand und sagte: »Ach, nichts.«

»So, nix? Wie Sie wolle. Aber ich mein' halt alls, Sie sollte was schaffe. Dann käme Sie nit auf trübe Gedanke. Nur is die Sach natürlich die, daß mer heut die feine junge Herre nix mehr lerne laßt. Habe Sie nix studiert?«

Matthias schüttelte den Kopf und schämte sich, daß er die Frau, die ihn für einen müßigen jungen Menschen aus reichem Hause hielt, in dieser Einbildung ließ … Er tat es wohl nicht aus eitler Sorge, sondern weil ihm dunkel bewußt war, ein solcher Anschein der Dinge sei in den Augen ihrer Dienerin würdiger für Frau Lena. Aber auf alle Fälle schämte er sich …

Dennoch hatte ihn das kleine Gespräch ein wenig sicherer gemacht. Er würde wirklich tun, was sie beide meinten, – lernen würde er. Aber er würde einfach nur ein Handwerk lernen, wie es ihm zukam, Schreiner vielleicht … Kunstschreiner. Es würde ganz leicht sein, er mußte nur wollen. Gar keine Gründe gab es dagegen …

Heimlich wußte er es besser, aber er wollte nichts wissen. Mit festen Schritten ging er in dem Mittelraum des großen Zimmers auf und ab, der, wie es Frau Gontards etwas männlichem Geschmack entsprach, von Möbeln ganz frei stand.

Ja, dachte er immer wieder, ich werde Lena bitten, das Geld, das sie mir geschenkt hat, auf diese Weise verwenden zu dürfen – einstweilen. Ich werde lernen, und sein wie die Andern. Und ich werde es bald tun, ich werde es bald tun …

Dann ging er hinüber in sein Pensionat, wechselte die Kleidung und wanderte langsam, denn noch blieb Zeit, durch den sehr milden Spätherbstabend der Stadtmitte zu. Er bot einen geordneten, erfreulichen Anblick, wie er so dahinging. Zu seinem niedrigen, steifen Hute trug er einen in Gehrockform geschnittenen, dunklen Überzieher, der die Gestalt hervorhob, Lackschuhe, und in den graubekleideten Händen ein Rohr, dessen Knauf aus tief getöntem Halbedelstein bestand – ein Geschenk Lenas. Die Frauen, denen er begegnete, suchten seine Augen, einige drehten sich nach ihm um, elegante Männer streiften ihn mit gelassener Anerkennung im Blick als Ihresgleichen, und manche der vom Bureau heimkehrenden jungen Kaufleute fühlten noch bis zur nächsten Straßenecke einen kleinen, schmerzenden Neid in der Brust.

Matthias ging und gewahrte niemand. Er sah sich mit aufgestreiften Hemdärmeln in einer nach Leim riechenden Werkstatt, und er strengte sich an, dieses Bild festzuhalten; er blickte darauf hin, wie auf ein gelobtes Land, das er nicht erreichen würde. Warum aber nicht, warum denn nicht? Erstaunt und grübelnd blieb er mitten auf einem überfüllten Trottoir stehen. Er wußte sich keine Antwort. Schließlich konnte es kein ausschweifender Wunsch heißen, den er da hegte …

Er gelangte vor das Theater, aus dessen wimmelnden Türen ein Klingelzeichen kam.

 


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