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15

Er stellte sich nun an jedem Sonntag bei ihr ein und mehrere Male, wenn sie gerade nicht auftrat, auch des Abends nach seinem Dienst. Zuerst staunte sie ein wenig darüber, mit wieviel Selbstverständlichkeit er diese Beziehung zu einer Dame der Welt zu erleben schien, er, ein Knabe von neunzehn Jahren, er, schließlich doch ein Lakai, der seinen Dienstrock ausziehen mußte, ehe er kam … Aber bald hörte sie auf, die Dinge so zu betrachten.

Nein, er war ganz und gar kein Lakai; der sanfte Gleichmut, mit dem er die Geschehnisse aufnahm, stand ihm an. Alle Sehnsucht, aller sublime Ehrgeiz ihres Herzens fand hier einen Anlaß, hervorzutreten … Nein, sie erwartete in ihrem Arbeitszimmer, dessen Charakter aus Komfort und Unwirtlichkeit sonderbar gemischt war, keinen Bedienten, sondern sie erwartete ein wunderschönes, reich beanlagtes, aber ungeformtes Menschenwesen, das zu formen ihre heilige Aufgabe war.

Reich beanlagt – er war es für sie. Vielleicht wäre es schwer gewesen, eine einzige Äußerung zu finden, zu nennen, mit der an Matthias ein reicher Geist sich wirklich gezeigt hätte. Aber grenzenlos war die Hingabe dieses Geistes, seine Unterwerfung, sein Glaube; sein Wille anzuerkennen und sich anzupassen, und seine Fähigkeit dazu. Er hatte bisher, der arme Junge, so wenig ein Leben der Erkenntnis geführt, daß ihm nun das Einfachste und das Zusammengesetzteste gleich fern oder gleich vertraut war, und daß es für ihn keinen Anlaß gab, sich über irgendeine menschliche Besonderheit zu verwundern oder zu entsetzen. Er wäre schon aus Herzensgüte duldsam gewesen, er war es zunächst aus Unwissenheit.

Diese eigentümliche Freiheit, die er bewies, befestigte mehr als vieles Andere Lenas Neigung; es schien nicht nötig, diesem kaum Erwachsenen mit vorsichtigen Erklärungen zu kommen, und Abstände, Abgründe, vor denen sie sich gefürchtet hatte, waren nicht da. Ein Nachmittag, an dem Lena auf eine eigenartige unter ihren Rollen zu sprechen kam, war wohl besonders entscheidend.

Diese Rolle, auf die sie sich laut vor ihm besann, war von einer tragischen Liebe voll, – tragisch war diese Frauenliebe, weil sie auf Frauen gerichtet war und zumal auf Eine Frau, eine kalte, unverstehende, gnadenlose. Frau Gontard überhastete sich, während sie von ihrer unglücklichen Gräfin erzählte, sie wurde rot, sie wagte nicht Matthias anzublicken. Sie sagte: »Kannst du mir folgen, Lieber, wirklich, es hat etwas Grandioses, glaube mir. Denke, diese Frau, die andere, die unerbittliche, sie endet furchtbar, sie wird als eine Dirne zuletzt ermordet, und wie sie in ihrem Blute liegt, kriecht die Liebende noch, gleichfalls im Sterben, auf den Knieen zu ihr heran und sagt: ›Mein Engel – laß dich noch einmal sehen – ich bin dir nah – bleibe dir nah – in Ewigkeit …‹ Ich weiß nicht, siehst du wie herrlich das ist …«

Matthias saß ruhig da und antwortete nicht, und Lena krümmte sich in der Furcht, nun doch den Abgrund aufklaffen zu sehen, der sich dann nicht mehr schließen würde. Bin ich nicht doch eine Närrin, fragte sie sich stumm. Mit wem verbringe ich meine Tage? Habe ich am Ende schon die Capricen der unzurechnungsfähigen Frauen in den Wechseljahren? Und sie lauschte angstvoll in das Schweigen der Stube hinein. Oh, schließlich war es vielleicht besser, er sprach nichts, als daß er etwas Rohes oder Törichtes vorbrachte; eigentlich hatte sie dankbar zu sein für dieses Schweigen …

Endlich sagte Matthias – und dies war es, was er als einziges Ergebnis aus ihren Worten gezogen hatte, aber sie war glücklich, es zu hören – er sagte: »Immer ist es schlecht, jemand zurückzustoßen, der einen liebt.«

 


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