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Die Villa, in die sich Matthias als Bedienter versetzt fand, ein nicht ganz neues, aber geräumiges und bequemes, in etwas irriger Renaissance erbautes Haus, war von weiten Gartenanlagen umschlossen und sah mit den Türmchen der Front auf einen tiefer liegenden, kleinen See. Hier wohnte und beschäftigte sich nach Laune ein Herr von etwa fünfunddreißig Jahren, dessen Vater irgendwo im Rheinland eine rotleuchtende, eisenlärmende Hölle regierte.

Wenn dieser Vater, der alte Louis Camphaus, der selbst noch Arbeiter gewesen war, zu seiner Erholung nach Düsseldorf hinüberfuhr und im Breidenbacher Hof frühstückte, und es kam die Rede auf seinen Sohn, so nannte er ihn nicht ohne Stolz seinen Kunsthistoriker. Dieser Titel war nur schwach verdient.

Der Sohn Camphaus sammelte allerdings, und zwar hatte er es zu einem hübschen kleinen Museum englischer Miniaturen gebracht. Er besaß Arbeiten von Smart und von Engleheart und aus den früheren Zeiten solche von Flatman, Dixon und den Olivers. Aber das verschaffte ihm vielleicht nicht mehr innere Beziehung zur Kunst, als hätte er in der verwendeten Zeit auf seiner Chaiselongue geschlafen.

Auch waren die Miniaturen nur ein Gegenstand zweiter Ordnung für ihn. Im Wesentlichen beschäftigte er sich mit Frauen. Er war so reich, daß er geliebt wurde, und zwar durchaus auch von solchen Frauen, denen es nicht einfiel, von seinen Reichtümern profitieren zu wollen. Geldmacht und Luxus ohne Grenzen sind Eigenschaften, die in Liebesdingen zum Mindesten ebenso zählen, wie Vorzüge des Herzens oder des Äußern – besonders dann natürlich, wenn ihr Verwalter persönlich nicht geradezu das ist, was die Frauen unausstehlich nennen.

Ferdinand Camphaus war es durchaus nicht. Sein brünettes, korrektes Gesicht über dem wohlgewachsenen, nur ein wenig zu massigen Körper durfte angenehm heißen; in seinen Berliner Jahren hatte er gelernt, sich zu kleiden und zu betragen. Er galt für freundlich und sympathisch. In seinem Herzen war er gewiß nicht gut und nicht böse, aber die Welt lächelte ihm, und so zeigte er die gleiche Miene.

Vom zweiten Tage an war es im Wesentlichen Matthias' Funktion, vor den ankommenden Frauen die Tür zu öffnen und ihnen beim Ablegen und Anlegen der Überkleider behilflich zu sein. Selten, daß es sich am gleichen Nachmittag um nicht mehr als einen solchen Besuch handelte; das intime Dasein des Hausherrn konnte eines Stundenplans nicht wohl entbehren …

Und Matthias öffnete, in seiner anliegenden, dunkelbraunen Livree mit vergoldeten Knöpfen, die Tür des Vestibüls vor vielen, vielen Frauen. Er sah ihre Wagen in das Gartenportal einbiegen und das große Rondell umfahren, und manchmal, während seine Blicke durch die Glasscheiben hindurch der Kurve folgten, erinnerte er sich dunkel jener Auffahrt vor dem Schloßgebäude des heimischen Gutsherrn.

Herr Camphaus wurde von Frauen besucht, die im eigenen Gefährt kamen – aber wenige wagten das –, Matthias öffnete vor gemieteten Automobilen, vor schlechten Droschken, doch auch vor Fußgängerinnen, die der kurze Weg von der Straßenbahn her bereits außer Atem gebracht hatte, und denen er im Vestibül die bespritzten Stiefelchen abreiben mußte. Ebenfalls hatte er, wenn François zur Stadt geschickt worden war, mitunter den Tee zu servieren, und es kam vor, daß er dabei unkonventionellen Szenen beiwohnte.

Aber von keiner dieser Frauen, die er so nahe sah und mit den Händen streifte, hätte er das Mindeste auszusagen gewußt, er hätte höchstens, wäre es ihm in den Sinn gekommen, etwas Gemeinsames festgestellt: alle miteinander hätte er gewöhnlich genannt. Von vornherein war es ihm deutlich, daß seines Brotherrn Erfolge Schein und Einbildung sein mußten. Er wußte ja, er, Matthias, wie billig der Erfolg bei jenen Frauen ist, bei denen es sich nicht lohnt, daß man Erfolg habe. Hierin setzte er sich völlig gleich mit seinem Herrn … Herr Camphaus war töricht genug, sich täuschen zu lassen, er war selbstzufrieden, er war hoch erfreut über eine Existenz, der die Liebe dieser Geschöpfe zweiten Ranges Bedeutung verlieh … Wahrhaftig, die Leute im Dienerzimmer, François, der Koch, der Chauffeur und die beiden Stubenmädchen, sie befanden sich im Rechte, wenn sie ihm, alle miteinander, eine übrigens leidlich gutmütige Verachtung widmeten. »Der Dicke«, sagten sie, und die Bezeichnung schien Matthias sonderbar treffend, ja erschöpfend.

Er selber freilich nannte Herrn Camphaus niemals so, dies war nicht in seiner Art. Seine Art war vielmehr so, daß er dem reichen Manne mit um so größerer Inbrunst diente, je mehr er ihn bei sich herabsetzen mußte. Ja, eines Tages nach Tisch, als er Sherry servieren sollte und Herrn Camphaus in seinem Klubsessel sitzen sah, eines der soliden Beine über das andre geschlagen und so ganz ein Bild unschuldigen, törichten Behagens, da ergriff Matthias ein Drang, dem er nur schwer zu widerstehen vermochte: vor dem verdauenden Gebieter niederzufallen, seine Lackschuhe mit Tränen zu nässen und ihn um Verzeihung anzuflehen. Um Verzeihung dafür, daß er ihm nicht so niedrig diente, wie es recht war zu dienen. Um Verzeihung dafür, daß er sich ihm gleichstellte. Um Verzeihung dafür, daß er ihn zu genau kannte und im Stillen über seine Freuden zu lächeln wagte.

 


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