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21

Einmal, als Matthias allein in Lenas Zimmer war, wurde der Schauspieler Ernesty zu ihm hereingeführt.

Die Magd fand es selbstverständlich, daß er in Frau Gontards Abwesenheit Besuche entgegennehmen könne. Sie war eine ordentliche und verständige Frau, die noch von Süddeutschland her beibehalten worden war. Den jungen Matthias, der niemals befahl und selten nur, mit leiser Stimme bat, liebte sie und respektierte sie; hauptsächlich dankte sie ihm wohl seine Ergebenheit für die angebetete Dienstherrin. Matthias war nicht der erste Mann, der in diesen Zimmern ab und zu ging, wohl aber der erste, dem sie es gönnte. Mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Achtung nannte sie ihn: unser jung Herrche.

Matthias in seiner plötzlichen Würde war sehr verlegen. Er sagte: »Ja bitte, Mathilde, bringen Sie Tee – Tee ist Ihnen doch recht, Herr Ernesty?« Sie blieben allein.

»Na,« sagte Ernesty und sah Matthias unverschämt direkt ins Gesicht, »Sie sind ja hier wie der Sultan! Amüsieren Sie sich noch immer gut mit unserer Lena, ja? Das hält nun doch schon Monate …«

»Was hält, bitte?«

»Was hält, was hält, großartig! Ihr Verhältnis, Ihre Ehe muß man schon sagen. Oder wollen Sie vielleicht leugnen, ha, ha …« Ernesty lachte aus vollem Halse bei dem Gedanken, daß jemand eine so stadtbekannte Beziehung in Abrede stellen könnte.

Matthias sank auf Augenblicke in eine verlegene und verwunderte Träumerei. Nein, er hatte nicht daran gedacht, etwas zu leugnen. Ihm war nur überhaupt diese Seite seiner Beziehung zu Lena nicht recht gegenwärtig gewesen. Er hatte den Menschen da wirklich zuerst nicht verstanden. Aber Ernesty war ja im Recht auf seine ordinäre Weise: es bestand, was er mit seinem abscheulichen Worte benannte, mochte die Tatsache auch nicht sehr deutlich und nicht sehr wichtig sein. Sonderbar doch … Wie lange war das her, daß er auch nur Lenas nackte Arme gesehen hatte! Sehr lange, sehr lange. Und war sie nicht doch eigentlich eine schöne Frau, Lena …

Matthias' Gesicht zeigte wohl einen abwesenden, versunkenen Ausdruck, während er so überlegte, denn Ernesty beugte sich vor, schlug ihn aufs Knie und sagte lachend: »Sie sehen da, scheint es, hübsche Bilder vor sich, junger Liebhaber? Glaube ich, glaube ich, immer munter!« Und mit der Ungezogenheit des Schönlings, der gewohnt ist, daß ihm alles verziehen wird, fügte er hinzu: »Nichts gegen das Ganze zu sagen, absolut nichts. Wie alt sind Sie eigentlich, zwanzig? Zwanzig und achtunddreißig, das stimmt auffallend, das ist sogar die Regel, so hat es der liebe Gott in seinem Weltplan vorgesehen …«

Die Frau war wieder im Zimmer und ordnete auf dem Tische das Teegerät. Mißmutig blickte sie auf den eleganten Besucher, der so laut lachte und sprach. Sie sagte innerlich: »Nix Feines« und schlug die Tür ein wenig hinter sich zu.

Ernesty nahm seine Tasse, schmiegte ein Bein über das andere und begann von Neuem, mit Behaglichkeit: »Wir sind ja schließlich unter uns Männern … Seien Sie mal nett. Legen Sie mal los. Erzählen Sie ein bißchen, wie sich die gute Lena bei dergleichen anstellt. Ich höre so etwas gern, es amüsiert mich …« Er schien dies für einen zwingenden Beweggrund zu halten. Matthias blickte ihn mit ziemlich finsteren Augen an. Er sagte: »Da ist gar nichts zu erzählen.«

»Diskretion …« sagte Ernesty und zog über dem Knie sein Beinkleid in Falten, »recht so, recht so. Aber weshalb bei mir, unnötig bei mir. Also wissen Sie, mir vorzustellen, wie so ein hübscher junger Kerl da so ein bißchen verführt wird, wahrhaftig, auf Ehre, das amüsiert mich, das regt mich auf …«

Matthias war zornig, er war empört, aber er fand aus seinem Schweigen keinen Übergang zu einer Zurechtweisung. Er schrie, plötzlich und ganz verblüffend: »Ich verbiete Ihnen, in diesem Tone weiter zu reden!«

Der Andere blies seine Backen auf, machte runde Augen, platzte dann heraus und rief mit künstlicher Begeisterung: »Aber der Junge ist ja köstlich …«

Matthias, völlig ratlos nun und im dunklen Empfinden, daß er einen Besucher jedenfalls nicht prügeln dürfe, erhob sich, wobei er mit Klirren an das Tischchen stieß, öffnete die Seitentür und ging davon. Er wußte wohl, dies sei keine Maßregelung und sei kein Abgang … Verzweifelt über seine Jugend und sein Mißgeschick warf er sich drinnen im Nebenzimmer über die Chaiselongue und weinte.

Sonderbarer Weise hatte er mit diesem Benehmen sehr stark auf den Schauspieler gewirkt. Ernesty schnitt ein betroffenes Gesicht hinter ihm her, dann stand er leise auf, kleidete sich draußen leise an und ging leise die Treppen hinunter.

 


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