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16

»Höre,« sagte Lena eines Tages, so, als behandle sie eine Nebensache, »eigentlich kannst du nun doch bei diesem Herrn nicht länger bleiben … meine ich.«

Sie sprach in recht wegwerfendem Tone von diesem Herrn, und ein etwas angriffslustigerer Hörer hätte das, im Stillen mindestens, wahrscheinlich mißbilligt. Matthias dachte daran nicht, und es wäre, genau betrachtet, auch unrecht gewesen.

Diese Beziehung, wie manche andere, zählte nicht sehr in Frau Gontards Leben. Zu völlig ging sie der Regel nach in den Anstrengungen ihres Berufes auf. Aber von Zeit zu Zeit, wenn sie sich in irgendeinem sehr weltlichen Zirkel sah, und es ihr zum Bewußtsein kam, welch ein Netz von Liebesintriguen und Liebesspielereien rund um sie gewoben wurde, fiel es ihr ein, da ein wenig mitzuweben. Sie besann sich darauf, daß sie eine Frau war und eine noch ziemlich junge Frau, und daß auch sie dieser pochend lebendigen Gesellschaft zugehörte, deren Unterströmungen ihr fühlbar wurden. Ja, dachte sie, ich gehöre wohl mit dazu, aber was ist mit mir … ich versäume meine Zeit … es ist ja eine Ewigkeit her … Und sie begann aus jener Art von Pflichtgefühl, darum, weil »es« ja wohl zu einem vollgelebten Leben gehörte, sich umzuschauen, zu suchen …

Sie suchte ohne besonderen Eifer, ohne ein tieferes Interesse, und ihre Wahl war stets einigermaßen zufällig; Herr Camphaus gehörte noch zu denen, die auszuzeichnen verständlich scheinen konnte. Übrigens pflegte sie nicht gerade mit Hingabe geliebt zu werden, wie alle Frauen, die fühlen lassen, daß ihnen die Liebe keine Hauptsache ist. Und ein Mann hatte es leicht, herauszufinden, daß sich sogar das Antwortbedürfnis ihrer Nerven, um von Besserem zu schweigen, anderswo erschöpfte als in seinen Küssen. Es war sehr hübsch, mit Frau Lena des Nachmittags eine Stunde zu verplaudern, und es bedeutete natürlich auch für den Einen und für den Andern eine Genugtuung, sich mit einer Dame von Namen verbunden zu wissen. Aber wenn irgendein Umstand der Beziehung ein Ende setzte, so pflegte sich die Lösung ohne schlimme Kämpfe zu vollziehen. Man küßte der Frau die Hand … Traf man sich wieder, so war das Vorgefallene fern und etwas unwahrscheinlich. Meist war gar nicht so viel vorgefallen.

Auch Camphaus fühlte sich nicht eben tragisch erschüttert, als Lena sich zurückzog. Und da er ein gesitteter und vor Behaglichkeit gutmütiger Mann war, so galt es ihm als selbstverständlich, daß er sie mit den Umständen dieses Abschieds niemals kompromittieren würde. Er sah sich seinen Diener gelegentlich einmal genauer an und fand ihn schön. In seiner gemütlichen Gleichgültigkeit war er ohne Vorurteil und gab Frau Gontard recht, er erleichterte Matthias den Dienst auf alle Weise, ließ ihn nach Gutdünken das Haus verlassen und wartete, ohne übrigens gespannt zu sein, auf die Kündigung. Und als Matthias sie eines Julivormittags beim ersten Frühstück gesenkten Hauptes vorbrachte, nahm er mit freundlichen Worten sogleich an. Das fiel ihm um so leichter, als er sich ohnehin zu einer Sommerreise in den Norden rüstete und seinen Haushalt für mehrere Monate aufzulösen gedachte.

Alles ordnete sich auf das Beste. Frau Gontard sagte: »Du wirst dich, mein Lieber, hier in der Nähe in einer Pension einmieten – nicht für lange, denn auch wir wollen ein wenig reisen. Wir wollen ans Meer gehen. Ist dir das recht?«

»Das alles ist so sonderbar,« antwortete er leise und hob einen verwirrten Blick zu ihr auf, »ich habe nicht das Gefühl, als tue ich das Rechte.«

»Du tust das Rechte, Matthias,« sagte sie, »oder erkläre mir, bitte, was besser für dich wäre … Siehst du, daß du es nicht weißt.« Und nach einem kleinen Zögern: »Es wird dich doch ums Himmels willen nicht genieren …«

»Doch,« antwortete Matthias, »eigentlich wohl.«

Das war nicht völlige Wahrheit. Er hatte von außen her den ungewissen Begriff gewonnen, daß diese Art das Leben einzurichten, nicht statthaft sei. Aber er wäre von sich aus nicht zu solcher Meinung gelangt. Es war ihm ja nicht um Müßiggang, nicht um Luxus zu tun, es war ihm ja um nichts zu tun. Und eben, weil seine Wünsche nicht danach gingen, weich zu schlafen und wohl zu speisen und an einem schönen Strande zu spazieren, – konnte er dies alles nicht darum gerade annehmen?

Es stand wahrhaftig nicht so mit ihm, daß er Arbeit gescheut hätte. In seiner Schule hatte er ehrlich hinter den Büchern gesessen, er hatte, rasch müde zwar aber ohne alles Widerstreben, die Bahnwagen gereinigt und in der Villa Hausdienste geleistet; nun wurde von einer gütigen Dame, die sich an seiner Gesellschaft freute, verlangt, er solle die Hände ruhen lassen; es war nicht abzusehen, warum er sich gerade hiergegen sträuben müsse. Und es tat so wohl, sie reden zu hören, nach diesen Monaten im Dienerzimmer mit François und den Stubenmädchen. Es war wie eine neue, gute Luft, ja, es war eine Befreiung. Und für immer würde es ja nicht sein, es bedeutete einen Übergang.

»Wenn Sie es so wollen …« sagte er leise und freundlich. Und wie sie es wollte, bezog er in jenem Pensionat nicht weit von ihrer Wohnung ein Zimmer, ließ sich einige Anzüge anmessen und Wäsche zuschicken und nahm ein Kuvert von ihr in Empfang, das eine bei weitem größere Summe enthielt, als zur Deckung jener Anschaffungen nötig gewesen wäre.

»Ein eleganter junger Herr jetzt,« sagte sie mit Lachen, »ein bißchen zu elegant für mich alte Frau.«

»Sie sind keine alte Frau,« erwiderte er, »Sie sind so wundervoll.«

Er war aufrichtig, aber es war ihre Güte, die er pries. Wohl hätte er noch immer die Früchte dieser Güte gern entbehrt, ja sie hörten keinen Tag auf, ihn leise zu ängstigen … Er fuhr, stockend, fort: »Es ist so schön, wie Sie sich gegen mich betragen. Ich wollte wirklich, ich wäre etwas wert, um Ihnen recht danken zu können.«

Zu Anfang August fuhren sie in ein kleines Seebad auf Rügen.

 


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