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29

In diesem Augenblick war es Matthias, als stürzte mit dem summenden Saal die Welt über ihm ein, es dröhnte und rauschte, ihn dünkte es als verlöre er seine Schwere. Aus den stürzenden Trümmern stieg er auf, hob sich empor, schwebte irgendwo im leeren Raum … Nun gab es nichts mehr zu zögern. Mit Anstrengung verließ er seinen Platz, nahm den Mantel, den Stock, murmelte ein Wort, sich zu entschuldigen. Er verbeugte sich gegen Rümelin, der etwas zurückfragte, er reichte Lena die Hand, die sie ohne Erstaunen, weit abwesend wohl, entgegennahm …

Nur jetzt gerade gehen! dachte Matthias, viel schien ihm darauf anzukommen, daß er jetzt nirgendwo anstoße. Mit finsteren Brauen, den Blick auf den schmalen roten Läufer gesenkt, schritt er zwischen den Tischreihen hindurch und gewann den Ausgang.

Nicht rechts noch links anzustoßen, auch in Gedanken nicht, darauf kam es nun an. Notwendiges durch Überlegung befestigen zu wollen, brachte Gefahr … Matthias verbot es sich, während ihn das Automobil durch die Stadt trug.

Wie ein Schiffer, der quer übern See will, brauchte er einen Sichtpunkt, ein Nächstes, gerade vor ihm Liegendes, um mit den Blicken dort einzuhaken und sich selber hinanzuziehen. Das Pensionszimmer, in dem er nun sogleich Vorbereitungen für seine Reise zu treffen hatte, war ein zu breites Ziel. Auch vom Reisebedarf an Kleidung und Gerät glitt er ab und versammelte seine inneren Kräfte auf einem Gegenstand, von dem er zollgenau wußte, wo er lag …

Es war ein leicht gekrümmtes, malaiisches Dolchmesser, ein Geschenk Lenas, das die linke, hintere Ecke seines Schreibtisches überquerte, ein schön geschmiedetes Ding, mit elfenbeinernem Griff, der einen Schlangenkopf vorstellte; in einer Scheide aus grünem Maroquin. Diese Scheide, obwohl orientalischer Arbeit, war nicht für das Messer gemacht, sondern für eine gerade Waffe, und die Klinge stieß sich in ihr. Während der ganzen Fahrt ließ Matthias den Dolch in Gedanken nicht los. Doch als er sein Zimmer betrat, warf er keinen Blick auf das Richtziel: er war fürs Erste angekommen.

Viel war zu tun, und in höchster Eile. Eile tat bitter not. Jeder Augenblick des Verzugs, des Einhaltens bedeutete innere Gefahr …

Nicht um mehr als eine Stunde tiefer in der Nacht erreichte Matthias den Bahnhof. Er verschmähte es, oder er durfte es vor sich selber nicht wagen, einen genauen Reiseplan zu erkunden; mit dem ersten Zuge, der ungefähr die Richtung nahm, fuhr er nach Süden.

Wenige Stunden später hatte er die Linie zu wechseln, und dann erst, allein in seinem Coupé, war er für längere Zeit in Ruhe. Heftig überkam ihn nun und mit einem Mal die Müdigkeit. Er hatte nicht mehr Muße, es sich bequem zu machen, das Haupt sank ihm gegen die Polster, und er schlief.

Einmal erwachte er ein wenig: durch die Fenster kam schon ein Tagesschein. Undeutlich sah er ihn, aus halbgeöffneten Augen. Eine Bauernlandschaft … Wälder, Felder, Hügel … war es nicht der Ort seiner Kindheit? Ein wenig weiter … dieser Baumbestand noch … und das Haus seines Vaters war da. Aber ihm blieb nicht die Kraft und nicht die Zeit, um Sehnsucht zu fühlen, alles versank schon in einem schwarzen Rauschen. Noch während der Zug den kurzen Tunnel durchfuhr, war Matthias wieder in seinem schweren Schlaf.

 


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