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36

Mit der Sicherheit eines Schlafwandlers suchte er das Zimmer. Er begab sich ja zu mehr als zu einer galanten Zusammenkunft, – unwahrscheinlich, daß ihn etwas sollte hindern dürfen.

Die Tür war angelehnt, rötlicher Lichtschein drang heraus. Matthias öffnete halbweit und trat ein. Aus einem Armstuhl vor dem dreiteiligen Toilettentisch erhob sich die Frau und ging ihm lächelnd, groß im fließenden Gewande, durch das erleuchtete Zimmer entgegen. Matthias blieb stehen und sah sie nahekommen. Sie hob, ohne zu sprechen, die Arme, von deren strahlender Weiße die weiten Ärmel zurückfielen, und hüllte Matthias in ihre duftende Wärme ein.

Das Gesicht der Fürstin war über dem seinen, sie neigte sich über ihn herab und öffnete seinen Mund mit ihren Lippen. Sie küßte lange, tief und mit Durst.

»Oh …« Sie richtete sich empor, mit einem Laut wie Verschmachtende nach dem Trunk. Sie nahm Matthias sanft bei beiden Armen, hielt ihn ein wenig von sich ab, betrachtete ihn lange und nickte endlich wissend mit dem schönen Frauenhaupte.

Matthias sprach ernst: »Ich bin sehr glücklich, Fürstin, daß ich habe kommen dürfen.«

Sie lachte offenherzig: »Das glaube ich Ihnen, mein Junge …«

Sie war jetzt, in ihrem ganz losen, ganz dünnen Gewand aus lachsroter Seide, vielleicht noch schöner als am Tage. Aller Schmuck war abgelegt, selbst die Ohrgehänge, und sie wirkte außerordentlich nackt. Matthias wandte die Augen von ihr fort, mit einem Herzklopfen, das nicht der Bewunderung und dem Verlangen, sondern einer unbestimmten Angst entstammte …

Dank einer wohl zufälligen Übereinstimmung herrschte in dem großen Zimmer die Farbe ihres Gewandes vor. Alles Holz zeigte leuchtend helle Lackierung, aber die Stoffe ohne Ausnahme waren lachsrot: die schweren Vorhänge an den drei breiten und hohen Fenstern, die Bespannung von Stühlen und Chaiselongue, der Teppich, der völlig den Fußboden verbarg, und die gesteppte Seidendecke des ungeheuren, nach drei Seiten freistehenden Bettes. Dieses Bett und alle übrigen Möbel zeigten die stumpfen Voluten des Stiles Louis seize.

Sie ließen sich nieder, die Fürstin halb liegend auf dem Ruhebett, er auf einem der Stühle in sehr aufrechter Haltung. Eine Unterhaltung fing an, mager und kühl durch Matthias' Schuld, dem sich die Stunde mehr und mehr verschleierte. Er hätte viel darum gegeben, auf zwei Minuten allein zu bleiben, sich zu sammeln vor dem Neuen und Unerwarteten, das sich begab. Dennoch begab sich nichts …

Aber als Matthias auf eine der steifen Fragen, zu denen seine Art die Fürstin zwang, eben geantwortet hatte: »Nein, Fürstin, ich bin erst heute in Nizza angekommen«, da sprang sie auf, stieß mit einer heftigen Kopfbewegung alle Rücksicht zur Seite, und mit nervösem Druck seine Hände erfassend, sagte sie dies eine Wort: »Komm!«

Später dann, viel später, nach einer stumm vergangenen Spanne, wandte sie sich nahe zu ihm her und flüsterte in einem etwas harten Deutsch:

»Ja, mein Junge, großes Verlangen habe ich nach dir gehabt. Es war heute Abend wahrlich nicht mehr auszuhalten an diesem Tische …«

Matthias murmelte: »Sie reden deutsch, Fürstin?«

Sie antwortete, mit einem eigentümlichen Lächeln: »Viele Sprachen rede ich.« Aber mit tiefer, beinahe rauher Stimme fügte sie hinzu: »Sage nicht immer Fürstin zu mir, wir Beide wollen das doch lassen.«

Und da er schwieg, nahm sie ihn fest in ihren vollen, schönen Arm und sprach, fast zischend, ganz nahe an seinem Ohr: »Oh, wenn du wüßtest, wie das jetzt wohl tut … Wie wohl es tut, nicht mit diesen dort Possen aufführen zu müssen! Ach, als ich dich sitzen sah, so stark, so jung, so schön und gar nicht ein bißchen wie sie, – ich wäre beinahe aufgesprungen und wäre mitten in der Halle zu dir gelaufen. Ja, auch schon nachmittags in der Jetée … Wieder einmal war es mir so, als müßte ich ersticken, so als könnte ich nicht mehr leben, als müßte ich um mich schlagen … komm, komm, sei du einmal frei mit mir, laß dich los … Sage mir, wo du herkommst, junges Kerlchen, was du treibst, was du getrieben hast. Sei nur frei! Es macht nichts, wenn du etwas zu gestehen hast. Um so besser, oh, um so besser. Nicht an die ›Fürstin‹ denken, ja?« – sie lachte tief, ganz hinten in der Kehle – »ich schwöre dir, das ist nicht nötig, keineswegs. Aber erzähle mir, erzähle mir …«

Matthias murmelte scheu, als beginge er ein Unrecht: »Ich habe so wenig zu erzählen, fast nichts. Vergeben Sie …« Er hielt die Augen geschlossen, um nicht ihrem Blick zu begegnen, und atmete mit bitterem Entzücken ihren Duft. Er wiederholte: »Vergeben Sie!«

»Sage du zu mir, süßer Dummkopf. Und erzähle. Sage mir, was du bist … Wenn du etwas bist, was man nicht sagt, um so besser. Wenn du von Hause durchgegangen bist, um so besser. Wenn du einmal Kellner warst, vielleicht noch in der vorigen Woche – um so besser. Wenn du gestohlen hast, um so besser, um so besser. Komm näher, so, ganz nahe … deinen Mund, so, deinen Hals, oh, was du für einen kräftigen Hals hast, mein Junge. Und dazu so zarte, weiße Haut …«

»Sie sind schön,« stammelte Matthias. »Schön, oh, und gut. Ich liebe Sie.«

»Das ist nicht wahr. Du liebst mich gar nicht. Du brauchst mich auch nicht zu lieben. Wer verlangt das … Aber du solltest mir erzählen, das ist nicht nett, daß du mir nichts erzählst … Nein, du brauchst nicht zu sagen, daß du mich liebst. Faut pas te donner du mal! Du bist einfach gekommen, weil eine hübsche Frau gewinkt hat, das ist sehr natürlich, mein Kleiner, sehr. Es muß dir oft passieren bei deinem Aussehen, wie?«

»Oh nein,« flüsterte Matthias.

»Oh ja. Und dann, du warst wohl ein bißchen stolz, nicht? Man hatte dir gesagt, wer ich bin. Hat das dem Jungen geschmeichelt, sage, hat das dem dummen Bubi geschmeichelt – oh, ich weiß sehr gut, daß man im Deutschen Bubi sagt. Ich habe es oft gesagt – Bubi. Ich habe viel deutsch gesprochen und viel mit Zärtlichkeit deutsch gesprochen, ja. Man behauptet, die Deutschen verstehen nichts von der Liebe. Aber das ist eine von den dummen Lügen in der Welt, eine von den allerdümmsten. Vielleicht haben sie nicht so ruinierte Nerven wie unsere guten Russen. Jolis cocos, ceux-là … Nein, freilich, so seid ihr nicht …«

Später dann, viel später wiederum, nahm sie ihr Reden ungefähr dort wieder auf, wo sie es abgebrochen hatte … »Wenn du wüßtest,« sagte sie, aber ihre ganze Art, der Klang ihrer Stimme sogar, war nun noch weit vertraulicher, noch weit rückhaltloser geworden, »wenn du wüßtest, welche Wonne es für mich ist, hier mit dir zu sein, mein lieber Kleiner …«

Sie richtete sich an der Rückwand des Bettes in die Höhe, dort, wo es die Wand berührte, und pochte erhobenen Armes triumphierend gegen den Stein. Das Licht der Mittellampe, die unverhüllt brannte, ließ unter ihrer Achsel den Flaum rotgolden aufleuchten.

»Es ist köstlich, zu wissen, daß er da drüben schläft und dummes Zeug im Schlafe redet, der zuckerkranke Narr … nur durch den Salon ist er von uns getrennt, da … und hier betrügen wir ihn ganz wie wir wollen. Ich möchte wahrhaftig wissen, was er anstellte, wenn er es einmal entdeckte, denn es ist nicht das erste und nicht das einzige Mal, du denkst es dir, mein Kleiner … Vielleicht würde er gar nichts sagen, vielleicht würde er nachsichtig lächeln, weiter nichts – er ist über allem, oh er ist süperb, der da …«

Sie sagte das mit einem wütenden Hohn, so, als wisse sie sich nicht genug zu tun.

»Komm, kleiner Freund, küsse mich. Aber stark … ohne Rücksicht. Wir wollen es ihnen ordentlich zeigen, wie …«

»Ihnen?« sagte Matthias leise. Seine Arme hatten keine Kraft mehr, zu halten und zu pressen.

Die Fürstin sagte ruhiger, beinahe belehrend: »Ihnen. Ja. Mir ist es, als betrüge ich nicht ihn allein … und das macht meine Freude größer … meine Freude an dir,« fügte sie gütig hinzu. »Was ist er denn schließlich – eine arme, schwache Kreatur. Er ist sanft aus Schwäche. Aber seine Schuld ist das nicht. Und im Herzen ist er wie die Übrigen … Ah, ich habe sie nun so ungefähr kennen gelernt unsere russischen Edelleute, unsere Großfürsten, unsere Grafen und Generale. Teufel ja, was für eine Gesellschaft. Denen eins zu versetzen, das ist eine Wollust. Vielleicht gibt es andere, ich weiß nicht. Die ich kenne, die sind alle gleich. Alle miteinander sind sie schlecht und verdorben bis ins Mark und Herz hinein … Ach, aber das ist nicht das Schlimme …«

Sie preßte sich enger an Matthias, wie Hilfe suchend, und flüsterte: »Das Schlimme ist, daß man sie nicht verachten kann, daß man nicht an sie hinreicht mit Verachtung. Macht haben sie über Unsereinen, das ist das Empörende. Dir kann ich's ja sagen, mein kleiner Freund, mit deinen dicken Handgelenken, oh welche Wonne, daß ich dir das sagen kann …«

Matthias in ihrer Umarmung fragte tonlos: »Wie ist es möglich, Fürstin, daß Sie so sprechen, Sie selber, Sie …«

Darauf sah sie ihn aus großer Nähe mit einem langen, grüblerischen Blicke an und sagte, ohne alle Überleitung:

»Er hätte mich ja nicht geheiratet, ich bin sicher, wenn er sich weniger gelangweilt hätte. Aber diese kleinen deutschen Höfe sind wohl schrecklich … Er war dort eine Art Botschafter. Weißt du, manche von diesen kleinen Fürstenfamilien haben durch Heirat Beziehungen zu dem russischen Kaiser. Der Botschafter hat nichts zu tun, er kann sein wie er will, nur ein wenig repräsentativ muß er sein, so ein würdiger feiner Herr, weißt du. Und das war er sicherlich schon mit dreißig Jahren. Ich trat am Variété auf, meine Tournée ging zu Ende, ich wollte wieder nach Rumänien zurück …«

Matthias fragte, erstorbenen Sinnes: »Sind Sie eine Rumänin?«

»Ich bin eine Bauerntochter aus der Gegend von Jassy, mein Freund. Ich bin eine Bäuerin, mein Freund, ganz einfach eine Bäuerin. Als ich sechzehn Jahre alt war, hat mich einer verführt. Ich kam dann nach Bukarest« – sie drängte sich an seine Brust und fügte leise hinzu, fast keuchend vor leidender Aufrichtigkeit –: »zu einem Kaffeepächter, weißt du, so ein großes Café-Concert …«

Matthias begriff. Ihm schmerzte die Brust vor Leid und Mitleid. Oh, etwas Häßliches und Niedriges, um es ihr zu gestehen, um sie damit zu erwärmen und zu beglücken, um ihr beizustehen, ein Bundsgenosse. Aber hatte er nicht genug zu gestehen? Er begann, doch er verwirrte sich, er kam nicht von der Stelle … »Auch ich bin ein Bauer,« sagte er, »das heißt, mein Vater war Gutsinspektor, Inspektor auf einem Vorwerk, einem kleinen Vorwerk …«

Hörte sie ihm zu? Von sich selber mußte er reden, von seinem eigenen, mißführten Leben. Wo nur beginnen?

Aber sie schien nicht mehr zu wissen, wie sie ihn gedrängt hatte.

»Nun, er heiratete mich, Fürst Lanskoj. Gut. Ich habe es gut. Oh, diese Leute halten viel zu viel von sich, um es ihren Frauen fehlen zu lassen. Ich lebe prächtig, in einer großen Welt. Ich bin ja auch eine schöne Frau, bin ich nicht …?«

»Ja,« sagte Matthias.

»Aber ich hasse sie … weißt du, wie das ist, wenn man haßt, weißt du es?«

»Ja …« wiederholte Matthias, leiser und unbestimmt.

»Man sagt von uns Frauen, daß wir rasch lernen, daß wir rasch alles aus uns machen können, was wir wollen. Daß man uns sehr bald nicht mehr anmerken kann, wo wir herkommen. Ist das wahr? Ich glaube, es ist wahr …«

Sie hielt inne, als erwarte sie eine Bestätigung, und fuhr dann mit einer Stimme, die wie gebrochen klang, fort:

»Ja, aber was hilft das? Es hilft gar nichts. Das Herz verändert sich doch nicht. Und es möchte sich ja verändern, es möchte doch dort hinauf, wo jene sind, – ihnen nach, obwohl sie schlecht sind. Und dann fängt es an zu hassen, aus Ohnmacht. Oh mein kleiner Freund, wie sehr ich sie hasse! Und ich zittere doch und ich verehre sie doch, oh sage mir, kannst du es verstehen …«

Sie zitterte wirklich und schmiegte sich zitternd zu ihm her. Dann sagte sie, und wieder schien ihre Stimme verändert, rauh von einer geheimnisvollen Erregung:

»Ich habe manchmal zugesehen, in Rußland auf einem von den Gütern, wie ihm vor dem Schlafengehen zwei Kammerdiener die kalten Füße rieben. Weißt du, er sitzt dann ganz lächerlich da, Lanskoj, er hat sogar ein schwarzes Käppchen auf dem Kopf, und seine Augenlider hängen schon schläfrig herunter – il y met du noir, figure-toi. Aber er hat so eine Art, den zwei Männern die Füße hinzustrecken … so … auseinander … so gleichgültig, kalt; er ist es seit dreihundert Jahren gewohnt, weißt du. Ich habe Ehrfurcht davor, begreifst du mich? Ich muß mich sehr in Acht nehmen, daß er nicht bemerkt, wie sehr ich Ehrfurcht habe. Oh sage mir, ob du mich begreifst, sage es mir, mein starker, junger, bäurischer Freund …« Und Matthias fühlte ihren Leib an dem seinen zucken …

»Ich habe es noch gut getroffen, ja. Er ist doch ein alter Narr, er ist doch eine Karikatur, aber hätte ich denn nicht ebensogut an diesen Kiprjanoff gelangen können, und er …«

Jedoch bei diesem Namen ermunterte sich Matthias aus seiner Betäubung. Dieser Name bedeutete die letzte, äußerste Gefahr … Unbewußt bäumte sich der Lebensinstinkt, der Erhaltungstrieb in Matthias empor, und er unterbrach die Fürstin aufgeregt, fieberhaft …

»Ja,« sagte er, »ja … Kiprjanoff. Aber da ist noch dieser Besborodko … Besborodko gehört doch nicht dazu? Sagen Sie mir … sage mir, Besborodko …«

»Besborodko?« – sie zuckte die nackten, wundervollen Schultern, »das ist ein Narr, ein Armseliger. Nein, er gehört nicht dazu. Er ist ein Kaufmann aus Kiew, ein Fabrikant, weißt du, Zuckerwerk fertigt er an, kandierte Früchte … Er hat viel Geld und gibt viel her, darum darf er dabei sein. Das ist sein ganzer Ehrgeiz, – er betet sie im Staube an, die großen Herren. Aber das wäre nicht das Lächerliche, darüber, nicht wahr, wollten wir beide gar nicht urteilen … Nur, er ist solch ein ehrgeiziger Dummkopf, daß er versucht, es ihnen von außen her ein wenig gleich zu tun … Besborodko, nein, der Name gefällt ihm gewiß schon lange nicht. Hast du gesehen: heute Abend kam er mit seinem Orden an der Brust, es ist der Stanislausorden dritter Klasse, nicht mit dem Bändchen kam er, nein, er trug den kleinen Orden selbst, je pouffais, moi … Ich beobachte manchmal seine Augen, wenn er Kiprjanoff ins Gesicht sieht, sie schielen vor Ehrfurcht und Angst …«

»General Kiprjanoffs Gesicht ist auch furchtbar,« sagte Matthias leise. Er lag mit geschlossenen Lidern, ausgestreckt, einen Arm über die nackte Brust gehalten, in einer Stellung, die ihm eigentümlich war. Aber seine Hand war nicht geballt, sondern schwach geöffnet lag sie da, die Innenfläche wie bittend nach oben gewendet.

»Du hast es also gesehen, sein Gesicht, ja? Und hast du es gut gesehen, ja mein Kleiner …?«

Die Fürstin unterbrach sich mit einem nervösen Lachen und fragte: »Wie heißt du eigentlich, mein neuer Kamerad?«

»Matthias.«

»Matthias … Ich werde dir erzählen, was er für ein Mensch ist. Wir sind mit ihm über Paris hierhergefahren, weißt du, und wir haben acht Tage lang zusammen im Hotel Meurice gewohnt. Wir haben uns amüsiert, wie man sich eben amüsiert. Und eines Abends, als wir nicht wußten, was anfangen, hat uns Kiprjanoff vorgeschlagen, eine Rundreise durch die Untergründe von Paris zu machen … ich kann mich nicht gut ausdrücken … enfin, par les bas-fonds de Paris, par les mauvais lieux, ce qu'on appelle précisément une tournée des grands-ducs … Der Vorschlag hat mich natürlich nicht weiter erschreckt, mich … wie Matthias, uns erschreckt so etwas nicht? Aber was mich doch erschreckte, war das Renommée, das der General an diesen Plätzen hatte. Ich fühlte es wohl. Es war eine Atmosphäre von Entsetzen um ihn. Und fast alle kannten ihn, oh … in den Augen mancher von diesen Frauen zuckte eine wahnsinnige Flamme von Schrecken auf und dabei von geldgieriger Hoffnung. Aber er betrug sich natürlich gut an dem Abend, er quälte niemand, Matthias, du kannst dir denken … Ah, il était parfait, harmlos und angenehm. Er hat so teuflisch gute Manieren. Was ist das für ein Mensch! Was sind das für Menschen … Man hat bei uns die Knute abgeschafft … die Knute, c'est bien peu de chose, ils ne s'en moquent pas mal! Unantastbar sind sie, diese Menschen. Früher zerriß manchmal einen noch eine Bombe, nicht wahr, aber auch das wird nicht mehr gewagt. Auch das hat sie ja nicht angetastet. Sie haben keine Furcht. Sie verhöhnen alles, was man ihnen antut. So lange es geht, vernichten sie den, der es wagt, und noch im Tode lachen sie ihn aus. Sie sind die Herren, sie haben uns … Wir können nichts tun, als sie hintergehen, als sie betrügen, ja, und komm, das wollen wir, das wollen wir recht von Herzen tun …«

Sie drückte ihn wie eine Verzweifelte an die Brust, doch Matthias rührte nicht die Hand und nicht den Mund zu einer Zärtlichkeit.

Sie fuhr fort zu erzählen. Sie sagte: »Er hat dort in seinem Gouvernement wieder schlimme Dinge angerichtet, wie es scheint. Man fühlt wohl, daß er sehr glücklich ist. Natürlich bringt es ihm Geld, viel Geld, aber das ist doch nicht die Hauptsache, niemand soll das glauben. Es freut ihn natürlich auch, wenn es so viel einbringt, sie zu verfolgen …«

»Die Juden zu verfolgen?« sagte Matthias. Er konnte nichts Anderes mehr tun, als sich den Stachel so tief als möglich in die Brust treiben …

»Ja, sagte ich es nicht … Oh, er sprach kein Wort davon … oder ja, ein einziges, einen Spaß … Gestern sind wir nach Monte hinübergefahren und haben uns etwas beim Trente-et-quarante amüsiert. Er verlor sein ganzes Taschengeld in ein paar Minuten und suchte mit Scherzen in seinem Anzug umher. Da fand er noch einen Louis. Den nahm er zwischen die Finger, ließ ihn blitzen und blies darauf und sagte: ›Jetzt kommt das Letzte, jetzt kommt das koschere Geld, mit koscherem Geld müssen wir doch gewinnen, was meinen Sie, Fürstin …‹ Aber sind es schließlich nicht doch Menschen, die Juden, sage mir, mein Kleiner! Ebenso wie er sie hinschlachtet, würde er es mit uns tun, glaube nur … Oh er ist ein Teufel, sie sind alle Teufel … Mein kleiner Freund, mein kleiner Bauer, was können wir gegen sie tun … Komm, nimm mich eng in deinen Arm, mein Kamerad, mein Bäuerchen …«

 


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