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35

Matthias war, beinahe ohne es zu wissen, ins Freie gelangt und eilte am Meere hin. Es war eine außerordentlich milde Nacht, mondlos, aber alle Sterne schienen. Auf der Promenade des Anglais war fast niemand mehr. Dort wo die großen Gasthofsbauten ein Ende nehmen, begegnete Matthias zwei Herren, die sich in deutscher Sprache unterhielten.

»Schön hier, in der Nacht,« sagte der eine von ihnen.

Der andere erwiderte wegwerfend: »Da sollten Sie in Colombo die Gallface-Promenade sehen …«

Dann kam niemand mehr. Schon dunkel lagen rechts die weißen Villen in ihren schönen Gärten. Das Meer rauschte mild. Es wäre prächtig gewesen, hier irgendwo auf einer Bank zu rasten, aber Matthias vermochte sich nicht Einhalt zu tun …

Nun war also das Wunder geschehen. Nun war alles entschieden, und auf eine unvergleichlich leichte, lichte, göttliche Art. Nun war seine Tat so gewiß, als hätte er sie schon vollführt; er aber durfte, dank einer unendlichen Gnade, diesen Zustand auf Stunden noch genießen, – während nachher, wenn in der Wirklichkeit der letzte Schritt getan sein würde, mancherlei Widriges ihm die Freude des Freiseins, des Wertseins stören mußte …

Aber geschehen würde es, geschehen war es. Ihm wurde die Hand geleitet, nicht er selber führte den Streich, er war nur ein Werkzeug, doch ein notwendiges, – und so rechtfertigte sich endlich sein Leben. Was er an diesem Abend dunkel erkannt hatte, nun bestätigte es sich: es war das Amt einer Frau von hoher Artung, unter Ihresgleichen Rache zu üben. Er war nur der beseligte Knecht, der ihren Willen vollführte …

Ihr Wille, um den sie niemals wissen sollte. Denn er selber würde ja schweigen. Schweigen, und aus der Umarmung dieser königlichen Frau die Kraft zur Tat schöpfen, zur Auflehnung, die dem Niederen versagt war. Welch ein Wunder, daß ihm dies gerade heute widerfuhr! Unter Hunderttausenden war er ein Erwählter. Ohnmächtig hatte er sich gegrämt vor bösem Herrentum, er war verzweifelt an seiner Sendung, – da winkte ihm die Fürstin.

Die Fürstin … Die unbedingte Demut, mit der Matthias das Geschehnis dieses Abends aufnahm, konnte gewiß ein Zeichen dafür heißen, daß sein Herz nicht von der gewöhnlichen Art war. Der Gedanke: sie wählt mich, sie, eine so hoch geborene und eine so schöne Frau, ich muß also wohl meine Vorzüge haben, – der Gedanke streifte ihn nicht einmal. Es handelte sich um Ernsteres, wahrhaftig, als um gewinnende Eigenschaften und um ein Vergnügen. Seine Person war wenig in Frage …

Vielleicht glaubte Matthias im Grunde gar nicht, daß ihm selbst im eigentlichen Sinn von dieser leuchtenden Dame Aufmerksamkeit zuteil geworden sei. Nicht ihm, nicht seinem eigentlichen und bleibenden Wesen … Wenn er, Matthias, heute für einige Stunden sich so darstellte, daß ihn diese Prinzessin erwählen konnte, – morgen schon wäre das unmöglich gewesen. Eine Schicksalsstunde sollte sich erfüllen. Ihm wurde die Hand geführt, dies allein war es …

Matthias gelangte weit hinaus, immer auf seinem bequemen Weg überm Meere. Kaum gab es mehr Häuser. Die wintergrünen Gärten lagen schwarz und massig im leichten Sternenlicht. Und auch vom Wasser her schien ein wenig Helle zu kommen. Welch sanfte, streichelnde Nachtluft! Matthias trug den Hut in der Hand und den Mantel offen über seinem Frackanzug. Ihm war heiß geworden beim raschen Gehen.

Er sah zur Rechten einen häßlichen, dichten Bretterzaun. Es war der Zaun, der hier vor der Stadt die Anlagen der Straußenfarm umschließt. Matthias kehrte ihm den Rücken und nahm Platz auf einer der bequemen Bänke, die dem Meere zugewendet stehen.

Sein Zustand war seltsam, zwischen Exaltation und Ermüdung. Es arbeitete in ihm, aber nicht Gedanken und Entschlüsse stiegen auf, sondern leichte Blasen, farbige vergängliche Bildnisse, die sogleich in ihren Schaum zurücksanken. Matthias sah Gesichter, und während er sie sah, veränderten sie sich. Sie zergingen vor einander, die Züge des einen traten aus dem andern hervor, und alle bildeten doch eine Einheit, eine schöne, gefährliche Einheit.

Aus dem Antlitz der Fürstin schaute Lenas Antlitz, wie es von einem gewaltsamen Tode die Nachricht einsog, und schon zerteilte es sich und die Gutsherrin schaute aus strengen und bösen Augen. Arme legten sich um Matthias, Hände faßten um seine Seiten, und er wußte diese Hände zu unterscheiden, obgleich viele Paare nach ihm griffen … Eines, er wußte es, gehörte dem großen Mädchen, das ihn, an jenem Hochzeitsabend, im Bretterverschlag sich genommen hatte. Dies wich und zwei Hände, die er noch niemals gespürt, die er noch kaum gesehen hatte, griffen nach ihm, hielten ihn, hoben ihn hoch empor … Höher und höher stieg er in ihnen, bis er einem Riesen an die Brust reichte, zu dessen Füßen er gewesen war. Sie hoben ihn so hoch, sie hielten ihn so fest, daß er zu zielen, daß er zuzustoßen vermochte …

Er fuhr auf. Undeutlich war es ihm, als habe ein dumpfer Schrei, ein Knarren und Kreischen sein Ohr getroffen, ein fremder, niemals gehörter Laut. Er wußte nicht, an welchem Orte er sich befand … Und der Schrei kam wieder. Matthias vernahm ihn mit schauernder Verwunderung: es war ein tiefer, schluchzender, klagender Ton, eines wunden Menschen Stimme, vielleicht eines Nachttiers Stimme …

Matthias rief, aber es kam keine Antwort von den großen Vögeln. Angestrengt las er vom Zifferblatt seiner Uhr im Finstern die Stunde und schlug mit Eile den Rückweg ein.

 


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