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2

Matthias' Vater hatte sich um die Waschungen nicht gekümmert, die der großen Begebenheit vorausgingen. Als er hinzugekommen war, hatte er gelacht und etwas Lustiges gesagt, das die Kinder nicht verstanden. Er war ein stattlicher und vergnügter Mann, der nichts von Förmlichkeiten hielt und den alle gern hatten. Die Mutter pflegte ihn, auch wenn kein besonderer Grund vorlag, wie erschrocken aus ihren dunklen, schwärmerischen Augen anzusehen. Sie war außerordentlich gottesfürchtig und menschenfürchtig. Seit der junge Herr nach Hause zurückgekommen war, hatte sie eine Art, ihn in ihrer Mischsprache »Pun grof« zu nennen, die den Kindern ehrerbietige Schauer über die Seele jagte. Wenn der Vater sie so hörte, ahmte er ihr gutmütig nach: »Pun grof«, sagte er, machte fromme Augen und blies die Backen auf, dann aber nahm er die Mutter zärtlich um die Schultern.

Als Matthias größer war, merkte er, daß sein Vater sich über den Gutsherrn ein wenig lustig machte. Er kam etwa vom Herrenhause zurück und erzählte ernsthaften Tones eine Unterredung: »Der Graf meint ja, wir könnten ganz einfach die Karauschenzucht eingehen lassen und mal zur Abwechselung Forellen in den Teich setzen. Ich sagte, das ginge ja schließlich …« Aber am Ende seines Berichtes fing er an zu schmunzeln, er schlug sich aufs Knie, und zuletzt lag er nach rückwärts in seinem Sessel und lachte aus vollem Hals. Susa fürchtete sich und sah zu ihrer Mutter hin. Aber Matthias war in sich nicht einig. Er bewunderte seinen Vater und fand es großartig, daß jemand sich innerlich so frei hielt, allein irgendwo in seinem Herzen bestand ein dunkles Gefühl, das ihn hinderte, so recht mitzulachen, – auch als er schon anfing, die Torheiten des Grafen würdigen zu können.

In anderen Stücken freilich folgte er durchaus dem Vater nach, ungewiß, ob überall zu seinem Heil. Ihm war eine Natur eigen, der die Leitung der Religion vielleicht von besonderem Segen gewesen wäre. Doch er sah seinen Vater von kirchlichen Dingen sich abkehren, und er tat es ihm gleich. Bei dem Inspektor entsprang wohl diese Unbekümmertheit jener Empfindung so manches tüchtigen und fröhlichen Menschen, der sich aller Sermone und heiligen Lieder glaubt begeben zu können. Aber es spielte hinein, daß ihm die Kirchenläuferei als eine ganz besonders polnische Angelegenheit erschien – und alles polnische Sonderwesen, wie es sich in der Gegend störend breit machte, war ihm ein Greuel. Auch mochte er den Pfarrer nicht leiden.

Gewiß ist, daß diese persönliche Abneigung bei dem jungen Matthias kräftig mitsprach. Als heranwachsender Knabe erinnerte er sich noch wohl, wie ihn einst die ersten Meßgänge an der Hand der Mutter mit einem dumpfen und süßen Vergnügen erfüllt hatten. Aber als er gerade anfing, die Augen richtig aufzutun, wurde der neue Geistliche in das Gutsdorf versetzt, und bei dessen erster Predigt befestigte sich in Matthias jene Empfindung, die an Haß grenzte. Der Mensch dort oben hatte ihm nichts angetan und würde ihm möglicherweise niemals etwas antun. Aber er verdiente Haß, das war dennoch wahr. Er predigte mit einer rauhen, bellenden Stimme, seine Augen waren klein und trüb und von ungutem Ausdruck, und wenn er mit einer Ermahnung, einem Flehen an die Gemeinde sich wandte, so hob er seine tierisch dicken Fäuste nicht wie ein fromm um Frömmigkeit Bittender, sondern wie ein Schlächter. Er war vermutlich nichts Anderes als ein Bauerntölpel, der wenig in sein Kleid paßte; aber für den jungen Matthias war er nichts Anderes als ein böser, ein gemeiner Mensch. Es wurde Matthias' Mutter bald schwer und dann unmöglich, ihn in die Kirche zu bringen … Auch die Zeit vor der ersten Kommunion und die erste Kommunion selber änderten nichts. Er schauderte ein wenig, als er die Hostie aus der Hand dieses Menschen empfing. Aber dies blieb von dem Tage sein einziger Eindruck.

Da sein Vater mit ihm übereinstimmte, so brauchte Matthias sich von dem Geistlichen nicht unterrichten zu lassen. Es wäre das Natürliche gewesen und wurde mit einer Dringlichkeit angeboten, die man höflicherweise kaum abschlagen durfte; dennoch wurde die Gefahr umgangen. Matthias würde sich also mit dem begnügen, was ihm der Schullehrer beizubringen vermochte, und er würde um ein Jahr früher in die Kreisstadt zur Schule geschickt werden.

Denn Matthias' Vater hatte seine bestimmten und ehrgeizigen Pläne mit dem Knaben. »Inspektor soll er mir nicht werden,« sagte er, als der Kleine noch im Röckchen herumlief. Und seit mehreren Jahren nun stand es fest, daß Matthias die Forstakademie besuchen und sich so eine schöne und sogar vornehme Karriere aufschließen sollte. Matthias war das zufrieden, er hatte den Wald gern wie alle gutartigen Kinder. Übrigens wurde er wenig gefragt; als er dahin gelangte, zu denken, war alles längst beschlossene Sache. Und er hatte auch zunächst nur Annehmlichkeiten von diesem Plan: denn auf dem Vorwerk, auf dem ganzen Gut verlieh es ihm eine gewisse Würde, daß er dazu bestimmt war, in einigen Jahren »nach Eberswalde« zu gehen … Die Männer, die im Winter am Abend manchmal bei seinem Vater zusammenkamen, fingen an, ihn zu bemerken, sie zogen ihn auf mit seinem Studium, und sie taten das mit Achtung. Er saß, ohne daß ihn jemand ins Bett wies, oft ziemlich lange bei ihnen wach und hörte ihren Geschichten zu.

Eine, die der Verwalter eines kleinen benachbarten Gutes mitbrachte, beschäftigte ihn geraume Zeit. Auf jenem Gute wurde, nach alter schlechter Sitte, ein Kettenhund gehalten, ein großer schwarzer Neufundländer. Unter dem Dach des Ökonomiegebäudes dort hatte man, die ganze Front entlang, einen Eisenstab angebracht und an ihm mittels eines verschiebbaren Ringes eine lange Kette; und dem Neufundländer war auf diese Weise die Möglichkeit gelassen, die Länge des Hauses hinauf und hinunter zu jagen. Da er ein ziemlich begriffsstutziges Tier war, so bildete er sich stets von Neuem ein, er sei frei, und brach stets von Neuem in ein wildes Geheul aus, wenn er die Wahrheit einsah. So raste er nun nächtelang halb toll hin und her. Der Inspektor – eben der, der die Geschichte erzählte – hatte seinem Herrn Vorstellungen gemacht; es war unmöglich für ihn und seine Frau, bei dem Höllenlärm zu schlafen, außerdem tat ihm der arme Köter leid. Im Grunde war ja auch, so fügte er hinzu, gar nicht viel zu bewachen, – eine Bemerkung, die von allen mit Vergnügen aufgefaßt wurde, denn man wußte, daß es mit der Besitzung nicht zum Besten stand. Der Herr, der lange sein eigener Verwalter gewesen war, hatte sie hoffnungslos heruntergebracht. Eines Abends nun, wie er, wohl ein bißchen betrunken, aus der Kreisstadt nach Hause kam, fiel es ihm ein, zum Ökonomiegebäude hinüberzugehen, um seinem Wachhund einen guten Abend zu wünschen. Im Frack, den Überzieher überm Arm, geht er auf die Scheune zu … Der Hund läuft ruhelos, heulend, an seiner langen Kette hin und wider. Wie er den Urheber seines Unglückes kommen sieht, bleibt er stehen. Und dann springt er an ihm empor, aber nicht zu einer Liebkosung. Mit einem einzigen Ruck reißt er ihm von oben bis unten den rechten Arm auf, so daß zerfetztes Fleisch durch den Frackärmel herausquillt. Dann legt er sich nieder, als sei er nun, zum ersten Mal, beruhigt …

»Das Sonderbare ist,« sagte der Erzähler, »daß der Herr durchaus keine Wut bekommen hat. Er hat den Hund auch nicht etwa erschießen lassen, sondern losbinden, und nun geht der seit einigen Tagen ganz vernünftig um die Häuser herum. Der Herr sieht ihn von seinem Krankenbett aus durchs Fenster.«

Matthias, der in einer wilden Erregung zugehört hatte, ging hinaus und rief den Hund seines Vaters. Es war ein tapferer, struppiger Terrier, von der Airedale-Rasse, nicht mehr jung; er schlief schon in seiner Hütte. Aber er ermunterte sich und kam mit tolpatschigen Sprüngen durch die Dunkelheit auf Matthias zu. Matthias hockte sich bei ihm nieder und nahm ihn um den Hals. Er sagte: »Guten Abend, Wächter. Dir geht es gut, nicht? Dir tut keiner was …« Er nahm den Hund sacht bei seinen weichen Ohren und ließ sie durch die Hände gleiten, mit einer begeisterten Rührung, die ihn beinahe hätte schluchzen lassen. Wächter schüttelte sich, geniert von der ungewohnten Nähe. Aber zartfühlend, um das wieder gutzumachen, legte er dann eine tröstende Pfote auf Matthias' Arm.

 


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