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LIII.

»Dieses Vermögen besaßen Sie,« sagte ich, »oder richtiger gesagt, Sie meinten, daß Sie es sich verschaffen konnten. Sie verfügten ja über eine Lebensversicherung von dreihunderttausend Kronen.«

»Die des Barons?«

»Nein, Ihre eigene.«

»Warum sollte dann der Baron sterben?«

»Sie wollen mich nicht verstehen,« sagte ich, »aber ich sehe Ihnen an, daß Sie den Zusammenhang ahnen. In Ihren Augen ist eine wachsende Angst. Sie wußten, daß diese dreihunderttausend Kronen bei Ihrem Tode Ihren Erben, also Ihrer Frau, ausgezahlt werden würden. Sterben wollten Sie nicht, das Geld aber wollten Sie gern haben. Darum galt es, jemandes habhaft zu werden, der für Sie sterben konnte. Da war es, daß Ihre Frau ein gewisses Interesse für Marcus Friis faßte. Ich weiß nicht, ob Sie zu dieser Zeit heimlich mit Ihrer Frau zusammentrafen, sicher ist jedenfalls, daß Sie sie bei jeder Gelegenheit ausspionierten. Ihre Verliebtheit war noch immer grenzenlos, Ihr Haß gegen mögliche Rivalen unauslöschbar. Sie sahen, daß sich ein Liebesverhältnis zwischen Ihrer Frau und dem jungen Mann anbahnte, und in Ihrer haßerfüllten Erbitterung sagten Sie sich: Ich habe Verwendung für ein Menschenleben, ich nehme den da … Ich weiß nicht, ob Sie oder Ihre Frau zuerst eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden entdeckten, dieselbe Figur, dieselbe Haltung, dieselben Augen, vor allem derselbe nordisch blonde, alltägliche Typ. Sehr möglich, daß Frau Merete es zuerst entdeckte, sie hat einen scharfen Blick für das Aeußere der Menschen. Dagegen werde ich bis zum letzten behaupten, daß nicht sie es war, die darauf verfiel, diese zufällige Ähnlichkeit zu einem unheimlichen Verbrechen auszunutzen.«

Ich beugte mich über den Tisch.

»Es würde mich interessieren zu erfahren,« sagte ich, »unter welchem Vorwand Sie ihn in die Falle lockten. Wie nannten Sie die Experimente? Hypnotisch-chirurgische? Muskeltransplantationen nach amerikanischem Vorbild? Oder wie?«

»Ich höre nur zu,« antwortete er. »Wenn Sie mit Ihrem Märchen zu Ende sind, werde ich Ihnen antworten.«

»Ich traue Frau Merete zu, daß sie anfänglich nicht für Ihren teuflischen Plan zu haben war. Und selbst, wenn es der Fall war, würde meine Bewunderung für sie dadurch nicht Abbruch erleiden. Dagegen könnte ich mir denken, daß Sie bei einem heimlichen Zusammentreffen zu ihr sagten: Den Mann, der dich so bewundert, könnte ich gebrauchen. Er will gern etwas Geld verdienen, nicht wahr? Ich habe Verwendung für so jemanden für meine Experimente. Vielleicht hat sie geahnt, daß ein tieferer Sinn in diesen Worten lag, vielleicht hat sie bereits damals erneute Bewunderung für Ihre Willenskraft und Ihren Mut gefühlt. Ich kann Ihnen versichern, nur damit kann ein Mann sie gewinnen. Und es ist ihr gleichgültig, ob dieser Mut ihm von edlen oder unedlen Motiven diktiert wird. Nur den Willensstärken und rücksichtslosen Mann bewundert sie. Soll ich Ihnen noch mehr von den letzten Tagen des armen Barons erzählen?«

»Bis jetzt habe ich noch nichts darüber gehört,« sagte Dr. Gravenhag, seine Stimme war so seltsam zaghaft geworden. Er saß ganz unbeweglich auf seinem Stuhl und starrte auf einen goldenen Sonnenstreifen im Teppich. In seiner Unbeweglichkeit lag etwas Drohendes, ich hielt es für angebracht, ihn unausgesetzt zu beobachten. Seine Hand hatte er von der Tischplatte zurückgezogen, seine Finger konnte ich nicht mehr sehen …

»Sie hatten eine Begegnung mit Marcus Friis,« fuhr ich fort, »und Sie überredeten ihn, sich für das Experiment herzugeben. Vielleicht mischten Sie auch ein wenig Hypnose dazwischen, um das Ganze glaubwürdiger zu machen. Und Sie bezahlten ihn reichlich, wie man Medien zu bezahlen pflegt. Der arme Junge war ja reichlich einfältig, daß er sich von Ihrem Geschwätz über die unerhörte Bedeutung des Experimentes für die Wissenschaft verlocken ließ. Es ist nicht nur eine Fabel, daß man das Aeußere des Menschen verändern kann. Ein geschickter Arzt, der die Muskulatur genau kennt und für den die Kunst der Massage kein Geheimnis ist, kann sicher durch kräftige Behandlung einem Gesicht ein bestimmtes Gepräge geben, oder jedenfalls die Maskierung unterstützen, wenn die Zeit gekommen ist. Ich erinnere mich, daß Marcus Friis während der letzten Zeit in der Pension einen eigentümlichen Ausdruck bekam, der im Verein mit einer veränderten Frisur und Kleidung ihm ein fremdes Aussehen verlieh. Jetzt kann ich sehen, daß er Ihnen ähnelte. Er bekam auch in jenen Tagen etwas Aengstliches und Nachdenkliches in seinem Blick, ebenso wie Sie jetzt. Seien Sie ganz ruhig, mein Herr, es ist Ihre eigene Schuld, daß ich Sie an all dies erinnern muß – Sie wünschen es ja. Jetzt kommen wir also zum Monat Juni, erinnern Sie sich noch, wie herrlich das Wetter war – der schönste der nordischen Sommermonate hatte begonnen, und der arme Marcus Friis trat als ein vom Tode Gezeichneter in ihn ein.«

»Und jetzt«, fuhr ich fort, »kommt die letzte Phase Ihrer einzig dastehenden Missetat. In diesen Tagen überzeugten Sie Marcus Friis davon, daß es nötig sei, die Experimente mit – ja, wie nannten Sie es? – mit einer kombinierten Muskel- und Blutprobe abzuschließen, einem Schnitt in das lebende Zellengewebe. Galt es Ihnen doch, jene kreuzförmige Narbe auf der Schulter anzubringen, die nach seinem Tode alle davon überzeugen sollte, daß Sie ermordet waren und nicht er. Widersetzte er sich dem Experiment zuletzt? Mußten Sie eine laute Diskussion mit ihm führen, um ihn zu überzeugen? Und war es, um diese Auseinandersetzung zu übertäuben, daß Frau Merete, die entsetzlich unmusikalische Frau Merete, auf dem Klavier hämmerte? Ich versichere Ihnen, mein Herr, wenn ich an jene Tage in dem frühlingsgrünen, duftenden Garten denke, an das häßliche Klavierspiel und das verängstigte und verwunderte Aussehen des Opfers, und an Ihre eigene hartherzige Entschlossenheit – wenn ich an all dies denke, dann scheint mir das Leben voll greller Kontraste zu sein.«


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