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XXVII.

Wäre es irgendein anderer gewesen, hätte ich ihn ohne weiteres sitzen lassen, in dem Gedanken, daß es ein halbbetrunkener Schwätzer sei, der sich mir aufgedrängt hatte. Etwas in dem Wesen des Mannes aber fesselte mich. Sein Lachen war spöttisch, wie das eines Menschen, der unendlich viel mehr weiß, als der, mit dem er spricht, und der sich deshalb über die Unwissenheit des anderen lustig macht. Sein ganzes Auftreten sprach übrigens dagegen, daß er ein gewöhnlicher Spaßmacher war, er hatte etwas drohend Waghalsiges an sich, und ich bekam den festen Eindruck, daß er etwas Bestimmtes von mir wollte. Außerdem hatte er die beiden ganz nebensächlichen Einzelheiten der Mordgeschichte genannt, so daß ich daran merkte, daß er die Sache jedenfalls genau verfolgt hatte. Ich schenkte ihm ein und bot ihm von meinen Zigarren, – wobei ich seine Hände bemerkte – schöne, gepflegte Hände, geschmeidig und elegant in der Form, Hände, wie man sie bei Künstlern oder Taschendieben sieht.

»Haben Sie sich vielleicht ein Urteil über das Drama gebildet?« fragte ich.

»Ja,« antwortete er.

»Ein Urteil, das Sie für richtig halten?«

»Es gibt keine andere Möglichkeit.«

»Dann müssen Sie ja auch das Rätsel gelöst haben, wie es zugeht, daß ein Mensch zweimal ermordet wird?«

Er zuckte die Achseln.

»Der Ausdruck ist nicht gut gewählt,« sagte er, »ein Mensch kann nicht zweimal sterben.«

»Sie haben aber eine Erklärung für die merkwürdige Aehnlichkeit der beiden Ermordeten gefunden – nehmen wir also an, daß es zwei waren.«

Er nickte.

»Haben Sie auch eine Erklärung dafür, daß beide Ermordeten im Besitz von Dr. Gravenhags Papieren waren?«

»Ja.«

»Aber bester Herr, haben Sie vielleicht auch eine Erklärung für den seltsamen Umstand, daß beide dieselbe Narbe auf der Schulter hatten, ein deutlich erkennbares Kreuz?«

»Auch dafür,« antwortete er.

»Höchst sonderbar,« bemerkte ich, »darüber haben die scharfsinnigsten Kriminalbeamten in Europa vergeblich gegrübelt. Nach allem, was vorliegt, sollte man es nicht für möglich halten, daß ein Außenstehender dieses Rätsel lösen kann.«

Robertson hob seine feine, schmale Hand abwehrend und sagte:

»Ich weiß, was Sie sagen wollen. Sie meinen, daß nur einer, der in das Drama verwickelt war, Aufklärung geben kann, da das Ganze außerhalb menschlichen Begriffsvermögens liegt …«

Wieder lachte er auf seine merkwürdige, spöttische Art.

»Man muß sich nur einbilden, daß man in die Sache verwickelt ist, dann findet man die Lösung.«

Jetzt spielte ich den Ueberlegenen.

»Solche Worte pflege ich den Helden meiner Romane auch in den Mund zu legen,« antwortete ich.

Im selben Augenblick begann das Orchester weit hinten im Saal das kleine, einfache Lied zu spielen. Robertson stützte seinen Kopf in die Hand und lauschte eine Weile, und etwas Abwesendes trat in seinen Blick. Plötzlich sagte er:

»Ich bin nicht musikalisch, aber immer, wenn ich diese Melodie höre, steigt eine dunkle Erinnerung an dänischen Frühling in mir auf, an blühende Apfelbäume und einen verwilderten Garten. Ich sehe, wie die Buchen ihr frisches Laub über ein altes Wirtshaus strecken.«

»Das begreife ich nicht,« sagte ich, »die Melodie selbst hat doch nichts …«

»Es ist auch nicht die Melodie, aber ich hörte sie einst an solchem Ort spielen.«

Und plötzlich, ohne Uebergang – wie ich damals meinte – kehrte er zu dem früheren Thema zurück, indem er sagte:

»Wo glauben Sie, daß Frau Merete sich jetzt aufhält?«

Unwillkürlich stutzte ich.

»Wahrscheinlich in Amerika,« antwortete ich, »oder vielleicht im Osten – man hat ihren Aufenthalt noch nicht entdeckt. Es ist heutzutage ja so schwierig.«

»Warum in Amerika?« fragte er eifrig.

»Weil sie mit ihrem Geliebten unmittelbar vor dem zweiten Morde dorthin abgereist war,« antwortete ich. »Und wahrscheinlich ist sie seither nicht zurückgekehrt.«

»Sie hält sich in Europa auf,« sagte er entschieden.

»Jetzt bin ich an der Reihe, warum zu fragen,« wandte ich ein.

»Weil das mit der Lösung des Rätsels übereinstimmt. Vielleicht kann man ihr im Novembernebel in London begegnen,« fügte er nachdenklich hinzu. »Es ist mir, als ob ich sie an einer Straßenecke aus dem Nebel auftauchen sehe, als ob sie sich davon loslöste – ist es nicht, als ob ihr Wesen eine Verdichtung des kalten und gefühllosen Nebels sei, das Weiße ist die Blässe ihres Gesichtes, das Dunkle sind die Falten ihres schwarzen Kleides. Vielleicht ist sie auch gar nicht dort, vielleicht sitzt sie irgendwo im Süden, in einem dieser mystischen Lokale, wo das Licht von grünen Tischen zurückgeworfen wird, und wo Menschen in einem Rausch von Spiel und Laster und Luxus untergehen. Vielleicht sitzt sie dort und beobachtet Menschen mit ihren mondkalten, forschenden Augen.«

»Kennen Sie sie?« fragte ich.

»Natürlich kenne ich sie,« antwortete er.

»Von vor dem Mord?«

»Nach dem Mord,« antwortete er.

Ich fuhr auf. Sollte ich mich noch länger von ihm mystifizieren lassen?

Er sah nach der Uhr.

»Die Uhr ist halb zwölf,« sagte er, »das Restaurant wird bald schließen. Wie gesagt, ich habe ihre Bekanntschaft nach dem Morde gemacht.«

Er sah mich mit durchdringendem Blick an.

»Als eingebildeter Mitspieler im Drama muß ich natürlich auch sie kennen. Ich gehe immer spät zu Bett,« fügte er hinzu, »haben Sie etwas dagegen, daß ich Ihnen das Rätsel löse? Ich stelle nur die Bedingung, daß wir auf Ihr Zimmer gehen, dieser große Raum geniert mich.«


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