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XV.

Fenneslew merkte, daß niemand sein Kommen gehört hatte – darum verweilte er einen Augenblick im Vorzimmer, um möglicherweise einige Worte von nebenan aufzuschnappen. Als er aber nichts weiter wie die gellenden Töne von »Irmelin Rose« hörte und setzt die Künstlerin sich noch im Gesang zu produzieren versuchte, wurde es ihm zu arg und ohne anzuklopfen betrat er rasch den Raum. Das Zimmer war halbdunkel, drüben in der Ecke aber leuchteten die weißen Tasten eines Klaviers, ein Kleid raschelte, eine Frau erhob sich, und Fenneslew hörte jenen Schrei, der echtes weibliches Erschrecken bedeutet.

»Schaffen Sie Licht,« befahl er, »ziehen Sie die Gardinen zurück!«

Die Frau gehorchte sofort, und als das bleiche Dämmerlicht des Tages durch die Fenster fiel, erkannte Fenneslew das kleine Café, wie er es schon früher gesehen hatte. Auf den ersten Blick glich es fast einem kleinbürgerlichen Wohnzimmer, da waren Tische, Sofas, Lehnstühle, ein Bücherschrank, Palmen in den Ecken und ein Teppich auf dem Fußboden. Andere Dinge aber deuteten auf das Restaurant. An der einen Wand stand ein marmornes Büfett, mit einer Korkziehermaschine, die Borde des Bücherschrankes waren mit Flaschen statt mit Büchern gefüllt, überall standen Aschbecher herum, und die Plüschbezüge waren voll von Druckstellen durch den starken Gebrauch. In dem Zimmer befand sich niemand außer der Klaviervirtuosin, eine sehr starke Dame, mit schäbiger Eleganz gekleidet. Sehr lebhafte, dunkelbraune Augen gaben dem Gesicht einen verschlagenen Ausdruck. Wie sie dort stand, die Hände vor der Brust gefaltet, rief sie alte Theatererinnerungen wach. Es war die Witwe Kilde, die Besitzerin des Cafés – sie hatte den Polizeikommissar sofort erkannt.

Fenneslew zeigte auf die gegenüberliegende Tür und fragte:

»Ist jemand drinnen?«

»Keine Seele,« antwortete sie, »aber Sie können ja selbst nachsehen, denn mir glaubt Ihr ja doch nicht.«

Mit »Ihr« meinte sie die Polizei. Die gute Frau war also gleich in Angriffsstellung.

Fenneslew zog eine dicke Portiere zurück, die förmlich nach altem Tabak duftete. In dem bleichen Tageslicht sah er einen kleinen Raum liegen. Er drehte an dem elektrischen Knopf: aus einigen Lampen, die mit grünem und rotem Seidenpapier verhüllt waren, strömte Licht und vermischte sich mit dem schwindenden Tageslicht. In dieser Beleuchtung traten die Risse in den Plüschbezügen und die Weinflecke auf den Tischdecken unbarmherzig hervor. Es war Dybhavns bekanntes Hinterzimmer, wo die Wirtin nachts ihren intimsten Freunden servierte. Im Augenblick war das Zimmer leer.

Fenneslew machte noch einen kleinen Streifzug in die Küchenräume, um sich zu überzeugen, daß sich wirklich außer der Wirtin niemand in der Wohnung befand. In der Küche herrschte große Unordnung, das Geschirr von der vergangenen Nacht stand noch unberührt da. Die Wirtin bedauerte dies, aber das Mädchen habe Ausgang und käme erst später.

»Das Mädchen – ist das Anina?« fragte Fenneslew.

»Ih, was denken Sie, Anina ist meine Gesellschaftsdame. Nein, es ist eine Alte, die abends aufwäscht.«

Fenneslew ging ins Vorzimmer und holte den schwarzen Ueberzieher. Frau Kilde schien noch nicht zu wissen, um was es sich handelte, doch folgte sie dem Polizeikommissar mit wachsender Besorgnis. Als sie den Mantel sah, fuhr sie auf.

»Himmel, den hat er vergessen!« rief sie.

»Heute nacht, nicht wahr, wie spät war es?«

»Nicht gar so spät,« antwortete Frau Kilde zögernd. Sie war auf Fenneslews ungewöhnlichen Ernst aufmerksam geworden.

»Ist ihm etwas passiert?« fragte sie und zeigte auf den Rock.

»Es ist eine sehr ernste Geschichte mit Dr. Gravenhag passiert,« antwortete der Kommissar.

»Heißt er so, das wußte ich nicht.«

»Wann ging er von hier fort?«

»Heute nacht um vier Uhr.«

»Wann kam er?«

»Gegen ein Uhr.«

»War er allein?«

»Als er kam und ging, war er allein, aber während er hier war, saß er mit einigen zufälligen Gästen zusammen. Er trank einige Whiskys, das war alles.«

»Sprach er mit Anina?«

»Ja, auch mit Anina. Aber sie blieb hier, als er fortging.«

»Ist Dr. Gravenhag in der letzten Zeit häufig hier gewesen?«

»In der letzten Woche hat er jede Nacht bis zum Morgen hier gesessen.«

»Sie haben wohl gesehen, daß er ein feiner Herr war?«

»Hier kommen oft feine Herren,« sagte sie und drehte sich affektiert. »Uebrigens schien mir da etwas faul zu sein, er war immer so ernst und sorgte, daß er vor Tagesdämmern aufbrach. Wir bekommen des öfteren Besuch von solchen Leuten, die irgend etwas auf dem Gewissen haben und nachts nicht schlafen können. Hat er sich das Leben genommen?«

»Er ist heute nacht ermordet worden.«

Es entstand eine Pause, in der man die dicke Frau beschwerlich atmen hörte. Ihre dunklen Augen aber blitzten aufmerksam.

»Er hatte immer viel Geld bei sich,« sagte sie, »und war unvorsichtig. Er zeigte es zuviel.«

Plötzlich fragte sie:

»Was aber wollen Sie eigentlich hier bei mir?«

»Vor allen Dingen suchen wir Anina und ihren Freund ›die Hecke‹.«

»Holger?«

»Ja, Holger.«

Da lachte Frau Kilde laut auf.

»Warum lachen Sie?« fragte Fenneslew gereizt.

»Den haben Sie ja schon,« sagte Frau Kilde, »der ist heute nacht verhaftet worden. Anina war heute vormittag hier und hat es mir erzählt. Holger sitzt schon im Loch.«


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