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XXV.

Jetzt sind wir bei dem Punkt in der Darstellung der Dybhavn-Tragödie angelangt, wo es nötig wird, zu dem Phänomen Robert Robertson zurückzukehren. Wer sich noch der seltsamen Geschichte erinnert, wird wissen, wie sowohl die Kopenhagener als die Berliner Polizei sich vollständig festrannten, und wie die Affäre als eine der rätselhaftesten, die je in der modernen Kriminalgeschichte vorgekommen war, zurückgestellt wurde. Für jemanden, der die Polizeiberichte studiert hat, ist es nicht schwer, genau den Zeitpunkt festzustellen, als die Untersuchungen stockten und sich nicht weiterführen ließen. Es war, als Dr. Arthur Essen zu Fenneslew sagte:

»Wir müssen Frau Merete Gravenhags habhaft werden.«

Frau Merete war nämlich nicht aufzufinden.

Die Berliner Polizei, die ja unvergleichlich arbeitet, wenn es gilt, Personen ausfindig zu machen, konnte nur feststellen, daß Frau Merete in der Gesellschaft eines Freundes oder Beschützers mit Namen Marcus Friis Anfang August ihre Wohnung in der Bozenerstraße 13 verlassen hatte, um über Holland-England nach Amerika zu reisen. Bei der Durchforschung der Listen der Grenzpolizei erfuhr man, daß das Paar ganz richtig die Grenze den 22. morgens passiert hatte, und die holländische Polizei wies nach, daß sie sich am 24. in Rotterdam an Bord der »Batavia« für London eingeschifft hatten. Dort verschwand jede Spur von Frau Merete, und man konnte annehmen, daß sie sich zur Zeit des Mordes im Hotel Kaiserhof an Bord eines Ozeandampfers auf dem Wege nach Amerika befunden habe. Dr. Essen betrachtete es als Hauptbedingung zur Aufklärung des Rätsels, daß Frau Merete zugegen sei. Später zeigte es sich, daß sein Instinkt richtig geraten hatte. Solange aber keine Verbindung mit Frau Merete zustandekam, saß man hilflos fest – wohin man sich wandte, stieß man auf undurchdringliches Dunkel. Und die Verbindung mit Amerika war nicht derart, daß man auf baldigen Bescheid von dort rechnen konnte.

Vor ihrer Abreise von Berlin konnte man Frau Meretens Spuren ziemlich genau verfolgen. Uebrigens gaben diese Aufklärungen keinerlei Anhalt dafür, daß sie irgendwelche Verbindung mit dem Mord gehabt hatte. Auf alle Fälle konnte solche Verbindung nur weitläufig gewesen sein, weil es eine Tatsache war, daß sie mehrere Tage vor dem Morde abgereist war.

Daß sie noch immer mit Marcus Friis zusammen war, verwunderte den dänischen Detektiv nicht. Die Eroberung der schönen Frau durch den jungen Adelsmann hatte seinerzeit in Kopenhagen viel Aufsehen gemacht. Während der letzten Monate waren sie viel in Deutschland herumgereist, ohne sich längere Zeit an einem Ort aufzuhalten. Man konnte dem Paar von Ort zu Ort folgen, Heidelberg, Nürnberg, Weimar. Nach der Rückkehr nach Berlin kehrte das Paar nicht wieder im Hotel ein, sondern merkwürdigerweise mietete Frau Merete eine Wohnung von vier Zimmern in der Bozenerstraße, wo sie allein wohnte. Baron Friis kam täglich, um sie zu besuchen, und nahm seine Mahlzeiten bei ihr ein. Nichts schien darauf zu deuten, daß ein Bruch stattgefunden hatte, doch wohnte Baron Friis bis zu ihrer Abreise in einem Hotel für sich.

Man wurde der alten Polin habhaft, die für Frau Merete in der Bozenerstraße den Haushalt geführt hatte. Sie war voll des Lobes über Frau Meretens freundliche, stille Art. Die gnädige Frau war fast nie ausgegangen, hatte hin und wieder ein Konzert besucht, führte aber im übrigen ein vornehmes, zurückgezogenes Leben. Die Polin beschrieb auch den Baron als einen vornehmen und gentilen Herrn. Außer ihm kam hin und wieder ein Herr zu Besuch, dessen Namen sie nie gehört hatte. Eine elegante Erscheinung, wie ein Offizier in Zivil. Die Alte hatte den Eindruck, daß dieser Herr mit Frau Merete in Geschäftsverbindung stehe, denn sie hatte sie einmal eifrig über Papiere gebeugt sitzen sehen. Sie sprachen immer eine fremde Sprache untereinander, die die alte Polin nicht verstand. Ein einziges Mal war dieser Herr mit dem Baron zusammen zum Mittagessen dagewesen, doch hatte er ganz plötzlich vor Schluß der Mahlzeit das Haus verlassen, und als die alte Polin hineinkam, um abzuräumen, hatte sie die Scherben eines zerbrochenen Glases auf dem Fußboden gefunden. Frau Merete saß in einer Ecke des Zimmers, und der Baron ging so aufgeregt im Zimmer auf und nieder, daß er nicht einmal merkte, wie er auf die Glasscherben trat.

Die Polizei versuchte dieses fremden Herrn habhaft zu werden, doch glückte es ihr nicht.

Währenddessen war die Oeffentlichkeit sehr aufgebracht über die Verbrechen, und die Gemüter in starker Erregung über das Zusammentreffen, daß der Mann, der im Hotel Kaiserhof ermordet worden war, genau dasselbe Aussehen hatte, wie derjenige, der in Dr. Gravenhags Wohnung in Kopenhagen erschossen worden war.

Wer von den beiden war nun Dr. Gravenhag? Da das Gesicht des ersteren von dem Schuß sehr entstellt worden war, nahm man an, daß der Ermordete im Hotel Kaiserhof der richtige Dr. Gravenhag gewesen sei. Wer aber war dann der Ermordete in Gravenhags Wohnung? Und wie konnte der unglaubliche Zufall mit der kreuzförmigen Narbe erklärt werden? War es der richtige oder der falsche Dr. Gravenhag, der zu Lebzeiten solches Aufsehen in Kopenhagen gemacht hatte? Und schließlich: warum waren diese beiden ermordet worden und wer war der mystische Mörder?

Alle diese unheimlichen Fragen beschäftigten lange die Phantasie der Leute, und schließlich mußte die Polizei bekennen, daß es ihr unmöglich sei, diese Fragen zu beantworten.

Für denjenigen, der Robert Robertsons Mitteilungen erhalten hat, ist es nicht schwer, zu begreifen, daß der Herr mit dem militärischen Aussehen, der Frau Merete in Berlin besuchte und den peinlichen Auftritt während des Mittagessens verursacht hatte – daß dieser Herr Robert Robertson selbst war.

Hiermit tritt diese seltsame Persönlichkeit wieder in die Erzählung ein.


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