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XXXVIII.

Sie folgte aufmerksam den Kugeln auf dem grünen Tuch, und erst als sie auf ihren Plätzen liegenblieben, wandte sie sich mir zu und sagte:

»Das ist kein ehrliches Spiel. Sie versuchen mich die ganze Zeit zu erschrecken und nervös zu machen.«

»Aber es glückt mir nicht,« sagte ich, »Ihre Kaltblütigkeit ist bewunderungswürdig.«

Sie stand eine Weile und betrachtete mich, auf das Queue gestützt. Wie gut der elegante, schön eingelegte Stab ihr stand! Der Gedanke, daß sie sich in diesem Augenblick machtlos fühlte, bereitete mir Genuß. Sie heuchelte eine Ruhe, die sie keineswegs besaß. Tatsächlich war sie empört, zu Tode erschrocken, denn ganz plötzlich war ein ganz Fremder aufgetreten, der ihr die Mitwisserschaft ihres tiefsten und furchtbarsten Geheimnisses verriet. Warum ergriff sie nicht die Flucht? Warum suchte sie nicht Schutz bei ihrem Kavalier? Warum schleuderte sie mir nicht mein falsches Spiel ins Gesicht? Nichts von alledem tat sie, und ich verstand sie wohl. Sie war in Wahrheit meiner Bewunderung würdig. Obgleich sie nur eine Frau war, trat sie dennoch mit vollkommener Selbstbeherrschung auf in dieser furchtbaren Lage. Sie wollte Zeit gewinnen. Und sie wollte Näheres erfahren. Sie sah ein, daß ich etwas wußte, sie ahnte aber noch nicht, wieviel. Und hierüber wünschte sie Klarheit zu bekommen.

Wie eine moderne Billardpartie sich im Grunde ausgezeichnet für solche Unterhaltung eignet. Vielleicht wäre es unmöglich gewesen, sie zu führen, wenn wir uns Auge in Auge gegenübergestanden hätten. So aber vermischten die Worte sich mit dem Spiel und bekamen den richtigen Doppelsinn, den Worte haben müssen, wenn zwei einen ernsten Kampf ausfechten. Denn auch ich wollte allerhand sagen, ohne mich zu sehr bloßzustellen.

Ich fragte sie, ob sie die letzten dänischen Zeitungen gelesen habe. Nein, nicht die allerneuesten, sagte sie.

»Wissen Sie,« sagte ich, »daß jetzt Gras über die Geschichte zu wachsen beginnt – sie wird sicher bald zu den unaufgeklärten Verbrechen gelegt werden – falls nicht etwas Unerwartetes eintrifft.«

»Was sollte das sein,« fragte sie. »Mein Mann wurde in seiner Wohnung in Kopenhagen ermordet, während ich in Berlin war. Wie käme ich dazu, alle diese Dinge jetzt wieder aufzuwärmen? Ich bin froh, wenn ich die ganze unheimliche Affäre vergessen kann.«

»Sie haben scharfe und sichere Augen, Frau Merete,« sagte ich, »Sie machen glänzende Stöße. Auch war es sehr geschickt, daß Sie vorhin mein kleines Taschenspielerkunststück entdeckten. Ich halte mich sonst für den gewandtesten Falschspieler Europas. Darin werde ich nur von einem Portugiesen, der Alvarez heißt, übertroffen. Sie hätten einer Partie beiwohnen sollen, die wir einst in Amiens zusammen spielten, bevor wir uns richtig kannten. Diese Partie hätte gefilmt werden müssen  … in den letzten Jahren bin ich leider etwas aus der Uebung gekommen. Ich hatte es nicht nötig. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus, Frau Merete?«

»Daß Sie ein Schurke sind,« antwortete sie.

»Nein, daß ich Geld brauche,« sagte ich.

»Ach so!«

Sie blickte vom Billard auf.

»Viel Geld?« fragte sie.

Ich blickte geradeaus und gab mir den Anschein, als ob ich nachrechnete. Aber ich wich nur der Frage aus.

»Ihr Mann hat sich sehr verändert,« sagte ich.

Plötzlich lachte sie laut auf – ich weiß nicht, wie es kam, aber bei diesem atemlosen, nervösen Lachen wurde mir wirklich unheimlich zumute.

»Das will ich meinen,« antwortete sie, »nachdem er zwei Monate in der Erde gelegen hat.«

»Ich sah Sie gestern mit ihm in der Untergrundbahn,« sagte ich, »so belebte Plätze sollten Sie meiden. Er hat sich, wie gesagt, sehr verändert, aber nicht genug.«

Jetzt schlug Frau Merete plötzlich einen halb scherzenden Ton an.

»Der, den Sie meinen, hat vielleicht eine entfernte Aehnlichkeit mit meinem früheren Mann,« sagte sie. »Er heißt Berner – Joachim Berner, wollen Sie ihn kennenlernen?«

»Ja,« antwortete ich, »es ist schon immer mein Wunsch gewesen, ihn kennenzulernen.«

»Warum?« fragte sie zögernd.

»Weil ich Geld brauche, wie ich Ihnen schon gesagt habe.«

Plötzlich rief sie mit seltsamer Leidenschaft:

»Sie sind der größte Schurke, der mir je begegnet ist, – Schurke durch und durch, ohne eine menschliche Regung.«

»Ich spreche offen mit Ihnen, in Ihrer Gesellschaft werde ich stets offen und unverblümt sprechen. Warum unnütz Zeit vergeuden? Kann ich diesen Mann treffen?«

»Ja,« antwortete sie.

»Wo?«

»In meiner Wohnung. Wissen Sie vielleicht auch, wo ich wohne?«

»In der Bozenerstraße. Ja, ich weiß Bescheid. Ich ziehe es vor, zum Mittagessen zu kommen. Zum zweiten Frühstück bin ich bereits vergeben. Soll ich bewaffnet kommen?«

»Wie Sie wollen. Wenn Sie Angst haben.«

Plötzlich legte sie das Queue fort. Sie wollte nicht mehr spielen.

»Ich bin müde,« sagte sie.

Sie lehnte sich gegen den Billardtisch.

»Sie scheinen sich zu langweilen,« sagte ich, »warum bleiben Sie in Berlin? Fühlen Sie sich hier sicherer?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sicherer?« wiederholte sie. »Sie klagen mich die ganze Zeit an.«

»Ja.«

»Gut, ich gehe auf den Scherz ein, bis morgen abend. Alles wird sich klären, wenn Sie mit …«

»Mit Ihrem Mann …«

»Mit dem, den Sie meinen Mann nennen, gesprochen haben. Für heute ist es genug. Gehen Sie jetzt – mit Ihrem gestohlenen Gewinn.«

»Nein,« sagte ich, »ich bleibe, Sie gefallen mir, ich möchte Sie noch länger ansehen.«

Indem sie mich verließ, musterte sie mich mit einem seltsam prüfenden Blick. Bald darauf sah ich sie im Ballsaal mit ihrem Hauptmann. Sie hatte alle Ursache zu überlegen, und es denkt sich gut beim Tanzen. Vielleicht würde ihr über kurz oder lang ein Ausweg einfallen. Ich dachte bei mir, ob es mir wohl glücken würde, heil aus dieser Affäre herauszukommen.


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