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XIV.

Im Laufe des Nachmittags hatten die Detektive, nachdem sie die Droschkenkutscher, Hauswarte, Straßenbahnführer und Schutzleute der Nachbarschaft verhört hatten, verschiedenes Material gesammelt. Indem Fenneslew alles sorgfältig zusammenhielt, meinte er bereits eine Lösung zu ahnen, obgleich einige Punkte vollständige Verwirrung in seine Schlüsse brachten.

Da war erstens der Umstand, daß Dr. Gravenhag gegen Mitternacht ausgegangen war. Ueber die Tatsache selbst herrschte kein Zweifel. Nicht nur der wachthabende Schutzmann hatte ihn gesehen, sondern auch andere. Der Autofahrer Nr. 235 hatte ihn vom Osten der Stadt zum Hotel Phönix im Mittelpunkt der Stadt gefahren – genau konnte der Chauffeur die Zeit nicht angeben, meinte aber, daß es zwischen zwölf und halb ein Uhr gewesen sei, was mit der Zeitangabe des Schutzmannes übereinstimmte. Außerdem sagte der Oberkellner im Hotel Phönix aus, daß Dr. Gravenhag, der Stammgast war, kurz vor ein Uhr dort eingetroffen sei. Er hatte einige Minuten in der Halle gesessen, hastig zwei Gläser Kognak geleert und war dann wieder fortgegangen. Der Ober hatte bemerkt, daß Dr. Gravenhag es eilig zu haben schien, denn er hatte mehrmals auf seine Uhr gesehen. (Seine Uhr, stellte Fenneslew im stillen fest, er hatte also eine Uhr bei sich gehabt.) Als Dr. Gravenhag aufbrach, bot der Oberkellner ihm an, ob er einen der Jungen nach einem Auto schicken solle. Ist nicht nötig, hatte Dr. Gravenhag erwidert, ich habe nicht weit zu gehen. Darauf hatte er sich eilig in die Richtung des Königsneumarktes entfernt, also entgegengesetzt seiner Wohnung. Es war den Detektiven nicht geglückt, jemanden aufzutreiben, der ihn später noch gesehen hatte. Das Rätsel, wann er nach Hause zurückgekehrt war, blieb also ungelöst.

Indessen war ein neuer Umstand hinzugekommen, der Fenneslew zu denken gab. Alle drei, der Schutzmann, der Chauffeur und der Oberkellner, hatten angegeben, daß Dr. Gravenhag einen schwarzen oder jedenfalls sehr dunklen Sommerüberzieher anhatte, im Rücken geschweift und mit aufgesetzten Taschen, dazu einen grauen Filzhut mit schwarzem Band. Diesen Ueberzieher konnte Fenneslew nirgends in der Wohnung finden. Der Hut dagegen hing auf dem Korridor. Es war ja denkbar, daß der Mörder nach verübter Tat den Mantel angezogen hatte, um sich unkenntlich zu machen. Darum sandte er ein Signalement dieses Ueberziehers aus, und während einiger Stunden wurden alle Herren in der Stadt, die einen schwarzen Mantel trugen, aufs schärfste von der fliegenden Detektivschar aufs Korn genommen, doch ohne daß man den richtigen fand. Da, ungefähr um fünf Uhr, kamen die ersten Berichte über einen Mann, den man »die Hecke« nannte, vielleicht weil er meistens keine andere Adresse hatte als Gottes freie Natur. Im übrigen hieß er Holger, war noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, hatte aber schon ein langes Sündenregister bei der Polizei. Dem wachthabenden Schutzmann war nämlich eingefallen, daß er Holger mehrmals in der Nähe von Dr. Gravenhags Tür gesehen hatte, als ob er jemanden erwarte. Der Schutzmann hatte ihn gefragt, was er dort zu suchen habe, der junge Mann aber, der nach Schnaps roch, hatte frech geantwortet, man könne wohl auf der Straße gehen, wo man wolle, und hatte sich dann schleunigst gedrückt.

Anfangs legte Fenneslew dieser Mitteilung nicht viel Gewicht bei, bei Mordgeschichten entstehen ja immer eine Unmenge Gerüchte. Er war gerade im Begriff gewesen, Café Dybhavn einen Besuch abzustatten, zögerte aber noch einige Minuten, um den Polizeibericht über »die Hecke« durchzulesen. Er lautete: Landstreicher, unter polizeilicher Aufsicht, vermutlich Zuhälter der Kellnerin Anina Hansen, sehr gefährlich unter Alkoholeinfluß, als Falschspieler verdächtigt.

Ein recht hübsches Zeugnis; das einzige, was Fenneslew dabei interessierte, war der Aufschluß über Anina Hansen. Das mußte dieselbe Anina sein, die auf der Rechnung aus Café Dybhavn mit »Pottwein« glänzte. Fenneslew schickte sofort einen Haftbefehl für »die Hecke« aus und nahm ein Auto zum Hafenviertel. Während er im Wagen saß, spürte er, wie die Fäden sich bereits zu einem Netz zusammenknüpften, er arbeitete nicht mehr im Dunkeln, es gab bereits eine Verbindung zwischen dem Ermordeten, Dybhavn, Anina und ihrem Lump von einem Freund – eine Kette, die mit dem Opfer begann und mit dem Mörder schloß. So stellte sich die Sache dar, und überzeugt, daß er sich auf dem richtigen Wege befand, drang Fenneslew abends gegen sieben Uhr ohne Begleiter in das kleine Restaurant ein.

Eine enge Wendeltreppe führte vom Torweg aus in das Lokal. Erst kam er in einen sehr kleinen Vorraum, und das erste, was er sah, war der Ueberzieher des Ermordeten oder jedenfalls einer, der ihm auf ein Haar glich, er war schwarz und im Rücken geschweift. Er hing als einziger Herrenmantel zwischen lauter Damengarderobe. Das Vorzimmer war übrigens voll von Plunder, Hutschachteln, Gummischuhen, Spiegeln, Puderdosen und Haarkämmen. Die Tür zum Nebenraum war verschlossen, Fenneslew aber hörte jemanden Klavier spielen, ein abgehackter Anschlag auf einem elenden, verstimmten Instrument. Was war es doch für eine Melodie, dachte er flüchtig. Ach, richtig. Es war »Irmelin Rose«.


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