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XXXIII.

Vielleicht wird man fragen, wie es mir möglich war, Dr. Gravenhag so von Ort zu Ort zu folgen? Das ist gar nicht schwer, wenn man nur die richtige Methode wählt. Ich hatte einen Autotaxameter gemietet, und als Chauffeur verkleidet folgte ich ihm, der zu Fuß ging. Es fiel ihm natürlich nicht ein, Verdacht gegen ein langsam fahrendes Auto zu hegen, das bald vor ihm, bald hinter ihm war. Als er im Café Dybhavn verschwand, wartete ich an der nächsten Ecke – dort konnte er mir nicht entgehen, und es war nicht unangenehm, in der milden Nacht zu sitzen und eine gute Zigarre nach der anderen zu rauchen. Ein Mensch, der an derselben Stelle stehenbleibt, um zu spähen, erregt leicht Aufmerksamkeit, ein Wagen aber, der still hält, fällt niemandem auf. Außerdem hatte ich in jener Nacht mehr Glück, als ich ahnen konnte.

Gegen vier Uhr kam er aus dem Café. Ich erkannte ihn sofort, obgleich er sich etwas verändert hatte. Ich war ihm jetzt so oft gefolgt, daß allein seine Bewegungen ihn mir verrieten. Jetzt trug er einen hellbraunen Mantel, und außerdem hatte er sich mit einem buschigen Schnurrbart ausgestattet, der seine Lippen teilweise verbarg. Er sah sehr barsch aus. Ich sagte mir gleich, daß er zwei Mäntel angehabt haben mußte, als er ins Café Dybhavn ging, den einen über dem anderen. Den dunklen hatte er im Vorraum hängen lassen. Der Schnurrbart war etwas schief aufgesetzt, aber das konnte ja in der Dämmerung leicht passieren. Jetzt wollte er also unerkannt sein, und ich fragte mich selbst: Was in aller Welt soll das bedeuten?

Während er auf dem Fußsteig stand, schien er eine Weile zu überlegen. Er spähte die Straße auf und nieder. Sie lag menschenleer, als man aber die Schritte von zwei sich nähernden Schutzleuten hörte, schien er einen Entschluß zu fassen. Er kam auf mich zu. Die Juninacht kam mir plötzlich kalt vor, so daß ich den breiten Chauffeurkragen bis an die Ohren hochschlug.

»Sind Sie frei?« fragte er.

»Ja,« antwortete ich.

»Können Sie mich nach Roskilde fahren?«

Ich frohlockte innerlich, wollte aber nicht zu viel Entgegenkommen zeigen und sagte:

»Das ist eine lange Fahrt.«

»Haben Sie nicht genug Benzin?«

»Doch. Aber es wird teuer.«

»Wollen Sie fahren oder nicht?« fragte er nur.

»Ja, Herr.«

Er öffnete selbst die Tür und stieg ein; bevor er sie aber hinter sich schloß, rief er mir zu:

»Sie brauchen nicht schnell zu fahren, ich habe keine Eile.«

»Zu welchem Hotel?« fragte ich.

Er überlegte eine Weile.

»Welches Hotel außer dem ›Prinz‹ gibt es?«

Ich wollte ihn prüfen und sagte:

»Der ›Prinz‹ ist das beste.«

»Dort paßt es mir nicht,« sagte er mürrisch.

»Hotel Cosmopolite,« schlug ich vor.

»Gut, Cosmopolite.«

Ein einziges Mal während der Fahrt erdreistete ich mich, in den Wagen zu sehen. Er saß unbeweglich in der Ecke, mit geschlossenen Augen, eine brennende Zigarre unter dem buschigen Schnurrbart.

Ich war ziemlich langsam gefahren, und das Auto war auch schlecht, so daß wir nicht vor sieben Uhr in Roskilde anlangten. Er stieg vor Hotel Cosmopolite aus, bezahlte gut und ließ mich weiterfahren – er hatte mich nicht erkannt.

Ich war sehr gespannt, was jetzt geschehen würde, und hielt, so gut es ging, beide Hotels im Auge, die nicht weit auseinander lagen. Ich betrat die Halle des Hotels Prinz und studierte die Fremdentafel. Während ich noch dastand, hörte ich den einen Hausknecht zum anderen sagen, daß die Dame von Nr. 7 mit dem Berliner Schnellzug, der um 7.45 ging, fahren wolle. Ich ahnte, daß es Frau Merete sei, und als ich kurz darauf ihre elegante, dichtverschleierte Gestalt die Treppe herunterkommen sah, eilte ich zum Bahnhof.

Kurz darauf kam sie. Und Dr. Gravenhag auch. Ich konnte feststellen, daß auch er eine Fahrkarte nach Berlin gelöst hatte.

Die beiden grüßten einander nicht und stiegen wie zwei Fremde in den Zug. Wenn ich später an diese Szene auf dem dampfwirbelnden Bahnhof dachte, ist mir immer ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Sicher haben sie einander dennoch verständnisvolle Blicke auf dem Bahnsteig zugeworfen, und seine Augen müssen von einer unheimlichen Handlung berichtet haben.


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