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XXXVI.

Ein andermal traf ich meinen Mann in einem Spielsaal in Ostende. Ich saß neben ihm beim Roulette. »Mein Herr,« sagte ich zu ihm, »spielen Sie nicht weiter. Sie verlieren.« »Was kümmert das Sie,« fragte er mich und starrte mich mit seinem Monokel an. »Weil Sie mein Geld verspielen,« antwortete ich. »Sehen Sie den graubärtigen Herrn dort an der Säule? Das ist ein verkleideter Polizeibeamter. Er wurde überglücklich sein, wenn ich auf ihn zuginge und ihm fügte, daß er einen Teil der bei Jupin gestohlenen Juwelen in dem kleinen roten Saffianetui in Ihrer linken Brusttasche finden kann. Ich weiß, daß Sie für zwanzigtausend Franken an den alten Juden in Charleroi verkauft haben. Diese Summe gehört mir, spielen Sie noch einmal, gehe ich schnurstracks zu dem Beamten hin und erzähle ihm diese interessante Geschichte.« »Was wollen Sie von mir?« fragte er, indem er erblaßte. »Ich möchte Sie einen Augenblick unter vier Augen sprechen,« antwortete ich, und wir erheben uns beide.

Hier haben Sie meine Art zu arbeiten. Ich darf wohl sagen, daß ich mit der Zeit ziemlich gefürchtet und nicht weniger gehaßt worden bin. Unter gewissen Umständen ist mein Leben keinen Heller wert. Aber auch diese Seite der Sache hat für mich einen Reiz, den ich genieße. Ohne diese Spannung wäre das Leben mir unerträglich.

Dies ist zugleich der Grund, weshalb ich der Polizei in Kopenhagen meine Mitwisserschaft von der Gravenhag-Affäre nicht zugute kommen lassen konnte. Ich hätte mir selbst im Licht gestanden, denn ich arbeitete ja für meinen eigenen Vorteil. Wie ein Spürhund, der das Wild wittert, hatte ich schon lange geahnt, daß ein Verbrechen in Vorbereitung war. Nur die Art des Verbrechens überraschte mich einen Augenblick. Ich behielt meine Kenntnisse für mich und reiste nach Berlin, um die handelnden Personen aufzusuchen und meinen Lohn zu fordern. Das ist das ganze Geheimnis, ohne beschönigende Redensarten.

Ich suchte Frau Merete, denn sie war am leichtesten aufzufinden. Doch dauerte es merkwürdig lange, bevor ich ihre Spuren fand. Endlich, nachdem ich lange von Stadt zu Stadt gereist war, traf ich sie in Berlin, in einem jener eleganten Klubs, wo sich nach Mitternacht ein etwas mystisches Treiben entwickelt. Der Klub wurde im intimen Kreis ganz einfach »Circolo« genannt. Es war ein verkappter Spielklub. Meine Reisen und die teilweise kostspieligen Unternehmungen, um Frau Merete zu finden und gleichzeitig mich selbst zu decken, hatten meine Brieftasche sehr dünn gemacht. Darum war es höchste Zeit, als ich Frau Merete im »Circolo« in der Martin-Luther-Straße entdeckte, wo ich gleichzeitig durch Spiel etwas Geld verdienen konnte. Durch Bekannte wußte ich, daß dort hoch gespielt wurde.

Nachdem Frau Merete eine Zeitlang unter falschem Namen herumgereist war, hatte sie nach ihrer Rückkehr nach Berlin ihren richtigen Namen Gravenhag wieder angenommen, als sie ihre Wohnung in der Bozenerstraße bezog. Da sie schön und elegant war und den Ruf hatte, reich zu sein, war sie sehr bald von diesem Kreis ausgenommen worden. Hier traf sich Kavalier mit Kavalier, und ein anderer Ton als der korrekteste wurde gegen Damen nicht geduldet. Man konnte den Kreis ein plombiertes Monte Carlo nennen. Alles war dort stilvoll, doch wie in dem wirklichen Monte Carlo mußte man es natürlich ignorieren, daß ein Schwindler neben einem Fürsten stand, oder daß eine Kokotte am Bridgetisch die Partnerin einer im Gotha prunkenden, etwas lebensmüden und vielleicht etwas sensationshungrigen litauischen Gräfin war.

Dort nahm ich eines Abends – ganz zufällig, das schwöre ich – an einer Partie teil, der auch Frau Merete angehörte. Sie war, wie ich erwartet hatte, scheinbar ohne das geringste Interesse für ihre Umgebung, aber nur scheinbar, denn gleichzeitig beobachtete sie alle aufmerksam, mit einem ironischen und müden Blick ihrer halbgesenkten Augen. Vielleicht war sie noch um einen Schatten blässer als das letztemal in Kopenhagen. Ihr Kavalier war zur Zeit ein junger Offizier, der demzufolge von ihr mit äußerster Gleichgültigkeit behandelt wurde. Dagegen beobachtete ich, daß das Spiel sie tief und echt interessierte. Während der Offizier sie umkreiste und feurig mit seinen Sporen klirrte, war sie ausschließlich ins Spiel vertieft.

Ich wiederhole, daß ich gerade knapp an Geld war. Ein Mensch wie ich aber kann nicht lange ohne Geld sein – das ist ein Mangel, dem abgeholfen werden muß. Wie gesagt, wir spielten hoch, und ich gewann, und sie saß neben mir. Und plötzlich macht sie eine Bewegung, die mich zwingt, ihr eine gewisse Sache zuzuflüstern, sonst hätte ich die Situation nicht retten können. Sie legte nämlich plötzlich die Karten nieder, und in ihrem herzlosen, aber funkelnden Blick lese ich, daß sie drauf und dran ist zu sagen: Ich habe entdeckt, daß der Herr neben mir falsch spielt!

Sie kam aber nicht so weit, denn ich legte schnell meine Hand auf die ihre und flüsterte:

»Frau Merete, ich habe heute Ihren ermordeten Mann gesehen.«


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