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XLVIII.

Bevor ich berichte, was an dem wichtigen 27. August passierte, will ich noch einen Tag weitergehen und von meinem Zusammentreffen mit Frau Merete am darauffolgenden Tage, also am 28., erzählen. Ich hatte ihr eine Mitteilung geschickt, daß ich sie in der Halle des Hotels Kaiserhof beim Fünfuhrtee sprechen wollte. Ich war Punkt fünf Uhr zur Stelle, und sie kam einige Minuten darauf. Wenn ich später in den Zeitungen von dem Herrn auf Zimmer Nr. 304 las, der so total verschwunden war nach dem schicksalsschweren 27., habe ich immer still für mich lachen müssen, denn ich bin noch oft im Hotel gewesen, habe im Restaurant gegessen und sogar einige Tage dort gewohnt. Häufig bin ich an dem klugen und aufmerksamen Portier Heinemann vorbeigegangen und habe ihm frech ins Gesicht gesehen, er aber hat keine Ahnung gehabt, wer ich war. Wie geht das zu? Das Rätsel ist sehr einfach zu lösen und ich will es hiermit allen denen verraten, die sich zu maskieren und unter einem falschen Aeußeren zu verbergen suchen: man muß so lange in einer falschen Maske auftreten, bis man eine Maske wünscht, dann muß man sie abwerfen und in seiner eigenen Gestalt auftreten. Das ist das ganze Geheimnis.

Es war also nicht mehr der Herr von Nr. 304, der in dem von Menschen wimmelnden Palmengarten saß, sondern ein jüngerer, elegant gekleideter Herr, der seine Dame voller Anstand begrüßte. Die Umsitzenden konnten annehmen, daß es zwei Verwandte waren, die sich hier ein Stelldichein gegeben hatten. Sie fielen nämlich als ein sehr hübsches Paar auf, man versuchte ihrer Unterhaltung zu folgen; da es sich aber zeigte, daß sie eine Sprache redeten, die niemand verstand, ließ man sie in Ruhe.

Ich kann wohl sagen, daß dies die seltsamste Unterhaltung war, die ich je geführt habe, vielleicht auch die bedeutungsvollste für mich. Ich war erregt, denn ich wußte ja, welch entsetzliches Geheimnis einige Zimmer über unseren Köpfen brütete. Das Riesenhotel gab ein leises Gemurmel von Menschenstimmen, Schritten und Fahrstuhlrollen von sich. Es erreichte mein Ohr wie eine leise und vertrauliche Stimme, die mich peinigte. Etwas Drohendes schien darin zu liegen. Es machte einen seltsamen Eindruck auf mich, alle diese sorglosen Menschen um mich herum zu sehen, die lachten, flirteten und der Musik lauschten, oder ein und aus, treppauf und treppab liefen, gedankenlos, vergnügt. Es ist sonderbar, wie sich mitten im Gewimmel des täglichen Lebens ein furchtbares Geheimnis verbergen kann.

Ich sah Frau Merete gleich an, daß sie ahnte, daß etwas geschehen sei. Sie war nicht so sicher wie sonst, und ihre Hand zitterte im Handschuh, als sie die meine drückte. Ich freute mich über ihre Aengstlichkeit, weil ich dadurch die Rolle eines Beschützers bekam, die mich befriedigte. Denn an meiner Kaltblütigkeit war nichts auszusetzen.

Ich hatte mich sorgfältig vor den großen Wandspiegeln in der Halle gemustert. Der Tee wurde serviert, und als sie an ihrem Glase nippte, erschauerte sie, als fröre sie, obgleich es einer der wärmsten Sommertage war.

Sie fragte:

»Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ja, gestern,« antwortete ich.

»Später nicht mehr?«

Sie sah mich ängstlich von der Seite an.

»Nein,« sagte ich, »später nicht wieder. Und Sie wohl auch nicht?«

Statt zu antworten, legte sie hastig ihre behandschuhte Hand auf meine. In leisem, aber eindringlichem Ton sagte sie:

»Sagen Sie mir nicht die Wahrheit, nicht die ganze Wahrheit, hören Sie.«

»Die Wahrheit, dünkt mich, ist besser als Ahnungen,« sagte ich, »und Sie müssen sie ja doch erfahren. Darum habe ich Sie hergebeten. Von unserem heutigen Beisammensein hängt viel ab. Wollen wir uns wiedersehen?«

Sie antwortete nicht.

»Liebten Sie ihn?« fragte ich.

»Nicht mehr.«

»Sie wissen, daß ich Sie liebe?«

»Ich habe es seit einigen Tagen gewußt.«

»Ich danke Ihnen, daß Sie mein Leben gerettet haben.«

»Ich?« rief sie mit einer Verlegenheit, die nicht ganz echt war.

»Ja, denn ich fühlte, daß Sie in der Tiefe Ihrer Seele den Wunsch hatten, ich möchte mich von dem Fenster zurückziehen, wo die verräterische Kugel mich getroffen hätte.«

»Vielleicht,« flüsterte sie.

»Das hat mir den Mut zum Handeln gegeben,« sagte ich, »und jetzt frage ich Sie noch einmal, wollen wir uns wiedersehen?«

Sie antwortete noch immer nicht.

»Wenn Sie nein sagen, trennen unsere Wege sich, und unsere Begegnungen werden nur ganz zufälliger Natur sein. Soll ich Ihnen sagen, wie es werden wird? Es kommt ein Tag in Ostende …«

Sie unterbrach mich.

»Ich möchte doch erst die Wahrheit hören,« sagte sie. »Was hat sich ereignet?«

Ich antwortete:

»Ich habe im Duell gesiegt. Er ist tot.«


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