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XXXV.

Ende Juli fand Robert Robertson Frau Merete in Berlin. Wie er die Jagd nach ihr und ihrem Begleiter betrieben hatte, braucht hier nicht näher auseinandergesetzt zu werden, da es den eigentlichen Kern der Sache nicht weiter berührt. Robertson reiste unmittelbar nach dem Mord in Dr. Gravenhags Wohnung nach Berlin. Im Café Bauer las er, welch unerhörtes Aufsehen das Verbrechen in Kopenhagen machte, er las auch von Frau Meretens hastigem Besuch in der dänischen Hauptstadt und ihrer darauffolgenden Abreise. Lange war es ihm nicht möglich, ihre Spur zu finden, und er glaubte schon, daß sie wirklich Deutschland verlassen und sich auf der anderen Seite des Ozeans in Sicherheit gebracht habe.

Robert Robertson sagt selbst, daß er unmittelbar nach dem Morde die Sache durchschaute und das Rätsel lösen konnte, wenn er sich der Polizei mitgeteilt haben würde.

Man wird fragen: Warum tat er es nicht? Und dieselbe Frage richtete ich an jenem unvergeßlichen Abend an ihn.

Darauf antwortete er mir, indem er bedeutungsvoll mit dem Finger auf seine Brust zeigte: »Weil die Polizei dann natürlich zuerst fragen würde: ›Wer sind Sie denn, mein Herr?‹ Und auf diese Frage wünschte ich nicht zu antworten.«

Hiermit kommen wir auf die sonderbare Existenz von Robert Robertson überhaupt. Anfangs habe ich bereits eine flüchtige Beschreibung von ihm gegeben. Bevor der Weltkrieg die ungeahnten Abgründe von Schlechtigkeit und Gemeinheit im Gemüt der Menschen bloßlegte, würden die meisten ein Dasein wie Robert Robertsons für unmöglich halten, jetzt aber weiß man, daß nichts unmöglich ist. Ein Verbrecher im gewöhnlichen Sinne ist er nicht, und vielleicht kann man im Zweifel sein, ob er, moralisch gesehen, überhaupt ein Verbrecher zu nennen ist, obgleich die meisten seiner Handlungen von den menschlichen Gesetzen hart bestraft würden. Mit unheimlicher Offenheit erklärt er seinen Standpunkt selbst folgendermaßen:

Anfangs war ich ein ganz gewöhnlicher Verbrecher. Ich begann meine Laufbahn damit, daß ich meine Familie bestahl. Später bestahl ich auch andere. Ein paarmal bin ich bestraft worden, aber nicht schwer, da ich bereits anfangs einen wissenschaftlichen, ich möchte sagen künstlerischen, Maßstab an meine Handlungen legte. Ich gehörte zu jenen Naturen, die sich nirgends anders als in der Welt des Verbrechens bewegen können. Eine ehrbare Arbeit, sogar eine, die andere vielleicht ungewöhnlich interessant und abwechslungsreich finden, ist für mich wie ein langweiliges Brachliegen. Ich bin mit dem Geist des Verbrechens geboren und kann ohne ihn nicht leben, wie ein Morphinist nicht ohne sein Stimulans existieren kann.

Doch wie ein Morphinist beständig seine Dosen vergrößern muß, so erhöhe auch ich den Genuß der Schuld, indem ich den Wert des Verbrechens verdopple. Auf diese Weise erreiche ich eine dreifache Wirkung: ich mache das Verbrechen für mich selbst genußreich und ungewöhnlich, ich bekomme Gelegenheit, meine ritterliche Veranlagung zu entwickeln, und schließlich gewinne ich dadurch eine relative Sicherheit vor den Nachstellungen der Polizei.

Kurz ausgedrückt, könnte man sagen, daß ich ein Parasit auf dem eigentlichen Verbrechen bin. In meinem verhältnismäßig kurzen Leben habe ich fast alle Phasen des Verbrechens durchgemacht. Einst war ich daran beteiligt, ein ganzes Haus in Madrid zu stehlen. Wenn ich Ihnen erzählen würde, wie ich es zuwege brachte, Baron Hohenburgs Silbersammlung in Amsterdam zu entwenden, würden Sie staunen. Niemand hat elegantere Juwelendiebstähle ausgedacht als ich. Ein erstklassig ausgeführter Juwelendiebstahl ist die Feuerprobe für den geborenen Verbrecher. Doch mein Streben ging höher hinaus, und eine Zeitlang nahm ich abenteuerliche Manöver mit wichtigen Staatspapieren vor. Diese Diebstähle oder, richtiger gesagt, diese Käufe und Verkäufe brachten mir viel Geld ein, und fast hätten sie mir sogar einen glänzend bezahlten Posten als diplomatischer Agent im Dienste eines großen Staates eingebracht. Aber der bloße Gedanke, daß ich unter den Zwang einer ehrbar bürgerlichen Stellung geraten könnte, schreckte mich ab. Inzwischen hatte ich die Idee zu meiner neuen Tätigkeit gefunden, einer Tätigkeit, die mich mehr und mehr mit Befriedigung erfüllt, um so mehr als sie mir eine Aufgabe hier im Leben gibt.

Nachdem ich mehrere Jahre in Europa herumgereist war, kannte ich bester als irgendein Polizeibeamter die internationale Verbrecherwelt. Tatsächlich gibt es nicht viele Verbrecher von internationalem Typ – vielleicht einige hundert Stück – und es verwunderte mich, daß ich immer wieder auf dieselben Gesichter stieß. Wenn ich sah, wie zwei, die zusammen arbeiteten, heimliche Zeichen austauschten, oder ein Stelldichein verabredeten, oder sich den Anschein gaben, als ob sie sich nicht kannten, konnte ich fast mit Sicherheit den geplanten Streich voraussehen. Und wenn der Streich gelungen war, amüsierte ich mich über die Anstrengungen der Polizei; ich hätte den Verbrecher ja ohne weiteres angeben können.

Dadurch kam ich auf die Idee. Eine schwere Aufgabe ist es nicht, wenn man reiche Erfahrung besitzt und ein sicheres Auftreten hat. Eigentlich besteht meine Tätigkeit darin, daß ich andere für mich arbeiten lasse und dann einen großen Teil der Früchte einstreiche. Beruht auf diesem Prinzip nicht eigentlich die ganze Ordnung des modernen Staates? Zum Beispiel: Aus gewissen Anzeichen in meinem Bekanntenkreis ersehe ich, daß ein Bankdiebstahl vorbereitet wird. Aha, ich wittere eine Affäre. Damit das Ganze leichter geht, schiebe ich im geheimen vielleicht etwas nach, ohne daß ich mich meinen Arbeitern zeige. Dann geht das Vorhaben vom Stapel. Es ist ein ungewöhnlich gut vorbereitetes Verbrechen. Die Polizei steht stumm und ratlos. Die Verbrecher bewegen sich vollkommen frei, in dem Bewußtsein, daß ihnen nichts geschehen kann. Wenn sie auseinander gehen, was häufig geschieht, behalte ich den Führer im Auge. Reist er, reise ich mit. Und wenn ich den Zeitpunkt für gekommen halte, schlage ich zu. Einst geschah es während einer Pause in der Berliner Oper. Ich ließ einen eleganten, sogenannten polnischen Grafen aus einer Loge rufen, wo er zwischen schönen Frauen gesessen hatte, und sagte zu ihm: »Mein Herr, hier kann niemand uns hören. Sie sehen die Abrechnung hier in meiner Hand. Bei dem letzten Diebstahl in der Magdeburger Bank war Ihr Anteil sechzigtausend Mark. Davon kommen dreißigtausend Mark auf mich. Ich weiß, daß Sie im Besitz dieser Summe sind. Wollen wir nicht gleich in aller Diskretion abrechnen?«


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