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XXVIII.

In diesem Augenblick dachte ich bestimmt, daß der Mensch mich zum besten haben wollte, ich hatte aber Lust, auf den Scherz einzugehen, weil er ein ungewöhnlicher Mann war. Ob er Komödie spielte oder nicht, jedenfalls hatte er etwas Bestechendes, das Eindruck auf mich machte. Dazu kam, daß er mir einen gewissen unheimlichen Schauder verursachte. Ich dachte bei mir: Spielt er Theater, dann spielt er jedenfalls verflucht gut. Darum sagte ich:

»Es ist mir ein Vergnügen, mit Ihnen auf meinem Zimmer zu plaudern.«

Wir gingen zusammen hinauf.

Wie deutlich erinnere ich mich noch jener Novembernacht! Die Fenster meines Zimmers gingen zum Meer hinaus, das im Mondschein glitzerte. Ich zog die Vorhänge zurück, so daß wir den Hafen und den Sund und die schwarzen Masten der Schiffe sehen konnten. Auf den niedrigen Rauchtisch zwischen unseren Sesseln stellte der Kellner eine Flasche Whisky, und aus meinem Koffer nahm ich eine Kiste extra feiner Zigarren.

So war alles aufs beste bereit für eine behagliche Plauderstunde an einem Winterabend. Die Unterhaltung aber, die jetzt folgte, paßte nur schlecht zu diesem Arrangement … Malmö und die Küste am Sund haben manchmal anfangs Winter ein Klima wie die Riviera, eine fast sommerliche Wärme, es ist, als ob das Wasser warm aus dem Skagerrak käme und seine Hitze übers Land triebe. Mehrere Male im Laufe der Nacht öffnete ich das Fenster, um den Zigarrenrauch auszulüften, und dann spürte ich diesen heißen Hauch vom Meere, der mich fast in Schweiß brachte. Später ist mir eingefallen, ob es nicht auch Robert Robertsons Erzählung war, die mir den Kopf heiß machte. Statt einer interessanten, vielleicht etwas pikanten Plauderstunde, empfing ich den Bericht über die unheimlichste und zynischste Mordgeschichte, die die moderne Kriminalgeschichte je erlebt hat. Er sprach fast die ganze Zeit. Jedesmal, wenn er zu einem wichtigen Punkt seiner Erzählung kam, wurde seine Stimme langsamer und nachdrücklicher, und er sah mich mit neugierigen und spöttischen Augen an, als wolle er die Wirkung seiner Worte berechnen. Und dann überschlich mich jedesmal das seltsame unheimliche Gefühl. Ich habe später über dieses merkwürdige Gefühl nachgedacht und bin zu dem Resultat gekommen, daß ich unwillkürlich davon ergriffen wurde, weil ich mich in der Nähe von etwas Boshaftem, Lebensfeindlichem und Häßlichem befand.

Er sprach ausschließlich von den beiden unaufgeklärten Morden. Anfangs setzte es mich in Erstaunen, daß er so ganz in seiner Erzählung aufging. Ich war mir nicht klar darüber, ob ich einen Künstler vor mir hatte, der sich rein artistisch in die Wirkungsmittel seiner Erzählung vertiefte, oder ob ich einem Menschen gegenübersaß, der tiefnachdenklich über Selbsterlebtes grübelte. Zu Anfang glaubte ich das erstere, zumal er so erzählte, als ob er außerhalb des unheimlichen Dramas gestanden habe, oder richtiger gesagt, als ob er sich durch ein Gedankenexperiment nur einbildete, Mitspieler gewesen zu sein.

Je weiter er aber in seinem Bericht kam, desto mehr warf er diese Maske ab, und schließlich trat er als direkt aktiver Teilnehmer an den Geschehnissen auf. Er saß in dem niedrigen Klubsessel, etwas zusammengesunken, so daß seine weiße Hemdbrust sich wölbte, die Hand mit der Zigarre weit vorgestreckt, so daß man seinen behaarten, muskulösen Unterarm sah, sein Gesicht war beständig voll auf das meine gerichtet – dieses beobachtende, grandios belebte Gesicht mit den kalten, spöttischen Augen. Je weiter er sprach, desto mehr kam ich zu der Ueberzeugung, daß er die Wahrheit sprach, die ungeschminkte Wahrheit, gleichzeitig aber empörte es mich, daß ich in dieser stillen, friedlichen Winternacht plötzlich diese furchtbare Wahrheit erfahren mußte. Es war eine krasse Disharmonie zwischen seiner kalten und berechnenden Intelligenz, seinem imponierenden Wesen und der Tatsache, daß diese überlegene Persönlichkeit dasaß und, offenbar ganz ohne Grund, das Geheimnis ausplauderte. Dies veranlaßte mich, bis zum letzten Augenblick sehr reserviert zu tun, ich gab mir den Anschein, als ob ich keinen Augenblick mit der Möglichkeit rechnete, daß das, was er mir erzählte, Wirklichkeit sei, obgleich ich zum Schluß mit dem beklemmenden Gefühl dasaß, die Lösung des Rätsels gesehen zu haben. Er blieb bei mir bis gegen Morgen, als schon der erste Tagesschimmer sich mit den Lichtern am Hafen vermischte. Schließlich erhob er sich, um zu gehen.

Es war, als ob er sich im letzten Augenblick entschloß, einen kleinen Scherz hinzuzufügen.

»Wissen Sie, was ich bin?« fragte er, »ich bin Geschäftsmann – das hätten Sie nach dem Vorhergegangenen wohl kaum geglaubt? Ja, ich bin Geschäftsmann, ich verdiene recht gut,« fügte er gedankenvoll hinzu, »jedenfalls so viel, daß ich die Mittel habe, einige Stunden für eine kleine Zerstreuung herzugeben. Aber ich habe keinen festen Wohnsitz. Sie können mir überall begegnen, vielleicht sehen wir uns morgen, vielleicht bin ich abgereist. Suchen Sie mich aber keinesfalls auf.«

Er verabschiedete sich, ohne mir die Hand zu geben.

Ich zündete die Treppenbeleuchtung für ihn an. Und ich blieb auf dem Absatz stehen und sah ihm nach, wie er sich langsam die Treppe hinunterbewegte, in seinem stattlichen Pelz. Ich bemerkte, daß er ein ungewöhnlich kräftiger Mann war. In seinem Pelz und in der dämmerigen Treppenbeleuchtung glich er einem Gorilla, der langsam in dem dunklen Treppenhaus versank.


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