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XLI.

Ohne dazu aufgefordert zu sein, nahm ich in einem der Klubsessel Platz, legte ein Bein über das andere und warf einen vielsagenden Blick auf die Kiste mit den holländischen Zigarren, die auf dem Tisch stand. Aus seinem Schweigen ging hervor, daß er den Entschluß gefaßt hatte, sich jegliche Unverschämtheit von mir gefallen zu lassen.

»Sie lügen,« sagte ich, »Sie sind doch Dr. Louis Gravenhag, der scheinbar vor drei Monaten in Kopenhagen ermordet wurde.«

»Ich bitte Sie, in einem anderen Ton zu sprechen, wenn meine Frau kommt. Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß Sie Gast in der Wohnung einer Dame sind.«

Ich wollte ihn ein wenig reizen und sagte darum:

»Sobald Frau Merete kommt (ich sagte Frau Merete), werden Sie an meinem Benehmen nichts auszusetzen haben. Sie ist eine entzückende Dame, ein intelligenter Mensch mit Haltung. Außerdem ist sie sehr schön. Eine Schönheit ganz nach meinem Geschmack.«

Ich sah ihn nicht an, merkte aber, daß er eine Bewegung machte. Darauf wurde wieder alles still. Ich dachte bei mir, wieviel doch dazu gehört, bevor ein wütender Mensch zu Gewalttätigkeiten greift.

»Sie werden indessen wohl begreifen,« fuhr ich fort, »daß ich mir Ihnen gegenüber keinen Zwang auferlege. Sie halten mich wahrscheinlich für einen gemeinen Schurken, einen Verbrecher. Das bin ich auch. Und Sie ebenfalls. Darum haben Sie wohl nichts dagegen, daß ich Sie kollegial behandle, nicht von oben herab, sondern auf gleichem Fuße.«

Plötzlich erhob ich mich, denn ich hörte, wie eine Tür langsam zur Seite geschoben wurde, ein Kleid raschelte, Frau Merete war eingetreten. Sie blieb zwischen der Portiere stehen und betrachtete uns, schweigend, forschend, gleichsam etwas besorgt. Ich grüßte so ritterlich, wie ein langes Leben in der besten Gesellschaft es mich gelehrt hatte, er preßte ein Papiermesser in seiner Hand, daß die Knöchel ganz weiß wurden. Auf diese Weise war ich der Ueberlegene, und ich glaube wohl, daß sie es bemerkte. Frauen lieben es, daß Männer um ihre schönen Augen kämpfen. Sie war ungewöhnlich schön an diesem Tag. Die diskrete Trauerkleidung, die sie angelegt hatte, machte sie gleichsam kleiner, und die zusammengefalteten Hände und der ratlose Ausdruck des Gesichtes verrieten Stolz und unterdrückte Verzweiflung. Jetzt begriff ich, daß der Kampf zwischen dem Mann dort und mir nicht nur um ein Vermögen ging. Er ging auch um sie. Ich sagte zu ihm:

»Sie fordern mich nicht dazu auf, wie es sich gehörte, aber gestatten Sie mir dennoch, Ihre Frau zu Tisch zu führen.«

Es klingt vielleicht seltsam, wenn ich sage, daß der Tisch festlich gedeckt war, doch konnte ich nicht umhin zu bemerken, daß Sorgfalt darauf verwandt war, dem Gast das Mahl so behaglich wie möglich zu machen. Vor dem Eßzimmer war ein blumengeschmückter Balkon, darunter lag die Straße, still und menschenleer, die Balkontüren standen offen, und der gedeckte Tisch stand dicht vor der offenen Tür, so daß die Blumen auf dem Balkon und der Sonnenschein, der durch die rostbraunen Gardinen fiel, einen Teil des Tafelarrangements bildeten. Der Tisch war groß und oval und mit einer jener wunderfeinen Damastdecken gedeckt, wie man sie noch in alten Hausständen finden kann. Bei jedem Kuvert standen vier Glaser, ein Schnapsglas und drei Weingläser, alle aus feinstem Kristall. Auf kleinen Schüsseln lagen Appetitschnittchen, wie Herren in vorgeschrittenem Alter sie zu lieben pflegen, allein des Anblicks wegen – wie herrlich standen nicht die roten Radieschen zu der gelben Butter! Der Schnaps wurde eingeschenkt und war eiskalt. Ich kam gleich in gute Stimmung und wurde ein wenig gerührt, weil sie sich soviel Mühe gegeben hatte. Dr. Gravenhag trank nicht, zerknüllte nur die ganze Zeit seine Serviette nervös zwischen den Händen. Frau Merete blickte über die Rosen der Veranda, versunken in Bewunderung über den schönen Abend und die Linien, die die Giebel der langsam verblassenden Mietshäuser gegen den Himmel zeichneten.

Anfangs führten wir eine ganz konventionelle, aber gezwungene Unterhaltung, und ich wartete Frau Merete mit einer Galanterie auf, ganz harmlos, aber doch genügend, um sie in Stimmung zu bringen, während der Mann immer ungeduldiger wurde, was ich mit Befriedigung feststellte. Ich erinnere mich, daß ich bei mir dachte: Gott weiß, ob nicht die meisten Geschäftsmittage genau so verlaufen. Die Herren sitzen und reden über gleichgültige Dinge, reizen sich gegenseitig, bezwingen sich selbst und warten darauf, daß endlich einer die Geduld verliert und sich verrät. Es war ein wichtiges Geschäftsdiner für mich. Dreihunderttausend Kronen standen für mich auf dem Spiel. Es ist das erstemal, daß ich diese Summe nenne, es war der Einsatz für das Todesopfer in jener Nacht in Kopenhagen. Und dennoch! Wenn ich Frau Merete ansah, ihr ängstliches Gesicht, kam es über mich, daß ich aufstehen und sagen wollte: Meine Herrschaften, ich habe nichts zu verraten, ich werde aus Ihrem Gesichtskreis verschwinden, sobald ich heute abend aus jener Tür dort hinausgegangen bin. Doch tat ich es nicht aus zwei Gründen. Erstens, weil Dr. Gravenhag wahrscheinlich geantwortet haben würde, daß ich bereits zu viel verraten habe und daß ich das Zimmer nicht verlassen dürfe, bevor ich alles gesagt hätte – und zweitens, weil der Einsatz ein anderer und unendlich viel wertvoller geworden war. Als geriebener Spieler wollte ich dem Spiel plötzlich eine neue Wendung geben.

Schließlich verriet er sich.

»Sie haben«, sagte er, indem er das Glas nervös zwischen den Fingern drehte, »eine wahnsinnige Behauptung aufgestellt, die mein Privatleben, das ich mit dieser Dame führe, aufs empfindlichste stören würde. Vielleicht besteht eine zufällige Ähnlichkeit zwischen mir und dem früheren Mann von Frau Gravenhag …«

Ich unterbrach ihn, denn ich wollte jetzt die plötzliche Volte machen, die alle echten Spieler lieben.

Ich sagte:

»Sie sind Dr. Gravenhag, daran ist nicht zu zweifeln, aber Frau Merete ist Ihrer abermals überdrüssig geworden.«


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