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XX.

Was hatte sich denn in Berlin zugetragen? Als Fenneslew mit dem Journalisten sprach, war er bereits im Besitz von Aufschlüssen und Kombinationen, die niemand außer ihm ahnte. Er hatte ein langes Telephongespräch mit Berlin gehabt und kannte bereits die Einzelheiten in dem Drama im Hotel Kaiserhof. Er überließ den Zeitungen die naheliegendste Erklärung, daß der Mörder durch einen eigentümlichen Zufall entdeckt worden sei, die Rache habe ihn ereilt und ohne Mitwirken der Polizei seiner Strafe überliefert.

Daß das Rätsel aber nicht so einfach zu lösen war, wußte Fenneslew wohl. Der eifrige und gründliche Polizist hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt geahnt, daß hier eine raffiniertere Art von Verbrechen vorlag, als die gewöhnliche.

Wenn er sich mit dieser hoffnungslosen Geschichte beschäftigte, die ihn nun seit Monaten nicht losgelassen hatte, war es ihm, als ob er in einen Abgrund von Dunkelheit starrte, aus der hin und wieder Lichtflecke auftauchten, die er jedoch nicht miteinander in Verbindung bringen konnte. Doch fühlte er, daß dort im Dunkel seltsame Kräfte in Bewegung waren. Nach dem Ereignis in Berlin schien ein plötzlicher Blitzstrahl das Dunkel zu erhellen, dann aber wurde wieder alles undurchdringlich. Bei dem plötzlichen Lichtstrahl aber hatte er hier und dort einen Zusammenhang gesehen.

Als Fenneslew die seltsamen Fragen an Professor Hektor stellte, starrte dieser ihn an, als ob er sagen wollte: der junge Mann hat zu viel über dieses Rätsel gegrübelt, es hat ihm den Kopf verdreht. Fenneslew begriff das Mißtrauen des Chirurgen und sagte:

»Wenn Sie in diesem Augenblick in dem Hotelzimmer in Berlin stünden, Herr Professor, und die Leiche des Mannes betrachteten, der dort gestern nacht ermordet wurde, möchte ich darauf schwören, daß Sie sagen würden: Mein Gott, das ist ja mein Freund Dr. Gravenhag und kein anderer.«

Darauf antwortete Professor Hektor kurz:

»Mein Freund Dr. Gravenhag ist vor zwei und einem halben Monat ermordet worden und liegt auf dem Kirchhof bei Kopenhagen begraben.«

Worauf er andeutete, daß seine Zeit für Diskussionen dieser Art zu knapp sei.

Nach diesem Gespräch sah der junge Polizeikommissar natürlich ein, daß es besser sei, er behielte seine neuen Ideen für sich. Und er ließ es darum ruhig geschehen, daß die öffentliche Meinung sich der nächstliegenden Erklärung anschloß, die am besten durch die Artikel in den Abendzeitungen gekennzeichnet wird: Dr. Gravenhags Mörder ermordet in Berlin aufgefunden.

Am selben Abend noch reiste Fenneslew nach Berlin. Die dortige Polizei hatte seinen Beistand bereitwillig angenommen. Und so trat dann nach wenigen Tagen jene unerwartete Wendung in der Dybhavn-Tragödie ein, die sie zu einer der seltsamsten Ereignisse in der Polizeigeschichte machte.

Wir gehen hier nicht weiter auf die Auffassung der öffentlichen Meinung ein, die man am besten verfolgen kann, wenn man die Zeitungen jener Zeit durchblättert, wir wollen hier nur kurz erzählen, wie das Ereignis sich durch die Polizeiberichte darstellt.

In diesen Berichten ist vor allen Dingen von einer Person die Rede, die große Bedeutung für die Sache hat. Diese Person ist der erste Portier im Hotel Kaiserhof, Albert Heinemann. Alle Zeugenaussagen stimmen darin überein, daß er ein Mann von reicher Erfahrung ist, auf dessen Beobachtungsgabe man sich verlassen kann. Die Portiers der Riesenhotels des Kontinents erwerben sich ja mit der Zeit eine unerhörte Menschenkenntnis, und außerdem haben sie meistens die Gabe, Kleinigkeiten zu beobachten und aufmerksam dem Treiben von Hunderten von verschiedenartigen Menschen zu folgen. Darum legte die Polizei großes Gewicht auf die Aussage von Albert Heinemann.

Am 27. August abends hielt ein Auto vorm Hotel Kaiserhof, und ein Herr in einem englischen Ulster stieg aus und fragte den Portier (Heinemann) nach einem Zimmer. Sein Gepäck würde nachkommen. Er wurde auf Zimmer Nr. 304 geführt, ein großes Einzelzimmer, das zum Wintergarten hinausging. Reisende mußten ausführliche Angaben über ihren Beruf, Alter usw. machen, und dieser Herr füllte ohne Bedenken alle Rubriken aus. Sein Name war Dr. Holborn, Ribe, Dänemark, Alter 46 Jahre, letzter Aufenthaltsort Halle. Später ist festgestellt worden, daß ein Dr. Holborn am Abend vorher ganz richtig Halle verlassen hatte. Dagegen glückte es nicht, des Autos habhaft zu werden, das ihn zum Hotel brachte.

Nachdem er seinen Namen und die übrigen Angaben eingetragen hatte, fuhr er in die Stadt und kam mit seinem Gepäck zurück – einer ganz kleinen Reisetasche und einem großen Koffer, der auf Nr. 304 hinaufgeschleppt wurde. Darauf aß er in dem Restaurant des Hotels zu Mittag. Der Portier sah ihn durch die Halle gehen, und seine Aussage wird von der des Oberkellners bestätigt, der sich jenes Herrn sehr gut erinnerte. Er nahm nämlich eine sehr lukullische Mahlzeit ein, u. a. einen ganzen Hummer, und dazu einen sehr teuren Moselwein.

Um neun Uhr ging er fort und kam nach ungefähr einer Stunde zurück, worauf er sich auf sein Zimmer zurückzog.

Portier Heinemann kann diesen Herrn genau beschreiben, und seine Beschreibung paßt auf ein Haar auf Dr. Gravenhags Erscheinung.


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