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III.

Am 8. Mai abends ging Marcus Friis mit Frau Merete durch. Der junge Baron hinterließ einen Brief an seine Vorgesetzten bei der Post, in dem er kurz und bündig erklärte, daß er auf unbestimmte Zeit, in unbestimmte Gegenden reise und sich bei der Post als entlassen betrachte. Seine Vorgesetzten bekamen einen Schreck und nahmen in aller Eile eine Untersuchung seiner Kasse vor, wobei es sich zeigte, daß alles in schönster Ordnung war. Man konnte seinen plötzlichen Abschied nicht begreifen, bis man erfuhr, daß eine Frau mit im Spiele sei. Anfangs war man überzeugt gewesen, daß in seiner Kasse etwas fehlen würde und wunderte sich sehr, daß er der Versuchung widerstanden hatte. Ich allerdings war nicht überrascht, denn den Verdacht, daß Marcus Friis die Postkasse betrog, hatte ich schon zu einem früheren Zeitpunkt fallen lassen.

Ich war dem Paare Tag für Tag mit Aufmerksamkeit gefolgt und hatte ausgerechnet, daß Marcus Friis in zwei Wochen sechstausend Kronen verbraucht haben mußte. Darauf hatte ich eine geheime Untersuchung in seiner Postabteilung vorgenommen. Auf Einzelheiten solcher Untersuchung will ich hier nicht eingehen, es würde eine zu lange Geschichte werden, wollte ich erzählen, wie ich das Vertrauen der Leute gewinne, so daß sie mir wertvolle Auskünfte geben. Ich behaupte, daß kein Detektiv so gut arbeitet wie ich, es gehört nämlich ein bis ins feinste trainierter psychologischer Apparat dazu. Genug, ich erfuhr, daß Marcus Friis keine Gelegenheit hatte, das Postwesen um größere Beträge zu betrügen.

Woher aber bekam er die beträchtlichen Summen? Sie kamen nicht mit der Post, sie wurden ihm nicht auf andere Weise geschickt, er hatte sie nicht geliehen. Er holte sie irgendwo. Ich kam auf die richtige Spur, an demselben Tage, an dem Frau Merete ihre Abreise vorbereitete. Sie leugnete, daß sie abreisen wollte, verbarg ihre Vorbereitungen aber nur halb; so ließ sie zum Beispiel einen Teil ihrer Sachen ganz offenkundig zur Aufbewahrung in einem Speicher abholen. Es war an jenem Tage, an dem ich Marcus Friis' Gesicht so deutlich im Fensterlicht beobachten konnte. Diese flackernde Angst in seinem Blick war für mich nicht mißzuverstehen. Er versuchte unter einer Maske von Sicherheit etwas zu verbergen. Am selben Abend aß das Paar in einem der ersten Restaurants zu Mittag. Er brachte seine Geliebte in einer Droschke mit zwei isländischen Pferden zur Pension zurück. Frau Merete ging auf ihr Zimmer, Marcus Friis aber fuhr mit dem Wagen wieder zur Stadt.

Ich konnte ihm leicht auf meinem Rad folgen, das in dem dunklen Frühlingsabend wie ein Schatten über den Asphalt glitt. Bei einer alten Weinstube, wo im Sommer auch im Garten serviert wird, stieg er aus. Der Garten war von alten Bäumen beschattet und machte einen düsteren Eindruck. Da der Abend kühl war, hatten die Gäste sich in das Wirtshaus zurückgezogen. Marcus Friis hatte unter einer alten Linde Platz genommen, er schien jemanden zu erwarten, denn er horchte auf Schritte hinter der Gartenmauer, und sah hin und wieder auf seine Uhr. Endlich kam der Erwartete. Es war ein Herr in einem Frühlingsüberzieher, von mittlerer Größe und elastischen Ganges. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, da es teils von einem breitrandigen Hut beschattet, teils von einem großen schwarzen Bart bedeckt war. Beides in Verbindung mit der runden amerikanischen Brille gab ihm ein ausländisches Aussehen. Er wußte, wo er seinen Mann zu treffen hatte, denn er ging geradeswegs durch den Garten auf den Platz zu, wo Marcus Friis saß.

Während sie zusammen sprachen, behielt der Fremde die ganze Zeit seinen großen Hut auf dem Kopf. Ich dachte gleich bei mir, daß der Mann verkleidet sei. Ein großer Hut, ein schwarzer Bart, dazu eine Brille sind die einfachste Form von Verkleidung und verraten sofort den Naiven und Unkundigen auf diesem Gebiet. Wenn man sich unkenntlich machen will, darf man nicht zu viel Sorgfalt auf sein Gesicht legen, dadurch zieht man nur die Aufmerksamkeit auf sich. Ich war viel unkenntlicher, wie ich dort saß, mit meinem gewöhnlichen Gesicht unter der Sportmütze, im dunkelblauen Jackettanzug, Radspangen an den Hosen, wie ein Mechaniker oder Telephonarbeiter, der sich auf dem Nachhausewege noch schnell einen Pilsener zu Gemüte führt.

Was die beiden sprachen, konnte ich natürlich nicht hören, nicht einmal ihre Stimmen drangen bis zu mir herüber. Aber aus den Gebärden allein kann man ja erkennen, ob ein Gespräch ernst oder vergnügt ist. Ich meinte zu verstehen, daß Marcus Friis einen Bescheid oder Befehl bekam, und daß der Fremde ihm seine Meinung eindringlich begreiflich zu machen versuchte. Ihr Beisammensein dauerte nur zehn Minuten, dann bezahlte Marcus Friis und sie verließen zusammen den Garten.

Auf der anderen Seite der Straße war ein Halteplatz für Droschken. Der Fremde winkte eine von ihnen herbei. Ich stand ganz in der Nähe über mein Rad gebeugt und tat, als ob ich Luft in die Gummireifen pumpte.

Marcus Friis sagte:

»Eigentlich wollte ich in dem schönen Frühlingsabend zu Fuß gehen.«

Der Fremde erwiderte:

»Nein, Sie fahren!«

Es war eine typisch dänische Stimme; schon daraus konnte man schließen, daß der Mann verkleidet war. Aber es war eine harte und befehlende Stimme. Friis fuhr davon. Der Fremde blieb stehen und blickte ihm nach, bis der Wagen verschwunden war. Er will ihn los sein, dachte ich bei mir, er will nicht, daß Friis sieht, wohin er selbst geht. Darauf winkte er eine zweite Droschke heran und fuhr in entgegengesetzter Richtung davon.

Ich folgte ihm auf meinem lautlosen Rad, nahm mir Zeit, und es wurde eine gemächliche und angenehme Fahrt. Friis hatte recht, es war ein schöner Abend.


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