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V.

Die Villa, die Dr. Gravenhag gemietet hatte, war ursprünglich eine Gärtnerwohnung und gehörte zu dem in der Nähe gelegenen Gutshof. Vor mehreren Jahren aber war die Gärtnerwohnung und ein Teil des Gartens als selbständiges Besitztum abgetrennt worden. Der neue Besitzer aber, ein Spielzeugfabrikant aus Kopenhagen, hatte bereits nach kurzer Zeit das Grundstück verfallen lassen. Im Winter war das Haus verschlossen und unbewohnt, im Sommer wurde es vermietet. Diese zufälligen und wechselnden Einwohner hatten nichts zur Instandhaltung des Hauses und Gartens getan, die sehr verfallen waren. Im Frühling aber, wenn das grüne Laub der Bäume über die zerbröckelnden Mauern des Hauses fiel, atmete das Ganze doch eine gewisse Stimmung. »Lindenhof« hieß das Besitztum. Der Garten grenzte an den des Wirtshauses, von meinem kleinen Giebelfenster aus konnte ich mich jederzeit in seine Wildnis vertiefen, von dem Hause selbst aber sah ich nur etwas graues Mauerwerk hier und dort durch das dichte Laubwerk – und außerdem eine kleine Holzveranda, mit einer schiefen Tür, die immer offen stand, weil sie sich nicht schließen ließ.

Dieses Haus also hatte Dr. Gravenhag gemietet, aber zu welchem Zweck?

Im Wirtshaus wußte man nichts anderes, als daß er Barfod hieß und dänisch-amerikanischer Ingenieur war. Sogar einen falschen Namen also hatte er angegeben. Der Wirtshausbesitzer verwaltete die Villa für den Spielzeugfabrikanten, der in der Stadt wohnte, und hatte die ganze Miete für den Sommer im voraus erhalten.

»Wenn Leute nur bezahlen, können sie meinetwegen sein, was sie wollen,« sagte der Wirt. »Ich stecke meine Nase nicht in anderer Angelegenheiten, denn ich will selbst ungestört sein. Es ist ein feiner Herr, mit seinem langen Bart und der Brille, und er handelte nicht, sondern legte das Geld bar auf den Tisch.« Der Wirt rechnete auf einen hübschen Verdienst im Laufe des Sommers, denn der amerikanische Ingenieur hatte die Villa für einen kranken Verwandten gemietet, für den jeden Tag das Essen hinübergeschickt werden sollte.

Ueberhaupt war der Lindenhof und seine Umgebung – das Wirtshaus mit inbegriffen – wie geschaffen für geheimnisvolle Vorgänge, denn es lag abseits von den großen Verkehrsstraßen. Die Entwicklung war an dem Wirtshaus vorbeigegangen und hatte anderwärts größere und vornehmere Hotels geschaffen. Die niedrigen Stuben mit den matten Fenstern und den schrägen Decken trugen Spuren von jahrhundertaltem Staub. Hier drinnen wankte der dicke Wirt herum, feucht von morgens bis abends, und behandelte sich selbst als vornehmsten Gast. Wenn Gäste kamen, ließ er sich bei ihnen nieder und trank auf ihr Wohlsein. Mich begrüßte er gerührt morgens und abends mit dem Glas in der Hand, als ob ich soeben erst eingetroffen sei. Seine Frau, die wegen eines Hüftschadens schlecht gehen konnte, zeigte sich nie außerhalb der Küche, von der sie ein Teil geworden zu sein schien, immer von Dunst und Küchengeräuschen umgeben. Die Bedienung wurde von einem alten Knaben mit Namen Elias besorgt, der seine Pflicht ganz automatisch tat und nie den Mund öffnete.

So war meine Umgebung, in der es mir recht wohlgefiel. Mein Zimmer war rein und behaglich, Apfel- und Kirschblütenduft erfüllten es. Fast hätte ich mir einbilden können, daß ich mich hier niedergelassen hätte, um die Süße und den Frieden des Frühlings zu genießen. Unter der Stille aber spürte ich die Unruhe in meinem Gemüt, die die Vorahnung zu tragischen Ereignissen zu sein pflegt. Ich war in das Vorspiel eines Dramas hineingeraten, von dem ich jetzt noch nicht viel verstand. Es war, als ob ein Vorhang mich von der Seele des Dramas trennte; eine Wildnis, ein duftender Frühlingsmonat lagen zwischen mir und dem Rätsel des Lindenhofes.

Während mehrerer Tage hatte sich nichts anderes ereignet, als daß die Villa sich vorbereitete, die Gäste zu empfangen. Eines Nachmittags begab ich mich recht unauffällig hinüber, um mir die Einrichtung anzusehen. Sie war äußerst primitiv. Das Schlafzimmer lag im ersten Stock, es war das Zimmer mit der schiefen Tür vor der baufälligen Veranda. Die Möbel waren einfach, nur hier und dort ein besseres Stück. Alles aber trug das Gepräge von Verfall, verschlissene Teppiche, wackelige Stühle, zerbrochene Sprungfedern. Man hatte den Eindruck, als ob die Feindseligkeit der verschiedenen Mieter, denen nichts von dem Hause und den Möbeln gehörte, noch in den Tapeten hing. Ich sagte zu der alten Frau, die im Begriff war, reinzumachen: »Ziehen Sie doch die Vorhänge zurück, öffnen Sie die Fenster, damit hier Licht und Luft hereinkommen können.«

Sie aber antwortete, daß der amerikanische Ingenieur angeordnet habe, daß nichts verändert werden solle.

»Warum?« fragte ich verwundert, »hat er einen Grund dafür angegeben?«

»Ja,« antwortete sie, »weil die Menschen, die hier wohnen sollen, Krankheit ins Haus bringen und kein Licht vertragen können.«

Endlich eines Nachts kamen die Gäste. Es verwunderte mich nicht, daß sie zur Nachtzeit kamen. Ich erwachte durch den Lärm eines Autos, und als ich aus dem Fenster blickte, sah ich, daß Licht in der Villa aufflammte, Licht, das von Zimmer zu Zimmer getragen wurde und schließlich hinter den dichten Gardinen des Schlafzimmers verblieb. Das Automobil konnte ich nur undeutlich in der Dunkelheit unterscheiden, es war ein großes verschlossenes Auto, das sich mühsam durch die verwilderten Gartenwege Bahn brach und dann mit sausender Geschwindigkeit in die Richtung der Stadt wieder verschwand.

Lange saß ich an dem offenen Fenster und starrte zur Villa hinüber. Mir war, als ob ich hin und wieder Stimmen von dort hörte. Sonst war alles still. Nach einer Stunde ungefähr begann das Licht wieder von Zimmer zu Zimmer zu wandern, als ob die neuen Bewohner das Haus im Dunkel der Nacht durchsuchten. Dabei wurden einige Akkorde auf einem Klavier angeschlagen, einem abgespielten und unsagbar falschen Instrument, das ich in einem der Zimmer stehen gesehen hatte. Erst gegen drei Uhr gingen die neuen Bewohner zur Ruhe und alles wurde dunkel.

Am nächsten Morgen beim Frühstück versuchte ich den alten schweigsamen Elias auszufragen. Er war mit dem Morgenkaffee drüben in der Villa gewesen.

»Haben Sie jemanden gesehen?« fragte ich.

»Sie,« erwiderte er.

»Es sind also ein Herr und eine Dame. Niemand anderes? Keine Kinder?«

»Nein.«

»Und der Herr?«

Elias schüttelte den Kopf. Er hatte sich nicht gezeigt.

»Krank,« flüsterte Elias.

Von meinem Fenster aus hielt ich den ganzen Tag emsig Ausguck. Und um die Mittagszeit sah ich einen Augenblick den Herrn draußen auf der verfallenen Veranda. Aber er zeigte sich nur einen Augenblick, dann verschwand er wieder hastig im Hause, als ob jemand ihn von drinnen gerufen habe.

Der Herr war mein Freund aus der Pension, Marcus Friis-Brockenberg. Es setzte mich nicht in Erstaunen, denn ich hatte ihn erwartet.

Als ich abends in die Gaststube kam, saß Dr. Gravenhag dort.


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