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XL.

Er antwortete auf deutsch, daß er mich nicht verstehe. Seine Geistesgegenwart ließ ihn nicht im Stich.

»Ich kann auch deutsch mit Ihnen sprechen,« sagte ich. »Wie ich bereits bemerkte, ist Ihre Frau drinnen, ich habe mich lange mit ihr unterhalten. Ich habe sie davon überzeugt …«

»Wovon?« fragte er.

»Daß sie mir morgen abend eine Unterredung gewähren muß,« sagte ich, »und sie hat mich zum Mittagessen in ihrer Wohnung eingeladen. Wenn ich sie recht verstanden habe, war es ihre Absicht, auch Sie zu bitten.«

»Sie belästigen mich,« antwortete er, »ich verstehe nicht, was Sie meinen. Gehen Sie mir aus dem Wege.«

Ich rührte mich nicht.

»In Ihren Worten scheint eine Drohung zu liegen,« sagte ich. »Sie sollten mich lieber bitten, Ihnen im guten aus dem Wege zu gehen. Sonst wäre es möglich, daß ich die Polizei herbeiriefe, und dann wären Sie gezwungen, Ihren richtigen Namen zu nennen – und wenn Sie es nicht tun, würde ich dazu gezwungen sein. Sehen Sie mich genau an, Dr. Gravenhag, beim Schein dieser verfluchten blauen Laterne – erkennen Sie mich nicht? Einmal haben wir uns in dem kleinen Wirtshaus bei Gentofte getroffen. Ein andermal, als Sie von der Villa Lindenhof zum Bahnhof gingen. Und erinnern Sie sich nicht auch des Chauffeurs, der Sie vom Königsneumarkt nach Roskilde fuhr?«

Er betrachtete mich, ohne sich zu rühren. Wie deutlich erinnere ich mich seiner noch! Beide Hände hatte er in die Taschen vergraben, aus der einen steckte sein Spazierstock heraus. Mitten in seiner Unbeweglichkeit aber ging dennoch eine unheimliche Veränderung mit ihm vor. Es war, als ob etwas in seinem Gesicht zerbrach, willensstarke Züge, die plötzlich schlaff wurden – als ob ein Mensch plötzlich einsieht, daß alles vorbei ist. Hätte ich den Genuß gesucht, die Vernichtung eines Menschen mitanzusehen, dann würde ich in diesem Augenblick mein Ziel erreicht haben, aber diese Sensation erstrebte ich nicht, ich verfolgte nur gewisse einfache und leichtfaßliche Pläne.

Er sah sich um. Die Straße war auf einmal etwas öde geworden. Keine Fußgänger. Nur die Autos rasselten vorbei, geschlossen, regennaß. Er zog die eine Hand aus der Tasche, ich aber packte seinen Arm.

»Lassen Sie das,« sagte ich, »das ist nicht nötig. Ich möchte nur mit Ihnen sprechen. Hier draußen im Regenwetter aber geht es nicht. Fragen Sie Ihre Frau, um was es sich handelt. Jetzt können Sie ins Haus gehen. Halt, noch ein Wort!«

Auf der Treppe blieb er stehen.

»Ich habe Sie seit einem Monat gesucht und habe meine Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Sie können mir nicht mehr entgehen. Versuchen Sie also nicht zu fliehen, es würde Ihnen doch nicht glücken, obgleich Sie Zeit genug haben. Wir sehen uns erst morgen abend.«

Er drückte auf den Knopf der elektrischen Glocke, ein Diener kam, um zu öffnen.

»Ich kenne Sie nicht und wünsche auch nicht, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Damit ging er in den Klub. Ich lachte. Ich lachte mit Absicht laut und höhnisch. Worauf ich mir eine Zigarre anzündete und in das wartende Auto stieg. Ich war überzeugt, daß er hinter der Glastür stand und mich betrachtete, und daß er mein Lachen hörte …

Es wurde eine seltsame Mittagsgesellschaft, die seltsamste, die ich je mitgemacht habe. Vom Morgen des nächsten Tages an, bis ich die Untergrundbahn nahm, um nach der Bozenerstraße zu fahren, kreisten meine Gedanken beständig um die Frage: wie wird er sich aus der Affäre ziehen? Wußte ich doch, daß er jetzt auch unter ihrem Einfluß stand. Gestern war er unschlüssig gewesen, hatte weder ein noch aus gewußt. Heute aber mußte er sich zu irgendeiner Maske entschlossen haben. Ich versichere, mir war es lieber so, denn ich habe es stets vorgezogen, einem vorbereiteten Gegner gegenüberzustehen.

Als ich zu der verabredeten Zeit an der Wohnung läutete, wurde die Tür von einer alten Dienerin geöffnet, die, wie ich später erfuhr, Polin war. Sie trug nach nordischer Sitte eine weiße Spitzenschürze und auf dem Kopf ein weißes Häubchen. Ich sagte ihr, sie solle den Herrn melden, den ihre Herrschaft erwartete. Sie ließ mich ins Wohnzimmer eintreten. Es war ein großer Raum, mit Geschmack und Sinn für Behaglichkeit möbliert. Klubsessel um einen soliden Mahagonitisch, längs der einen Wand ein niedriges Bücherbord mit vielen gutgebundenen Büchern, auf dem Bord eine Lampe mit grünem Schirm, ein dicker Teppich auf dem Fußboden und einfarbige, dicke Gardinen vor den Fenstern. Das Sonnenlicht fiel behaglich und gedämpft ins Zimmer. Mit dem Ellbogen auf das Bücherbord gestützt, stand Dr. Gravenhag – sein Gruß war nonchalant, sein Gesicht sehr ernst, vor allen Dingen aber waren seine Augen äußerst feindlich, ruhig und kalt. Ich bemerkte, daß er sich mit besonderer Sorgfalt gekleidet hatte, er war sehr elegant.

»Meine Frau hat diese Unterredung gewünscht,« sagte er, »ich nicht. Sie wird gleich hier sein.«

Ich sah nach der Uhr.

»Unterredung?« sagte ich zögernd, »um diese Zeit pflege ich zu Mittag zu essen, und wenn Ihre Frau die Einladung zum Mittagessen nicht aufrechthält, ziehe ich es vor, unsere Unterredung bis zu einer Zeit zu verschieben, die mir besser paßt.«

»Dies ist die Wohnung meiner Frau,« sagte er, »und wenn ich sie recht verstanden habe, wünscht meine Frau Sie als Mittagsgast bei sich zu sehen.«

»Ihre Worte«, sagte ich, »überzeugen mich davon, daß Sie Ihre Identität eingestehen.«

»Ich bin nicht Dr. Gravenhag,« sagte er.


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