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XIII.

Inzwischen waren noch einige andere Detektive dazugekommen, und während Fenneslew weitere Nachforschungen im Hause vornahm, radelten die anderen in der Nachbarschaft herum, um möglicherweise etwas zu erfahren. Auf diese Weise pflegt die Polizei zu arbeiten, erst wird eine Menge Material gesammelt, und aus der Masse leuchtet dann vielleicht dieser oder jener Punkt heraus, der Aufklärung bringt.

Die Untersuchung der Taschen des Ermordeten brachte einen interessanten Umstand an den Tag, den Namen Dybhavn, nach dem später die ganze Tragödie genannt wurde und der hier zum erstenmal auftauchte. Uebrigens fanden sich in seiner Tasche verschiedene Papiere, die wirklich darauf hindeuteten, daß er eine Reise vornehmen wollte. So fand man einen Kreditbrief über fünfzigtausend Kronen, vor einigen Tagen von der Handelsbank ausgestellt, und einen Diplomatenpaß, vor sechs Tagen ausgefertigt. Ferner in seiner Brieftasche einige Briefe privater Natur, die für die Sache kein Interesse hatten, ein Rezept für Kokain und eine Eisenbahnfahrkarte nach Gentofte. Die Fahrkarte war am 9. Mai abgestempelt. In der Rocktasche des Ermordeten fand Fenneslew eine zerknitterte Rechnung, worauf der Name »Café Dybhavn« stand.

Fenneslew stand eine Weile nachdenklich mit der Rechnung in der Hand. Er empfand jene heftige Freude, die ein Detektiv fühlt, wenn er auf der richtigen Spur ist. Das ganze Interieur des kleinen Cafés stand plötzlich vor seinem inneren Blick: die beiden Zimmer, dahinter die Küche, die dicke, freundliche Wirtin. Eigentlich übelberüchtigt war die Wirtschaft nicht, sie lag am Hafen und war unter den Seemannskneipen die vornehmste, ganz originell und eigenartig. Am Tage wurde sie von Steuerleuten besucht, ein recht gesittetes Publikum, das meistens um die runden Tische saß und sich Geschichten erzählte; die gemeinen Matrosen pflegten sich mehr in den anderen Hafenkneipen herumzutreiben. Nachts aber schimmerte durch die dichten Gardinen des hinteren Zimmers häufig Licht, und die Kellnerinnen waren immer besonders hübsch. Daß das Lokal nicht ganz einwandfrei war, wußte die Polizei recht gut, aber man hatte die Wirtin bisher mit einer Verwarnung laufen lassen, man sah bei solchen kleinen Cafés durch die Finger, und an kalten, rauhen Winterabenden konnte Dybhavn sogar ein warmer und behaglicher Zufluchtsort sein. Fenneslew las die Rechnung aufmerksam durch:

 

4 Widsky 2.40
Pottwein für Anina 1.–
2 Bief mit Zwiebeln 3.25
5 Schnäpse 0.40
2 Widsky 1.70
Pottwein für Anina 1.–
2 Widsky 2.40
Pottwein für Anina 1.25
6 Widsky 7.50
1 Freimarke 0.25
  _____________
  23.15

 

Es war eine charakteristische Rechnung, wie Fenneslew fand. Die Wirtin war seinerzeit beim Ballett gewesen und verstand sich nicht auf Zahlen. Er legte die Rechnung zu dem unvollendeten Brief, und hatte nun die beiden ersten Aktenstücke der Affäre.

Dies alles hatte Fenneslew in den Taschen des Toten gefunden. Verdächtiger aber war, was er nicht fand. Kein Geld, keine Uhr, keine Schlüssel. Der Gedanke eines Raubmordes tauchte wieder in dem Detektiv auf, obgleich die vorhandenen wertvollen Hemd- und Manschettenknöpfe dagegen sprachen. Daß Dr. Gravenhag ohne Geld war, ließ sich allenfalls erklären, ohne Uhr aber war unwahrscheinlich, und ohne Schlüssel, ganz undenkbar, weil er sich ja abends seine Wohnung aufgeschlossen hatte. Indessen lag der Gedanke nah, daß der Mörder sich der Schlüssel bemächtigt hatte, um sich unbemerkt die Küchentreppen hinunterzuschleichen.

Einer von den Detektiven, die die Nachbarschaft durchstreiften, kam jetzt zurück und berichtete, daß er den Schutzmann gesprochen habe, der am Abend auf der Straße patrouillierte. Der Schutzmann kannte Dr. Gravenhag und hatte ihn gegen Mitternacht aus seiner Wohnung kommen sehen. Der Schutzmann wußte genau, daß es vor Mitternacht gewesen war, denn es geschah kurz vor der Ablösung. Er war gerade an der Haustür vorbeigegangen, als Dr. Gravenhag herauskam, er hatte ihn beim Schein der Gaslaterne erkannt, ihn gegrüßt und Dr. Gravenhag hatte seinen Gruß erwidert. Darauf hatte Gravenhag sich eine Zigarre angezündet und war in die Richtung der Stadt davongegangen. Durch diese Mitteilung konnte Fenneslew feststellen, daß der Mord erst gegen Morgen stattgefunden hatte. Wann war Dr. Gravenhag zurückgekommen?


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