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XLIV.

Ich fuhr fort:

»Und gleichzeitig beschlossen Sie, Baron Friis den Kopf zu verdrehen. Stimmt das auch?«

Sie blickte mich zustimmend und ein wenig neugierig an.

»Damals enttäuschten Sie mich sehr, denn ich glaubte, daß Sie nur Zerstreuung bei ihm suchten, weil er imstande war, aus der Kasse zu stehlen, Sie zum Abendessen einzuladen und Ihnen Dinge zu schenken, deren Besitz Ihnen übrigens furchtbar gleichgültig war.«

»Er hat nicht aus der Kasse gestohlen,« sagte sie.

»Ich weiß, und wenn er gestohlen hätte, wären es höchstens fünf- bis sechstausend Kronen geworden. Das heißt, mit meiner Provision wären es wahrscheinlich zehn- bis zwölftausend geworden.«

»Was soll das heißen?« fragte sie.

»Das soll heißen, daß ich ihn gezwungen hätte, so viel mehr zu stehlen, um meine Forderungen zu decken. Ich hatte mir ausgerechnet, daß seine Familie so viel geben würde, um den Skandal zu vermeiden.«

»Sind Sie immer so grausam und unbarmherzig?«

»Nicht immer, in diesem Fall aber wäre ich es gewesen.«

»Warum just in diesem Fall?«

»Weil der Einsatz sich um mehr als Geld drehte.«

»Nehmen Sie in unserem Fall auch dieselbe Rücksicht?«

»Genau dieselbe,« antwortete ich.

Es war, als ob sie mir zulächelte, oder vielleicht huschte nur die Spiegelung eines blitzschnellen Verstehens über ihr Gesicht. Jedenfalls faßte sie die Hand ihres Mannes und sagte:

»Du begreifst wohl, daß wir mit einem Wahnsinnigen sprechen … Warum in aller Welt hätte ich den armen kleinen Marcus Friis ins Unglück stürzen sollen?« fragte sie plötzlich.

»Um das zu erklären, müssen wir uns über folgendes einig sein,« antwortete ich. »Ihr Mann, der hier sitzt, hat Sie während einer Reihe von Jahren durch seine pflichterfüllende, bürgerliche Lebensweise gelangweilt. Er konnte Ihnen keine Unruhe oder Ueberraschung bereiten, vor allem konnte er Ihnen keine andere Zukunft bieten als die, die einer Bürgersfrau in Kopenhagen beschert ist. Ich nehme an, daß dieses Bewußtsein die Abneigung verursachte, die zur Scheidung führte. Anstatt als geachtete Bürgersfrau in dem Klatschnest Kopenhagen zu vegetieren, wollten Sie lieber unter irgendeinem anderen Himmelsstrich Ihr eigenes Leben führen und auf eine Chance, eine Sensation warten, die …«

»Zugegeben,« fiel sie hastig ein.

»Da, eines Tages kam Ihr Mann zu Ihnen und sagte, daß er arm sei. Das heißt, er hatte seine Praxis, aber er konnte Ihnen nicht mehr so viel geben, wie Sie brauchten, um sich frei und unabhängig zu fühlen. Was Sie bei jener Gelegenheit zu Ihrem Manne sagten, weiß ich nicht, doch nehme ich an, daß es just kein Schmeichelname war, den Sie ihm entgegenschleuderten.«

Dr. Gravenhag lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah mich an. Es war, als ob er während dieser Minuten einen Teil seiner Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte. Er rauchte die ganze Zeit heftig an seiner Zigarette, und sein Blick folgte mir aufmerksam und beobachtend durch den Zigarettenrauch. Ich dachte bei mir: Wartet er auf etwas? Vielleicht ein Signal? Und meine Stellung bei Tische wurde noch ungezwungener und vertraulicher, und meine Hand ruhte noch nachlässiger in meiner rechten Tasche. Wie kalt und beruhigend der Stahl eines Revolvers doch wirkt!

»Sie behaupten, daß ich mich leicht langweile,« meinte Frau Merete eifrig, »nun, augenblicklich langweile ich mich jedenfalls nicht. Was geschah dann?«

»Dann trafen Sie sich ein paarmal heimlich mit Ihrem Manne.«

»Ach, wie fade!«

»Und bei diesen Zusammenkünften, sagten Sie zu ihm (es ist nur eine Vermutung meinerseits, aber ich glaube, sie ist richtig), Sie sagten also: Gibt es denn keinen Ausweg, um deine Verhältnisse wieder aufzubessern? Der Gedanke, mit hundert Kronen im Monat mehr oder weniger zu rechnen, macht mich krank. Gibt es denn keinen Ausweg? Du bist ja Arzt, hast Geistesgegenwart, bist unantastbar und hartherzig. Gibt es keine Möglichkeit? … So oder ähnlich mögen Sie gesprochen haben, Frau Merete. Und er hat darauf geantwortet.«

»Was hat er geantwortet?« fragte sie und beugte sich über den Tisch.

»Er hat geantwortet: Es gibt nur den Ausweg durch ein Verbrechen.«

»Und was habe ich darauf geantwortet?« fragte sie eiskalt und neugierig.

»Sie antworteten: Nur zu, begehe das Verbrechen. Ich werde dir dabei behilflich sein. Hilf mir über die Langeweile dieser unerträglich schönen Frühlingsmonate hinweg!«

Bei diesen Worten entstand Stillschweigen bei Tisch, ein Schweigen, das ich benutzte, um mein Portweinglas zu leeren. Da hörte ich, wie die Tür im Nebenzimmer ging, die Polin hatte den Kaffee gebracht.

»Der Kaffee!« rief Frau Merete, indem sie sich auf echt weibliche Art des Ausweges bediente und die würdige Haltung der Wirtin einnahm. »Der Kaffee!« wiederholte sie.

Während wir uns erhoben, sagte sie lachend zu mir gewandt:

»Welches Verbrechen aber sollten wir gegen den armen kleinen Baron begangen haben?«

»Da Ihr Mann Arzt ist, wußte er, wie Sie ihn am geschicktesten ermorden konnten.«


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