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XLII.

So unglaublich es klingen mag, es entstand wirklich nach und nach eine sehr angenehme Stimmung bei diesem seltsamen Mittagessen. Jedenfalls empfand ich es so, ob aber auch Dr. Gravenhag sich behaglich fühlte, möchte ich dahingestellt sein lassen – ich zweifle sogar daran, denn sein Gesicht wurde immer länger, obgleich er sich die größte Mühe gab, sich zu beherrschen.

Was mir die Situation behaglich machte, war nicht allein das gute Essen, die sorgfältig gewählten Weine und die stilvolle Servierung, sondern auch das Gefühl, in der Gesellschaft einer schönen und interessanten Frau zu sein und zu wissen, daß diese Frau mir mit Interesse zuhörte. Außerdem aber war ich angeregt durch die Atmosphäre von Lebensgefahr und Spannung, die ich so sehr liebe, das Gefühl, daß die Chancen jeden Augenblick wechseln konnten, und daß ich jederzeit auf dem Posten sein mußte, um der Gefahr zu begegnen. Vielleicht gab mir gerade diese ungewöhnliche Nervenanspannung meine Ruhe. Nichts bringt mich mehr aus der Fassung, als wenn nichts geschieht, vollkommene Ereignislosigkeit macht mich nervös – ebenso wie man in einer öden Landschaft plötzlich von Platzangst ergriffen werden kann. Ich leerte mein Glas mit dem goldenen Moselwein in einem Zuge und fühlte mich von Feuer durchrieselt, als ob ich Sonnenschein geschlürft hätte. Frau Merete betrachtete mich mit jener merkwürdigen Ausdruckslosigkeit im Blick, die mir noch jetzt manchmal zu denken gibt. Ich kenne niemanden, der es wie sie versteht, die Gedanken so vollständig aus dem lebenden Gesicht auszulöschen – in den Augen anderer Menschen, selbst der dümmsten, kann man immer eine kleine Erzählung finden, in ihren aber war nur ein unendlich abwesender Blick, nicht fragend und nicht beobachtend. Ich erinnere mich, daß ich damals bei mir dachte: sie muß einzigartig im Gerichtssaal sein, wenn es gilt, sich zu verstellen. Wer weiß, vielleicht werde ich sie einst dort sehen …

Leider wurde die Situation dadurch verdorben, daß Dr. Gravenhag die Fassung verlor. Ich hatte damit gerechnet, daß die feine, gleichsam kristallisierte Spannung während des ganzen Mittagessens dauern sollte, eine Spannung, worunter die Drohungen wie Projektile glitzerten. Dr. Gravenhag aber, dessen Mut und Geistesgegenwart ich früher genug Gelegenheit hatte zu bewundern, wurde plötzlich ungeduldig – wahrscheinlich wurde er die Beute eines recht menschlichen Gefühls, des Aergers darüber, daß ich auf Gebieten jagte, wo er mich nicht zu treffen erwartete.

Er sagte:

»Als praktischer Arzt und Kriminalarzt bin ich in meinem Leben schon manchem Abschaum der Menschheit begegnet, nie aber einem, der mir so viel Widerwillen eingeflößt hat wie Sie. Sie vereinigen in Ihrem Wesen das Schlimmste, was es gibt, die Gewissenlosigkeit eines durchtriebenen Verbrechers, die Ekelhaftigkeit des Parasiten, die Widerwärtigkeit des Gelderpressers und die Ehrlosigkeit des Spions. Unser Zusammensein wird mir immer peinlicher. Lassen Sie mich sofort wissen, wieviel Sie verlangen, um uns in Ruhe zu lassen.«

»Lieber Dr. Gravenhag,« antwortete ich (er zuckte bei dieser Benennung zusammen), »ich stimme Ihrer Charakteristik zu. Doch ist sie unvollkommen. Was hat der Verbrecher getan? Er hat seine verbrecherischen Instinkte durch das Verbrechen eines anderen gesättigt. Und der Spion? Er würde nicht existieren, wenn nicht ein anderes Verbrechen auszuspionieren wäre. Unter diesen Umständen werden Sie es wohl berechtigt finden, daß sowohl der Spion wie der Verbrecher sich Bezahlung für ihre Arbeit verschaffen – und hiermit haben Sie den Gelderpresser und Parasiten. Auf diese Weise erst wird das Bild vollständig.«

Dr. Gravenhag wollte eine erbitterte Antwort geben. Merete aber legte ihre Hand beruhigend auf die seine und sagte zu mir gewandt:

»Ich finde es bewunderungswert von Ihnen, daß Sie Ihren Fehler zugeben.«

»Fehler?« sagte ich verblüfft.

»Na ja,« sagte sie lachend, »ich bediene mich eines milden Ausdrucks. Sie geben also offen zu, daß Sie ein Dieb sind.«

»Gnädige Frau,« erwiderte ich, »das gehört zu meinen Jugendsünden, heute bin ich viel mehr. Sie selbst haben mich ja als Falschspieler ertappt. Das bin ich also auch. Ich bin bezahlter Spion und gleichzeitig bezahlter Kontraspion gewesen. Während der letzten Jahre habe ich eigentlich ausschließlich davon gelebt, Personen zu verfolgen, die unehrenhafte Handlungen begingen, und habe dann die Früchte ihrer Bemühungen eingesteckt. Das alles ist doch zu bescheiden mit Dieb benannt, nicht wahr? Ich fliege höher als die anderen Habichte und habe ein Gefühl, das die anderen nicht besitzen und das mich im Grunde befriedigt, das Gefühl, die Krallen des Rächers zu tragen.«

Ich sah Dr. Gravenhag fest an.

»Ein Verbrechen aber gibt es, das ich noch nicht begangen habe,« fuhr ich fort, »und das ist überlegter Mord.«

»Und deswegen beschuldigen Sie mich?«

»Ja.«

»Wen soll ich ermordet haben?«

»Bester Freund, habe ich das noch nicht gesagt – natürlich den unglücklichen Marcus Friis.«

Die Nennung dieses Namens machte nicht den geringsten Eindruck auf die beiden.

Plötzlich fragte ich Frau Merete:

»Sagen Sie mir aufrichtig, Frau Doktor, wer von Ihnen bekam die Idee, Sie oder der da?«

Sie hob ihr Glas, nippte daran, blickte mich über den Kristallrand an und sagte, indem sie das Glas niedersetzte:

»Ich.«

Da stand Dr. Gravenhag auf und schleuderte sein Glas auf die Erde, daß es zerbrach.

Frau Merete hatte also gestanden.


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