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LI.

Im Eßsaal wurde ich ein gern gesehener Gast, der Oberkellner selbst kam immer an meinen Tisch, wenn ich mich zu meinen Mahlzeiten niederließ. Ich ging häufig im Vestibül ein und aus, damit der Portier und die Liftjungen mich recht genau sehen sollten. Außerdem tat ich noch etwas, das beweist, mit welcher Gründlichkeit ich zu Werke ging. Wenn ich tagsüber meine kleinen Spaziergänge in der Nachbarschaft des Hotels vornahm, gab ich meinen Zimmerschlüssel nie dem Portier, sondern behielt ihn in der Tasche – anscheinend, um nicht immer die Mühe zu haben, ihn mir beständig abzuholen, tatsächlich aber aus einem anderen Grunde, den ich später noch erklären werde.

Ferner unterließ ich es nie, den Liftjungen meine Zimmernummer zu sagen. Anfangs lachten die Jungen und protestierten: Wir wissen es, Herr. Als ich aber fortfuhr, sie zu nennen, 304, da meinten sie schließlich, es sei eine Eigenheit, eine Zerstreutheit von dem gnädigen Herrn.

Was aber wollte ich mit diesen Gesten erreichen?

Ich wollte erreichen, daß der richtige Dr. Gravenhag, wenn er kam, ungestört zum Fahrstuhl gehen, meine Nummer sagen und hinaufgefahren werden konnte. Niemand würde erstaunt sein, denn alle glaubten ja, daß ich es sei, der von einem Spaziergang zurückkam.

Außerdem würde ein solches Zuwegegehen Dr. Gravenhag beruhigen. Er würde bei sich denken: In einem Hotel, wo er so offen auftritt, kann nichts geschehen.

Nach vollbrachter Tat konnte ich dann ruhig mit meiner Tasche in der Hand an dem Portier vorbeigehen, meinen Schlüssel abgeben und sagen, daß ich für einen oder zwei Tage verreisen würde. Auf diese Weise konnte ich wie durch ein Taschenspielerkunststück den Täter des Verbrechens vollständig wegzaubern.

Als ich mir darüber klar geworden war, daß wir in unserer Sache zu keiner Uebereinkunft gelangen würden, schrieb ich ihm einen Brief. Dieser Brief war voller Versöhnlichkeit und Freundlichkeit. Daraus machte ich mir kein Gewissen, er war ja selbst ein schlauer Mann und konnte sich sein Teil dabei denken. Wenn ich einen solchen Brief von ihm bekommen hätte, würde ich jedenfalls bei mir gedacht haben: Der gerissene Fuchs führt sicher etwas im Schilde. Auf den genauen Wortlaut besinne ich mich nicht mehr, aber der Inhalt war ungefähr folgender:

 

»Sehr geehrter Herr!

Ich habe unseren Fall genau durchdacht und bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Sache sich in aller Freundschaft ordnen läßt. Ihr Verdienst ist es allerdings nicht, daß ich mich darauf einlasse, sondern eine dritte Person ist mit im Spiele, für die ich tiefe Hochachtung und außerdem Mitleid empfinde, so daß ich Ihnen weiter entgegenkommen will, als ich ursprünglich beabsichtigte, um zu einem guten und friedlichen Resultat zu gelangen. Nicht, daß ich die Summe, die ich neulich nannte, im Verhältnis zu der geleisteten Arbeit für zu hoch halte, doch bin ich, wie gesagt, bereit, Ihnen entgegenzukommen. Auf etwas muß ich indessen rechnen, da ich mich zur Zeit in Verlegenheit befinde und Spielen mich langweilt, womit ich mir sonst aus der Verlegenheit geholfen hätte.

Ich bitte Sie also, mich morgen um vier Uhr in meinem Hotel zu besuchen. Sie können geradeswegs mit dem Fahrstuhl hinauffahren, Zimmer Nr. 304. Es sollte mich freuen, wenn unsere Abrechnung Gelegenheit zu einem friedlicheren Beisammensein gäbe, als neulich. Auf alle Fälle werde ich im Restaurant eine Flasche Haut Brion 1899 für uns reservieren lassen.

Ihr sehr ergebener
Robert Robertson.«

 

Weder am selben Abend noch am anderen Morgen bekam ich eine Antwort.

Ich dachte bei mir: Vielleicht zeigt er ihr den Brief. Sie wird ihn lesen und mit ihrem sicheren Instinkt durchschauen. Er fragt sie dann: Soll ich gehen? Vielleicht antwortet sie nein. Vielleicht aber auch ja … Ich war in großer Unruhe.

Die Zeit von vier Uhr hatte ich mit Absicht gewählt. Ich wußte, daß jeden Tag um diese Stunde große Wagen mit Zementladung durch die Wilhelmstraße fuhren, die ein furchtbares Getöse machten und das Hotel von oben bis unten erzittern ließen. Warum aber legte ich so großes Gewicht auf diese Erschütterung? Man wird es gleich erfahren.

Ich saß unter der gestreiften Markise meines Balkons und wartete. Mit dem Glockenschlag vier sah ich ihn in einem Auto über den Wilhelmsplatz kommen, im brennenden Sonnenschein. Ich stand auf und begab mich auf den Gang hinaus. Merkwürdigerweise empfand ich gar keine Unruhe.


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