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XLV.

Dr. Gravenhag ging ins Nebenzimmer, der Türvorhang schlug hinter ihm zusammen. Ich war einen Augenblick mit Frau Merete allein im Eßzimmer.

»Haben Sie keine Angst?« fragte sie mich.

»Vor wem?«

»Sie wissen ja nicht, was Ihnen passieren kann. Sie drohen uns, und wir haben Zeit gehabt, uns vorzubereiten. Hüten Sie sich.«

»Wenn ich in einer Situation wie dieser Angst hätte, würde ich nichts im Leben erreicht haben.«

Plötzlich glitt sie dicht an mich heran.

»Wenn ich Sie nun aber bäte, fortzugehen und alles zu vergessen. Was würden Sie dann tun?«

Ich antwortete:

»Selbst wenn Sie mich bäten, würde ich es Ihnen abschlagen. Ich bin schon zu sehr in die Sache verwickelt, um mich davon loszumachen.«

»Ach,« sie seufzte tief, »Sie sind unfreundlich. Spielen Sie also Ihre grausame Rolle zu Ende.«

Wir betraten den Salon.

Dr. Gravenhag stand in seiner Lieblingsstellung vor dem Kamin. Er hatte sich bereits eine Zigarre angezündet. Das Licht fiel geradeswegs auf sein Gesicht, und ich bemerkte, wie verheert und abgehärmt er aussah, auch war er während der letzten Monate auffallend ergraut. Doch hatte er sich jetzt mehr Ruhe erkämpft, es war, als ob er Zeit gewonnen und einen Entschluß gefaßt hatte. Ich sorgte dafür, daß ich das Fenster im Rücken hatte. Man muß den Blick immer auf die Tür gerichtet haben, das ist das Sicherste.

Es schien Dr. Gravenhag angelegen zu sein, mehr über meine Nachforschungen zu erfahren. Es ist immer günstig, wenn man den Ankläger verleitet, seine Beobachtungen auszuplaudern. Dann weiß man, wie man ihm begegnen soll.

Er sagte:

»Bis zum Morde kann ich Ihren Mutmaßungen folgen. Das Motiv zum Morde aber verstehe ich nicht. Sie sagten ja selbst, daß der Baron nichts besaß, sollte ich ihn wegen einiger lumpiger hundert Kronen, die er in seiner Brieftasche hatte, ermorden?«

Jetzt nannte ich abermals die Summe.

»Nein, aber dreihunderttausend Kronen waren viel Geld für Sie.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Dr. Gravenhag und schüttelte den Kopf. »Diese Summe besaß Baron Marcus Friis nicht.«

»Nein, aber durch seinen Tod verschaffte er sie Ihnen,« antwortete ich. »Außerdem gewannen Sie noch etwas anderes durch Ihr Verbrechen. Und das spielte auch eine Rolle. Sie gewannen für eine kurze Zeit die Liebe Ihrer Frau.«

»Für eine kurze Zeit?« wiederholte er zögernd.

»Ja, für eine kurze Zeit,« antwortete ich und sah Frau Merete an. Jetzt war sie wieder so sonderbar, wie kürzlich bei Tische. Es war, als ob sie unsere Worte gar nicht hörte. Ihre Augen blickten leer und abwesend auf das Fenster. Unwillkürlich richtete ich mein Gesicht auch auf das offenstehende Fenster. Nein, dort war nichts zu sehen. Ein schwacher Luftzug bewegte die flordünnen Gardinen. Von der gegenüberliegenden Seite der Straße klang Klavierspiel herüber. Unter der gestreiften Markise des gegenüberliegenden Balkons, der reich mit Blumen geschmückt war, schienen Menschen, hauptsächlich Kinder, sich aufzuhalten.

Frau Merete hatte meine Vorsicht bemerkt, und plötzlich wurde sie wieder lebhaft.

»Ich begreife nur nicht, wie Sie mit Drohungen zu kommen wagen. Sie sind ja selbst Verbrecher. Wenn Sie zur Polizei gehen, werden Sie wahrscheinlich selbst verhaftet.«

»Sehr möglich. Aber ich gehe nicht zur Polizei. Es gibt andere Wege.«

»Eine anonyme Anzeige?«

»Liebe gnädige Frau, die Berliner Polizei kennt diese Mordgeschichte aus Kopenhagen ganz genau. Wenn sie erführe, daß hier ein Mann steht, der das Mysterium aufklären kann, wären die Detektive im Augenblick zur Stelle.«

»Welchen Vorteil aber würden Sie davon haben?« fragte sie.

Ich legte möglichst viel Bedauern in meine Stimme und sagte:

»Ich muß meine Drohungen klarstellen, sonst glaubt man mir nicht. Ich habe noch nie unterlassen, mich zu rächen.«

»Gibt es denn eine Lösung?« wandte sie ein. »Soweit ich verstehe, werden Sie beide sich nie einig werden.«

»Ich beuge mich niemals vor einem Gelderpresser,« sagte Dr. Gravenhag heftig.

»Dann werden wir allerdings nicht einig.«

»Ich mache einen Vorschlag,« fiel Frau Merete eifrig ein, »duellieren Sie!«

Duellieren! hatte sie gerufen. Geradezu enthusiastisch. Ich überlegte einen Augenblick. Ein Gefühl der Befriedigung, fast der Freude durchrieselte mich. Sie liebte ihn also nicht mehr, sonst würde sie sein Leben nicht aufs Spiel setzen. Vielleicht langweilte er sie von neuem. Vielleicht wünschte sie seinen Tod als eine letzte Sensation. Ich wollte sie auf die Probe stellen.

»Es gibt verschiedene Arten von Duellen,« sagte ich.

»Ich bin Offizier gewesen,« sagte Dr. Gravenhag, »und habe mich schon früher geschlagen.«

»Wollen Sie sich vielleicht nicht mit mir schlagen?« fragte ich.

»Unter anderen Umständen hätte ich es nicht gewollt,« antwortete er, »jetzt aber bin ich bereit.«

Ich machte eine bedenkliche Miene.

»Es gibt viele Sorten Duelle,« sagte ich, »Säbel, bis zur Kampfunfähigkeit des einen Teils, darüber ließe sich reden.«

»Ja, ja,« rief Frau Merete schnell, fast begeistert.

»Ein Revolverduell auf sechs Schritt Entfernung ist ein Kampf auf Leben und Tod.«

»Wie Sie wollen,« rief Frau Merete, »ganz wie Sie wollen.«

»Oder ein amerikanisches Duell mit zwei Kugeln, eine vergiftete und eine unschädliche.«

Frau Merete sah träumend vor sich hin. Sie schien diese furchtbare Wahl im Geiste bereits zu erleben.

»Ich duelliere nicht,« fuhr ich fort, »nie, unter keinen Umständen.«


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