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XLVII.

Ich gestehe, daß ich nicht feige bin, und gleichzeitig gebe ich zu, daß es eine Art Tugend ist, feige zu sein. In der modernen Rechtswissenschaft heißt es von einem überlegten Verbrechen, daß es als überlegt betrachtet werden muß, wenn sich bei dem Verbrecher Gegenvorstellungen geltend gemacht haben. Der Unterschied zwischen Feigheit und Nichtfeigheit ist der, daß der Feige den Gegenvorstellungen, die sich bei ihm geltend machen, nachgibt, während der Nichtfeige sie übersieht und ausschließlich aus seinen Augenblicksgefühlen heraus handelt. Wäre ich feige gewesen, hätte ich eingesehen, daß ich, unmittelbar nach diesem mißglückten Anschlag auf mein Leben, wenigstens vorläufig in Sicherheit gewesen sei. Ich hätte meines Weges gehen, mich verabschieden, für den angenehmen Nachmittag danken, mir unten auf der Straße ein Auto nehmen und so ungefährdet wie jeder andere Spießbürger meines Weges ziehen können. Nein, ich gestehe, daß ich nicht feige bin, Gott weiß, ob ich in jenem Augenblick nicht sogar aus Eitelkeit meinen Mut ein wenig zeigen wollte. Ich zog einen Lehnstuhl heran und setzte mich.

»Noch sind wir nicht fertig,« sagte ich, »noch sind wir nicht handelseinig geworden.«

Dr. Gravenhag trat ans Fenster und blickte zu der Häuserreihe auf der anderen Seite der Straße hinüber. Er strich sich gedankenvoll übers Haar.

»Ein unglücklicher Schuß,« sagte er, »die Jugend heutzutage ist so roh nach dem Kriege, alles spielt mit Waffen. Am schlimmsten ist es wegen der griechischen Vase, auf die Frau Merete soviel Wert legte.«

Wert von sieben Mark und vierzig Pfennigen, dachte ich bei mir. Laut sagte ich:

»Ich bitte Sie, keine weiteren Streiche mehr zu planen. Ich lasse mich nicht überrumpeln und habe meinen Revolver jederzeit zur Hand. Lassen Sie uns gleich ein Uebereinkommen treffen. Wieviel haben Sie noch von den dreihunderttausend Kronen im Besitz?«

»Welchen dreihunderttausend?« fragte Dr. Gravenhag.

»Ja, welchen?« fragte auch Frau Merete.

»Ich meine die dreihunderttausend, die nach dem Mord von Marcus Friis eingingen.«

»Der arme Bursche – welch seltsamer Gedankengang,« murmelte Dr. Gravenhag.

Ich sah nach der Uhr.

»In fünf Minuten gehe ich,« sagte ich, »und ich wohne im Hotel Kaiserhof, Zimmer Nr. 304. Heute schreiben wir den 26. August. Wir nähern uns dem Ende des Monats. Bevor er zu Ende ist, will ich die Sache erledigt haben. Ich nehme an, daß noch etwas über zweihundertundfünfzigtausend Kronen von dem Raub übrig sind. Ich verlange, daß Sie, mein Herr, mir spätestens übermorgen einen Besuch machen. Dann werde ich Ihnen Punkt für Punkt auseinandersetzen, wie dieser einzig dastehende Raubmord vor sich gegangen ist, wie man ein Vermögen gewinnen kann, wenn man einen armen Teufel erschlägt, wenn ein kluger und berechnender Arzt die Hauptperson ist. Ich werde Ihnen den Vorgang bis in alle Einzelheiten auseinandersetzen, denn jetzt kenne ich das Ganze genau, von den ersten Entwürfen in der Pension, durch die Vorbereitungen in der kleinen verlassenen Villa in Gentofte, bis zum Mord in Ihrer eigenen Wohnung. Wie haben Sie alles klug eingefädelt und durchgeführt! Und dennoch haben Sie etwas vergessen, mein Herr, – diese kleinen Vergeßlichkeiten gerade sind es, die die klügsten und berechnendsten Mörder zu Fall bringen. Sie haben die Hyäne vergessen. Das bin ich. Die Hyäne wittert auf meilenweite Entfernungen Aas und Verbrechen. Jetzt ist sie da, um zu holen, was ihr rechtmäßig zukommt.«

»Liebe gnädige Frau,« fuhr ich fort, »es fängt an zu dunkeln, und die Dämmerbeleuchtung von der Straße geniert mich. Wollen Sie so freundlich sein und die Vorhänge zuziehen. Und Sie, mein Herr, bitte ich, das elektrische Licht anzuzünden. Sie stehen gleich neben dem Kontakt.«

»Der Abend ist noch hell,« wandte er ein (er sprach seltsam heiser), »wenn Sie es aber wünschen …«

Er zündete das Licht an, und gleichzeitig zog Frau Merete die dicken Fenstervorhänge rasselnd zusammen.

Ich erhob mich.

»Jetzt gehe ich,« sagte ich, »ich möchte aber nicht noch einmal das Schicksal herausfordern. Die Gelegenheit war soeben vorzüglich gewählt, während die Autos und Wagen beim Theater vorfuhren und mit ihrem Lärm den Schuß übertönten. Ich weiß nicht, was Sie sonst noch in Vorbereitung haben, darum muß ich meine Vorsichtsmaßregeln treffen. Dr. Gravenhag,« fuhr ich fort, »der Korridor ist dunkel, wollen Sie so freundlich sein und Licht machen und die Tür zum Treppenhaus öffnen.«

Wahrscheinlich war etwas in meiner Haltung, das ihn zum Gehorsam zwang. Er ging hinaus. Hätte er nicht gehorcht, würde ich irgendeine Gewalttätigkeit begangen haben. Draußen wurde das Licht angezündet, und ich hörte das Knacken eines Schlosses. Die Tür zum Treppenhaus wurde geöffnet.

Da sagte ich zu Frau Merete:

»Ich werde im Duell Sieger bleiben. Wünschen Sie es?«

»Ja,« antwortete sie.

Ich rief laut:

»Dr. Gravenhag, kommen Sie herein!«

Er kam herein, blaß und unsicher.

»Stellen Sie sich dorthin,« sagte ich und wies ihm seinen Platz an.

Er gehorchte.

»Jetzt gehe ich. Rühren Sie sich nicht.«

Während ich hinausging, ließ ich ihn nicht aus dem Auge.


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