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XLIX.

»Wie wagen Sie es dann, hier zu sitzen?« fragte sie bebend, »wenn jemand Sie erkennt?«

»Das hat nichts zu sagen,« antwortete ich, »denn für die Oeffentlichkeit habe ich noch nichts begangen. Aber lassen Sie mich ausreden. Wenn wir uns trennen, und ich rechne mit dieser Möglichkeit, denn ich weiß ja nicht, wie charakterstark Sie sind, wie soll es Ihnen dann ergehen, liebe Frau Merete? Hierbleiben können Sie nicht, die Ereignisse, die eintreffen, werden Sie zwingen fortzureisen. Dadurch aber müssen Sie auch die wenigen Freunde verlassen, die Sie sich gewonnen haben. Ich meine nicht, daß der Verlust dieser Freunde eine große Rolle für Sie spielt, doch werden Sie auf alle Fälle ganz allein sein. Und eine einsame, schöne, intelligente und seltsam phantastische Frau, die von Ort zu Ort reist und die Zerstreuungen sucht, die sie an Badeorten und in Kurhotels findet, ist nicht beneidenswert. Sie sind viel gereist und wissen, wie furchtbar fade solch ein internationales Hotelleben ist. Ich weiß schon jetzt, wie es um Sie stehen wird, wenn ich Sie in einigen Jahren zufällig treffe. Sie haben das Getümmel der Welt nicht entbehren können, mitten in diesem Getümmel aber sind Sie trotzdem einsam geblieben, und Sie irren herum, Trost suchend in der Gesellschaft der Menschen, und von den Schatten Ihres vergangenen Lebens gejagt. Sie sind eine bekannte Figur in Spielsälen und beim Turf geworden. Wie wird man Sie nennen – die schwarzgekleidete Dame, oder die melancholische, die geheimnisvolle? Und so werde ich Sie eines Tages in Ostende, Monte Carlo oder in einem Boulevardcafé treffen, in einer Ecke sitzend, langsam einen Absinth schlürfend, während Sie durch den Rauch Ihrer Zigarette die Menschen beobachten.«

Sie hatte meinen Worten mit gesenktem Kopf gelauscht. Durch den Schleier konnte ich ihre Züge nicht genau erkennen, aber ich merkte, daß sie mir mit Aufmerksamkeit gefolgt war.

»Sie sprechen wie ein Prophet,« sagte sie, »welche andere Zukunft wollten Sie mir denn bieten?«

»Ein Leben mit mir,« antwortete ich und ergriff ihre Hand. »Es wäre ein Zusammenleben mit einem Verbrecher, aber keinem Verbrecher im gewöhnlichen Sinne, sondern einem jener Raubvögel von der Nachtseite des Lebens, die spähend über die tiefsten Abgründe schweben. Es würde ein Leben mit Inhalt werden, denn sind wir uns nicht ganz einig darin, Frau Merete, daß diese Zeit uns gelehrt hat, daß die alten Begriffe von Moral längst umgestoßen und vermodert sind. Ich wünsche nicht anders zu sein, als ich bin, ich glaube an ein Schicksal, das mich zu dem Leben, das ich führe, bestimmt hat. Doch selbst der einsame Raubvogel sucht Gesellschaft. Ich biete Ihnen einen Flug durchs Leben, wie Sie ihn anderwärts nicht finden werden. Zusammen könnten wir Wunderdinge verrichten. Kein Tag soll dem anderen gleichen, ich werde Sie vor dem grauen Nebel von Alltäglichkeit und Langeweile, den sie hassen, bewahren. Ich biete Ihnen ein Dasein, das mehr Nervenkitzel enthält als irgendein Hazardspiel. Was wählen Sie?«

Sie verharrte eine Weile schweigend. Dann sagte sie:

»Sie stellen mich zwei Möglichkeiten gegenüber. Aber es gibt noch eine dritte.«

Ich verstand, was sie meinte.

»Die erste Möglichkeit enthält viel, das mich anspricht. Das stille Leben mitten im Menschengewimmel und sogar in Einsamkeit, das immer beobachtende Leben paßt zu meiner Natur, die jede Tätigkeit haßt.«

»Diese Vorliebe für Untätigkeit entsteht nur dadurch, daß Sie nichts besitzen, das Ihr Interesse lohnt.«

»Vielleicht,« antwortete sie still. »Es gibt aber noch einen dritten Ausweg. Ich kann todesmüde werden und alles aufgeben. Woher wissen Sie, ob meine Nerven die furchtbare Spannung aushalten könnten?«

»Ihre Nerven habe ich auf die Probe gestellt,« sagte ich.

Da fragte sie nach einer Weile:

»Ich würde Sie also nie Wiedersehen?«

»Nie, Frau Merete,« antwortete ich.


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