Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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55

Es war einige Minuten vor zehn, als sich Mrs. Machennan nach einem kritischen Blick in den Spiegel in die Diele begab. Sie trug ein sehr hübsches Besuchskleid, denn sie war erst vor einer Stunde aus Notting Hill zurückgekehrt, wo sie eine junge Dame abgeliefert und mit einer älteren Dame ziemlich lange geplaudert hatte. Nun wäre allerdings inzwischen genügend Zeit gewesen, die Toilette zu wechseln, aber der Besucher, den Mr. Ramsay erwartete, sollte von der Frau des Hauses einen recht vorteilhaften Eindruck erhalten.

Schlag zehn schrillte die Klingel der Haustür, und Mrs. Machennan zupfte rasch noch einmal an ihrem Kleid und öffnete mit ihrem allersanftesten Lächeln die Tür.

Der hagere Herr mit dem harten, ledernen Gesicht wurde durch die angenehme Erscheinung zu besonderer Höflichkeit veranlaßt. »Mr. Ramsay, bitte?«

»Bitte . . .«, hauchte Mrs. Machennan und ging graziös voran.

»Oh, wir haben uns bereits einmal irgendwo gesehen«, sagte Oberst Ashford überrascht, indem er Ramsay die Hand schüttelte. »Es ist doch wirklich seltsam, welche Anziehungskraft das ›Haus im Schatten‹ ausübt.« Er nahm Platz. »Aber ich kann das vollkommen verstehen. Es ist ja dort immer etwas los. Noch mehr als bei uns.«

»Ja«, stimmte Ramsay lächelnd bei. »Wenn man eine bedenkliche Dosis Unruhe und Abenteuerlust im Blut hat, kann man sie bei uns halbwegs loswerden. Hat es in Camberwell noch etwas gegeben, Oberst?«

»Nein. Von den zwei Burschen, die uns gestern abend noch in die Hände gelaufen sind, wissen Sie ja bereits. Aber es ist aus ihnen ebensowenig herauszubekommen wie aus den andern. Nun haben wir also im ganzen bereits sieben von der Bande in Verwahrung. Wenigstens nehme ich an, daß sie zusammengehören.«

»Mehr oder weniger, ja. Bis auf den ersten, den wir uns eigentlich bloß als Zeugen gesichert haben. Diesen können Sie wieder laufen lassen, falls wir ihn nicht brauchen sollten. Das wird sich heute nacht ergeben. Dann erfahren Sie auch, welche Anklagen gegen die Leute zu erheben sind. Wenn es sich irgendwie vermeiden läßt, soll von der eigentlichen Sache nicht gesprochen werden, und das ›Haus im Schatten‹ muß auf jeden Fall aus dem Spiel bleiben.«

Ashford nickte kurz. »Ich verstehe. Hoffentlich klappt alles. Ich habe zwanzig Mann in Zivil, davon die Hälfte Motorradfahrer, im Bezirk verteilt.«

»Sie werden kaum etwas zu tun bekommen«, meinte Ramsay mit einem sonderbaren Lächeln. »Es handelt sich lediglich darum, daß wir ein genaues Bild davon erhalten, was sich abspielt. Die eigentliche Arbeit wird Oberst Wilkins mit seinen Leuten besorgen. Wir wollen ihn dabei nicht stören und es überhaupt vermeiden, daß er auf unsere Maßnahmen irgendwie aufmerksam wird.«

Der Chef des Konstablerwesens räusperte sich, und Ramsay blickte nach der Uhr.

»Wir können langsam aufbrechen, Oberst«, sagte er. »Da wir Admiral Sheridan und Sir Frederick abholen müssen, haben wir einen ziemlichen Umweg zu machen, und es wäre gut, wenn wir schon kurz nach elf in Rotherhithe wären. Ich habe zwar bereits einen Mann draußen, der genau weiß, um was es sich handelt, aber wir wollen doch auch von Anbeginn mit dabei sein.«

Ashford erhob sich, und während er die Handschuhe anstreifte, fragte er so nebenbei: »Können Sie mir verraten, was Sir Frederick mit der Sache zu tun hat?«

»Sir Frederick?« Ramsay, der eben in den Mantel schlüpfte, zeigte ein höchst unbefangenes Gesicht. »Er ist mit Sheridan sehr befreundet und begleitet ihn.«

»Hmmm . . .«, machte der Chefkonstabler. »Und der Herr von Ihrem ›Haus im Schatten‹ kommt nicht mit?«

»Sie meinen MacDowell? Nein. Er verläßt sich völlig auf uns«, erklärte Ramsay.

Aber Oberst Ashford hatte noch eine Frage. »Sie glauben also, daß mit der Sache Gardner auch der Fall Foster wieder aufgerührt werden wird?«

»Das wird sich nicht vermeiden lassen. Ich habe jedoch das Gefühl, daß diese unangenehmen Dinge sich sehr rasch und einfach erledigen werden.«

»Wir wollen es hoffen«, murmelte der Chef des Konstablerwesens etwas bedrückt. In diesem Augenblick meldete sich das Telefon, und Ramsay eilte ins Nebenzimmer.

»Wir können uns einen Weg sparen«, sagte er, als er nach wenigen Minuten wieder erschien. »Sir Frederick macht nicht mit. Er hat eben telefoniert, daß er sich für diese nächtliche Expedition nicht wohl genug fühle.«

»Oh«, meinte Ashford, während sie zur Tür schritten, mit einem harmlosen Lächeln, »ich gebe gern zu, daß ein Spielchen im Klub um diese Stunde ein weit größeres Vergnügen sein mag.«

 

Als der Wagen die Grenze von Bermondsey erreicht hatte, blendete er die scharfen Lichter ab und bog in eine der zum Southwark Park führenden Straße ein. Brook wartete bereits und setzte sich neben den Chauffeur.

»Wir können noch ein Stück fahren«, meldete er über die Schulter. »Vermutlich wird sich alles in dem Viertel um den Park abspielen, denn dort hat der Sergeant sich hauptsächlich umgesehen. Auch Oberst Wilkins war gegen Abend hier und ist die ganze Gegend bis hinunter zur Bahnkreuzung abgegangen.«

Admiral Sheridan schnaufte vor verhaltener Erregung, Oberst Ashford aber stellte eine rasche Frage.

»Haben Sie irgendwelche Leute bemerkt?«

Brook wußte, was das heißen sollte, und gab eine vorsichtige Antwort. »Bemerkt habe ich sie eigentlich nicht, Sir, denn sie verhalten sich sehr unauffällig, aber ich weiß, daß sie da sind. Bis jetzt habe ich siebzehn gezählt.«

Hinter der Bermondsey-Station ließ Brook den Wagen halten und übernahm die Führung. Die Nacht war stockdunkel, und die Beleuchtung in dem von den Schienensträngen der großen Bahnlinien durchschnittenen Viertel war recht spärlich, aber glücklicherweise herrschte kein Nebel.

Unweit des Parks gab es am Bahndamm eine geschützte Stelle, die ziemliche Übersicht und in einer dicht daneben gelegenen Unterführung nötigenfalls auch Deckung und Bewegungsfreiheit bot. Der Admiral, Oberst Ashford und Ramsay nahmen hier Aufstellung, und es zeigte sich, daß auch einer der Detektive den Platz sehr günstig gefunden hatte. Brook verschwand sofort wieder, und es verging eine halbe Stunde, bevor er endlich etwas atemlos zurückkehrte. Er blickte einige Minuten angestrengt zum Parkrand hinüber, dann deutete er auf drei Gestalten, die dort auftauchten.

»Der Sergeant mit seinen Leuten«, flüsterte er. »Wahrscheinlich werden sie in die zweite Straße links einbiegen.«

Der Weg der drei ließ sich nicht weiterverfolgen, aber es war wirklich so, wie Brook angenommen hatte. Anthony hatte sich mit seinen beiden Begleitern einen aufgelassenen Zimmerplatz ausgesucht, wo man sowohl die Süd- wie die Westseite des Parks vor sich hatte, und wenn es mit der Sicht auch nicht besonders gut bestellt war, einen Wagen konnte man immerhin auf größere Entfernung wahrnehmen. Schließlich würde ja der Oberst wohl die Stelle wissen, wo die Begegnung stattfinden sollte, und dann konnte man sich immer noch entsprechend verteilen.

Aber Oberst Wilkins schien die Stelle heute nicht genau zu wissen. Er trat kurz vor Mitternacht plötzlich von irgendwoher aus der Dunkelheit, und seine erste Frage galt dem Kahlkopf. Als er erfuhr, daß von dem Mann bisher nichts zu sehen gewesen sei, dachte er einen Augenblick nach und wiederholte dann die Anweisungen, die er am Vormittag gegeben hatte.

»Bleiben Sie also diesmal beisammen«, sagte er mit einer Stimme, die Anthony völlig verändert schien. »Ich habe Sie dann wenigstens alle sofort bei der Hand, sobald ich Sie brauche. Ich werde mich nun selbst nach unserem Mann umsehen, und Sie haben nichts anderes zu tun, als auf mein Signal zu achten. Meinen Pfiff kennen Sie ja, und wenn es etwas entfernter sein sollte, werde ich Sie durch meine Hupe rufen. Solange Sie aber nichts von mir hören, rühren Sie sich auf keinen Fall von Ihrem Platz, auch wenn sich um Sie herum noch so seltsame Dinge abspielen sollten. Ich weiß genau, warum ich das anordne, und erwarte, daß Sie sich strengstens an meinen Befehl halten werden.«

Damit nickte er kurz und verschwand.

 

Auf die Minute eine Viertelstunde nach Mitternacht – zwei Leute von Scotland Yard konnten den Vorgang genau beobachten – kam ein Wagen in schneller Fahrt vom Themse-Tunnel an der East London-Bahnstrecke herunter. Beim Canada-Dock hielt er einen Augenblick, um einen Mann in einem langen Mantel und plumpen hohen Filzstiefeln aufzunehmen, der sich bis dahin im Schatten der Allerheiligen-Kirche herumgedrückt hatte. Dann setzte das Auto seine Fahrt fort und nahm die Richtung gegen den Southwark-Park.

»Also«, fragte der Herr am Steuer, »was macht Oberst Wilkins?«

»Ich habe Ihnen doch schon mitgeteilt, daß von dieser Seite nichts mehr zu befürchten ist«, gab der Kahlkopf durch das Mikrophon zurück. »Man muß es schon etwas geschickter anstellen, wenn man mich fangen will. Im übrigen habe ich erfahren, was es mit Wilkins' Betriebsamkeit für eine Bewandtnis hat. Sheridan ist wegen Ihrer Funkerei außer sich und hat den Oberst auf die Beine gebracht. Nun schnüffelt dieser überall herum; und Sheridan hat in der verflossenen Nacht wieder Peilungen vornehmen lassen.«

»Oh – und was hat man gefunden?«

»Das konnte ich noch nicht herausbekommen. Aber ich hatte Ihnen doch geraten, eine Weile Ruhe zu geben.«

»Sonst gibt es gar nichts Bedenkliches?«

»Nein.«

Der Wagen lief lautlos weiter, und der Kahlkopf prüfte mit hastigen Griffen die Wände. Wohin er faßte, spürte er kalten Stahl, und auch die Fenster waren innen mit starken Platten verdeckt. Es gab für ihn bloß eine einzige Möglichkeit, und diese mußte er sich nun schaffen.

Sein Begleiter unterbrach das Schweigen: »Es ist Ihnen doch bekannt, daß Gardner gestern ermordet worden ist?«

»Ich habe davon gelesen.« Es klang sehr gleichgültig, aber dann kam doch eine Frage, die das verhaltene Interesse verriet. »Wissen Sie etwas Näheres darüber?«

»Nicht mehr, als in den Zeitungen stand. Und das war auffallend wenig. Fanden Sie das nicht auch? Scotland Yard und die Reporter pflegen doch sonst bei derartigen Fällen viel geschwätziger zu sein.«

Der Kahlkopf wurde lebhafter. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß mir diese Schweigsamkeit nicht gefällt«, gab der Mann am Steuer zurück. »Und auch verschiedene andere Dinge nicht. Wenn Sie mir nicht so nachdrücklich versicherten, daß von Wilkins und Sheridan keine unmittelbare Gefahr droht, wäre ich äußerst beunruhigt. Es ist nämlich gestern auch mit dem Mädchen aus Notting Hill etwas geschehen, was ich mir nicht erklären kann; und auch wegen einiger meiner Leute mache ich mir Sorge. Sie sind seit vierundzwanzig Stunden spurlos verschwunden . . .«

Diese überraschenden Neuigkeiten klangen auch dem Kahlkopf sehr übel, aber er fand es zwecklos, darüber im Augenblick ein Wort zu verlieren. Wenn das, was er vorhatte, getan war, hatten alle diese Dinge für ihn keine Bedeutung mehr. Es galt also, nun schleunigst zu handeln.

»Dafür habe ich heute für Sie etwas Erfreuliches«, flüsterte er geheimnisvoll in die Muschel. »Es wird Sie zwar ganze zweitausend Pfund kosten, aber es ist das Geld wert. Ich habe nämlich eine jener Sachen von Sheridan in der Tasche, hinter denen Sie hauptsächlich her sind. Es ist allerdings unbedingt notwendig, daß ich Ihnen dazu einige kurze Erläuterungen gebe . . .«

»Bitte, erläutern Sie . . .«

»Das geht jetzt nicht«, erklärte der Kahlkopf kurz und ungeduldig.

»Wie wollen Sie es sonst machen?«

»Nachher beim Aussteigen. Bereiten Sie das Geld vor, und ich übergebe Ihnen die Papiere. Es sind drei fotografische Pläne, aber es fehlt darauf die Beschreibung. Ich muß Ihnen daher sagen, um was es sich handelt. Am besten wird es sein, Sie setzen mich an der Bahnstrecke hinter der Surrey-Docks-Station ab. Dort sind wir völlig ungestört.«

Er wartete begierig auf die Antwort.

»Also, so stellen Sie sich das vor? Gut, wie Sie wünschen«, sagte der Mann am Steuer endlich, und Nummer Drei bereitete sich auf den entscheidenden Augenblick vor. Er schob die Rechte in die Manteltasche, die den Browning mit dem Schalldämpfer barg, und holte mit der Linken ein Bündel Papiere hervor. Es mußte alles in der kurzen Zeitspanne einer Sekunde geschehen. Während er dem andern die Papiere hinreichte, mußte auch schon der sichere Schuß fallen. Hierauf galt es noch einige rasche Handgriffe zu tun und einen zweiten Schuß abzufeuern – und das gefährliche Wagnis war geglückt.

Dann gab es keine Schlinge um den Hals mehr, sondern ein neues Leben, von dem endlich alle Sorgen genommen waren . . .

Der Kahlkopf wurde ungeduldig. »Sind wir noch nicht bald am Ziel?« fragte er nach einigen Minuten.

»Wir sind bereits an der Bahn«, erhielt er zur Antwort. »An der ersten passenden Stelle werde ich halten.«

 

Die Gruppe am Bahndamm machte sich bereit, in der Unterführung Deckung zu suchen, denn wenn der Wagen, der mit winzigen Lichtern heranrollte, nicht in der nächsten Minute abbog, mußte der Fahrer sie entdecken.

Aber in einer Entfernung von etwa vierzig Schritten hielt das Auto plötzlich an.

»Einen Augenblick, ich will bloß das Geld abzählen, damit wir uns nicht zu lange aufhalten«, kam es von vorn durch das Sprachrohr. »Es ist etwas viel, was Sie verlangen – aber wir werden ja sehen.«

»Sie werden zufrieden sein«, versicherte der Kahlkopf eifrig und wartete mit gespannten Muskeln, bis die Tür aufspringen würde. Anders konnte er ja aus dem verdammten Kasten nicht heraus, und es war ihm nicht einmal möglich, sich wenigstens über den Ort, an dem man hielt, zu orientieren. Dies alles gestaltete sein Vorhaben so schwierig, aber er mußte es ausführen, so ungünstig die Verhältnisse auch lagen.

In diesem Augenblick verlöschten die Lichter des Wagens, und Donald Ramsay fuhr aus seiner starren Ruhe auf.

»Ich glaube, jetzt kommt die Entscheidung«, flüsterte er seinen Begleitern zu, und vier scharfe Augenpaare bohrten sich in fieberhafter Erwartung in die Dunkelheit. Es war aber zu weit, um mehr als die Umrisse des Autos wahrnehmen zu können. Nur Brook sah plötzlich noch etwas.

»Eben ist jemand ausgestiegen«, flüsterte er. »Auf der Seite zur Bahn. Er muß hinter dem Wagen sein . . .«

Es verging eine weitere Minute, und dem Kahlkopf währte es nun bereits viel zu lange. Er fühlte, wie die Spannkraft seiner Nerven immer mehr nachließ, und auf einmal war es ihm, als ob ein eiserner Reif sich um seine Brust legte . . .

»Zum Teufel – lassen Sie mich schon heraus«, keuchte er mühsam, und in seinen Augen stand wahnsinniges Grauen . . .

In die nächtliche Stille fuhr ein dumpfer Knall, und die hohe Stichflamme, die aus dem Wagen schoß, schuf mit einem Schlag eine lohende Helle.

»Alle Ihre Leute, Oberst«, rief Ramsay, indem er mit langen Sätzen vorwärts stürzte, und Ashfords Signalpfeife schrillte auch schon durch das Gelände. Im Nu kam von allen Seiten ein vielfaches Echo, und bereits in der nächsten Minute ratterte es wie eine Hetzjagd heran.

Das Viertel um den Southwark-Park war plötzlich von Lärm erfüllt, und Sergeant Anthony hielt sich auf dem Sprung. Nun konnte jeden Augenblick das Signal seines Vorgesetzten kommen. So angestrengt er aber auch lauschte, er vernahm weder das Signal noch die Hupe. Und er fühlte sich immer mehr versucht, doch rasch einmal nachzusehen, was der Spektakel drüben an der Bahn zu bedeuten haben mochte. Aber der Befehl Oberst Wilkins' hatte ganz klar und deutlich gelautet, und Sergeant Anthony war ein Mann von Disziplin. Also blieb er gehorsam auf seinem Posten . . .

Ramsay und Brook waren die ersten bei dem brennenden Wagen. Die Explosion war so heftig gewesen, daß sie Rahmen und Karosserie teilweise aus den Fugen gerissen hatte, und auch eine der Türen war aufgeflogen.

Über das Trittbrett baumelte ein menschlicher Fuß, und die Flammen fraßen bereits an dem unförmigen Filzstiefel.

Brook sprang ohne Zögern in die züngelnde Glut und riß den reglosen Körper aus dem Wagen.

»Bitte, lassen Sie den Platz in einem recht weiten Umkreis absperren«, rief Ramsay dem Chefkonstabler zu. »Niemand darf in die Nähe. Auch Ihre Leute nicht.« Dann trat er zu dem Geborgenen, den Brook in einiger Entfernung auf den Bahndamm gebettet hatte. Er wußte bereits, was er zu sehen bekommen würde, und war daher von dem Anblick gar nicht überrascht.

Der stoische Brook aber zeigte sich recht betroffen. »Nichts mehr zu machen . . .«, murmelte er nachdem er seine kurze Untersuchung beendet hatte.

Admiral Sheridan stand breitbeinig mit vorgestrecktem Kopf und starrte fassungslos in das fahle, verzerrte Gesicht des Toten.

»Das ist der gefährliche Mann, von dem man Ihnen berichtet hat, Sir«, sagte Ramsay, indem er auf den kahlen Schädel wies, von dem die Kappe geglitten war. »Und hier« – er tastete rasch den linken Arm des Verunglückten ab –, »jawohl, hier sitzt der Schuß, den ich ihm vorgestern nacht nachgeschickt habe.«

Auf seinen Wink streifte Brook dem Kahlkopf auch den Mantel und die hohen Filzstiefel ab, und der erbitterte Sir John preßte etwas durch die verbissenen Zähne, was glücklicherweise nicht zu verstehen war.

»Diese Verwandlung konnte mit wenigen Handgriffen in einer Minute geschehen«, bemerkte Ramsay mit Nachdruck. »Sie werden nun begreifen, warum auf keinen Fall Oberst Wilkins den Mann zur Strecke bringen durfte. Damit, daß der andere so auf der Hut sein würde, konnte man ja nicht rechnen.«

»Was ist mit dem andern?« fragte Sheridan höchst ungeduldig.

»Das gehört zu der Geschichte, die ich Ihnen in Aussicht gestellt habe, Sir. Es wäre gut, wenn Oberst Ashford sie mit anhörte, denn sie ist auch für Scotland Yard von Interesse.«

»Bitte«, sagte der Chefkonstabler lebhaft. »Aber es ist hier noch etwas zu erledigen: man meldet mir, daß oben bei der Kirche ein verlassener Wagen steht. Was soll damit geschehen?« – Er wandte den Kopf über die Schulter zurück. »Und mit dem dort?«

»Das alles wird Brook besorgen«, erklärte Ramsay. »Lassen Sie, bitte, bloß das Auto heranbringen. Und vielleicht wollen Sie Ihren Leuten noch zu verstehen geben, daß es sich bei der Sache um einen bedauerlichen Unfall handelt. Solche Dinge sind ja immer möglich . . .«


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