Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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6

So gegen Mitternacht fand Mr. Gardner Gelegenheit, sich darüber im ›Klub der Globetrotter‹ auszusprechen.

Der ›Klub der Globetrotter‹ dessen Mitgliedschaft mit besonderer Vorliebe auf den Besuchskarten vermerkt wurde, war in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einem wahrhaftigen Herzog mit langmächtigen Titeln und märchenhaft viel Geld gegründet worden, und man mußte damals eine richtige Weltreise nachweisen, um Aufnahme zu finden. Heute stand an der Spitze des Klubs der geschmeidige Mr. Edward Page, ein Mann von sehr vielseitigen und bisweilen dunklen Geschäften, und unter den Mitgliedern gab es viele, die in ihrem Leben noch keine andere Luft als das dicke Londoner Gemisch geschnuppert hatten. Immerhin aber wies die Klubliste eine stattliche Reihe wirklich weitgereister Persönlichkeiten auf, und in den ausgedehnten Räumen wurden in buntem Durcheinander so ziemlich alle Sprachen der Welt gesprochen. Das gab dem Klub seine besondere Note und übte eine so starke Anziehungskraft aus, daß die Mitgliederzahl von Jahr zu Jahr anwuchs. Dadurch wurden natürlich bauliche Vergrößerungen notwendig, und man ging dabei den einfachen Weg, die anstoßenden Wohnhäuser nach und nach aufzukaufen, äußerlich ein bißchen herzurichten und im Innern miteinander in Verbindung zu bringen. So war mit der Zeit ein sehr stattlicher Block einbezogen worden, und nur ganz wenige Eingeweihte wußten genau zu sagen, wo in den beiden Parallelgassen in Chelsea, die am Themseufer mündeten, das Klubheim der Globetrotter begann, und wo es aufhörte. Aber die Mitglieder fühlten sich in diesem Labyrinth von Ein- und Ausgängen, von winkligen Korridoren und dunklen Höfen so wohl und geborgen wie nirgends sonst.

Auch Gardner kannte sich in dem wirr verästelten Bau nur ganz oberflächlich aus, obwohl er bereits seit mehreren Jahren hier verkehrte. Bloß zu den großen Gesellschaftsräumen fand er sich zurecht – und zu einer unscheinbaren Tür in einem Dachgeschosse, zu der man über eine dunkle halsbrecherische Holztreppe sich hinauftasten mußte. Diesen Weg war er zum ersten Mal geführt worden, als Maud Hogarth verhaftet worden war, und er hatte ihm Glück gebracht. Damals in ewigen Nöten, denen er durch nicht ganz einwandfreies Spiel und allerlei anderen bedenklichen Erwerb vergeblich zu entrinnen suchte, war er heute ein gemachter Mann. Damit hätte aber diese geheimnisvolle Beziehung auch ihr Ende finden sollen. Es war gar nicht nach dem Geschmack des Anwalts, daß er für den ihm zugeschanzten Erfolg nun gewisse Gegendienste zu leisten hatte. Die seinerzeitige Weisung, mit Maud Hogarth auch weiter in Verbindung zu bleiben, bedeutete ja an sich keine Zumutung, aber in der verflossenen Nacht hatte er telefonisch einen bestimmt lautenden Auftrag erhalten, der ihn seit dem mißglückten ersten Versuch am heutigen Morgen in steigende Unruhe versetzte. Gardner gab sich keiner Täuschung darüber hin, daß er blindlings in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten war, das sehr ernste Gefahren barg. Man hatte ihn gleich bei der ersten Begegnung an einige Entgleisungen in seiner Vergangenheit erinnert, die genügten, um ihn für immer zu erledigen, und schon das wenige, was er bisher von dem geheimnisvollen Apparat kennengelernt hatte, sagte ihm, daß er an bedenkenlose Männer geraten war.

Die Tür lag in einem versteckten Winkel, zu dem auch nicht ein Laut des lebhaften Klubbetriebes drang. Diese Totenstille ließ den Anwalt noch beklommener werden, und er mußte einen Augenblick an der Wand Halt suchen, da er eine alberne Schwäche in den Knien verspürte.

Endlich trocknete er die feuchte Stirn, schöpfte noch einmal tief Atem und drückte dann entschlossen auf den federnden Endknopf der Klinke. Nach einigen Sekunden tat sich die Tür mit einem leisen Knacken gerade mannsbreit auf, und der etwas zur Fülle neigende Gardner hatte einige Mühe, sich an der dicken Polsterung vorbeizudrücken. Dann gab es wieder ein Knacken und ein metallisches Geräusch, das von dem Einschnappen einer schweren Verschlußstange herrührte.

Der hinter der Tür liegende Raum war offenbar ein Teil eines ehemaligen Korridors. Er war schmal und fensterlos und nur durch eine matte Glühbirne erleuchtet. An der einen Schmalseite befand sich ein Schrank, an der andern standen ein Tisch und ein Stuhl. Von dorther kam mit einem Turban auf dem Kopf und vorgeschlagenem Gesichtsschleier ein gedrungener Mann, öffnete wortlos den massiven Schrank und forderte den Anwalt durch eine kurze Geste auf einzutreten. Gardner leistete auf etwas widerspenstigen Beinen Folge und ließ sich, erschöpft wie nach einer ungeheuren Anstrengung, auf die kleine Sitzbank fallen. Im nächsten Augenblick setzte sich der Aufzug in Bewegung und glitt scheinbar endlos in die Tiefe, um dann ebenso endlos wieder aufzusteigen und schließlich nochmals hinunterzufahren . . .

Die umständliche Reise endete schließlich in einem gewölbten Gang, wo der Begleiter zurückblieb, während der Anwalt sich durch eine halbgeöffnete schwere Tür in undurchdringliche Finsternis zwängte.

Aber plötzlich sprang aus dem Dunkel um ihn eine so stechende Helle, daß Gardner sekundenlang die Augen schließen mußte. Als er sie vorsichtig wieder öffnete, sah er sich abermals einem stummen, verhüllten Mann gegenüber, der auf ein Haar jenem glich, der ihn hierher geleitet hatte. Alles übrige war hier jedoch anders als im Dachgeschoß und übertraf sogar noch die Gediegenheit der Klubräume. Der spiegelnde Parkettboden des großen Zimmers war mit kostbaren Teppichen belegt, die Wände hatten bis zur halben Höhe eine Verkleidung aus lichtem gemasertem Holz, das wie gelber Marmor schimmerte, und der hohe Plafond trug kunstvolle Stuckarbeit. Das allzu grelle Licht kam von einem großen kristallenen Kronleuchter und einem dicken Kranz von Lampen, der rings um die Wandverkleidung lief. Vor dem Kamin gab es einen Tisch mit Zeitschriften, Zigarren, Zigaretten und Aschenbechern sowie einige Klubsessel.

Der schweigsame Diener wies auf die Tabakwaren, aber Gardner zögerte und blickte mit einer scheuen Frage nach der gegenüberliegenden glatten und leeren Wand. Der Verhüllte schüttelte den Kopf und wiederholte seine Einladung, und der Anwalt zündete sich nun mit unsicheren Fingern eine Zigarette an. Anscheinend mußte er diesmal warten, obwohl seine Nerven bereits am Ende ihrer Spannkraft waren . . .


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