Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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18

Donald Ramsay saß unbefangen an seinem Tisch und überlegte: zwei Stunden waren für ihn eine sehr knapp bemessene Zeit, denn er würde wohl einige Schliche anwenden und vielleicht einen großen Umweg machen müssen, um sich hartnäckigen Beobachtern zu entziehen. Damit hatte er unbedingt zu rechnen. Nicht weil der wilde Mann, den er vor sich hatte, nun mit geradezu steinerner Ruhe auf der Lauer lag, sondern auch, weil er wußte, daß auch noch andere, weit heimlichere Augen nicht von ihm ließen. Und diese Augen voll fieberhafter Unruhe bedeuteten weit mehr, als der immerhin ganz interessante Simonow.

Donald Ramsay leerte bedächtig sein Champagnerglas und entnahm dem Etui eine frische Zigarette. Der Aufsichtskellner kam herbei, um ihm Feuer zu reichen. Dann holte er die Flasche aus dem Eiskübel und füllte das leere Glas nach.

Der Gast hatte aber noch ein anderes Anliegen. »Halten Sie sich bereit«, sagte er in seiner leisen, lässigen Art. »Sowie Sie sehen, daß ich aufbreche, bringen Sie den Wagen an den vereinbarten Ort. Es wird vielleicht etwas länger dauern, bis ich komme, aber dann muß es sofort losgehen. Vorläufig will ich mich hier noch ein bißchen umschauen, und es wird gut sein, wenn auch Sie die Augen offenhalten. Also«, schloß der Gast mit einem kurzen Nicken, »bleiben wir bei einigen gesalzenen Mandeln.«

Der Kellner, der mit der verbindlichen Miene seines Berufes zugehört hatte, erwiderte: »Sehr wohl, Sir«, und verschwand im Seitengang.

Einige Minuten später – die bestellten Mandeln standen bereits vor ihm – erhob sich Ramsay plötzlich und begann langsam durch den Saal zu schlendern. Der lauernde Mann am Nachbartisch schlug blitzschnell die schweren Lider auf und war einen Augenblick unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Aber dann bemerkte er, daß drüben noch das Zigarettenetui lag, und hielt endlich die Gelegenheit gekommen, zu handeln . . .

Im Saal wurde es eben rege, denn es war eine Viertelstunde nach Mitternacht, und viele der Gäste rüsteten zum Aufbruch. Ramsay kam nur sehr langsam vorwärts, und sein Rundgang durch den Saal nahm eine ziemliche Weile in Anspruch.

Der Mann, der Simonow hieß, wenn er es auch vorzog, sich anders zu nennen, bemühte sich mit ausdrucksvoller Mimik, eines Zahlkellners habhaft zu werden, und da ihm dies nicht gleich gelang, machte er sich in seiner Ungeduld auf die Suche. Nach einigen Bemühungen hatte er endlich Erfolg. Er beglich seine Rechnung mit überstürzter Hast und stürmte auch schon in höchster Eile dem Ausgang zu. Nicht einmal der Herr mit der chinesischen Nelke, der eben langsam zu seinem Platz zurückschlenderte, interessierte ihn mehr . . .

Donald Ramsay setzte sich so behaglich zurecht, als ob er sich noch für längere Zeit einrichten wollte, und begann einige Mandeln zu knabbern. Dann griff er langsam nach dem noch immer vollen Glase und leerte es fast bis zur Neige . . .

In der nächsten Minute schauerte er plötzlich zusammen, und starrte mit unheimlich geweiteten Augen und zuckendem Gesicht um sich. Er versuchte aufzuspringen, vermochte sich aber nur mühsam auf die Füße zu stellen und mußte an Tisch und Stuhl eine Stütze suchen, um nicht zu Boden zu gleiten . . .

Zum Glück war auch schon der Aufsichtskellner an seiner Seite und riß ihn mit einem kräftigen Schwung in den Seitengang.


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