Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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34

Nach der anscheinend ziellosen Kreuzundquerfahrt verlangsamte der graue Fordwagen genau dreißig Minuten später drüben in Old Ford wieder einmal sein scharfes Tempo, um den Mann mit dem langen Wettermantel und der Schirmmütze, den er unterwegs abgesetzt hatte, wieder aufzunehmen.

Der Kahlköpfige verhielt sich diesmal völlig schweigsam, bis eine scheppernde, ungeduldige Stimme, die durch die Scheidewand kam, ihn aufrüttelte.

»Was hat es also gegeben?«

»Was ich Ihnen sagte«, fistelte der Fahrgast verdrießlich in die Muschel. »Die Leute des Obersten Wilkins sind mir offenbar auf der Spur. Ich habe schon das letzte Mal etwas geargwöhnt, aber heute bin ich meiner Sache völlig sicher geworden. Wir werden also in Zukunft besonders vorsichtig sein müssen.«

Dem Herrn mit dem buschigen Schnurrbart, der das Auto führte, schien diese beunruhigende Mitteilung sehr zu denken zu geben, denn es kam lange Zeit keine Antwort. Nur das leise Surren des Motors war in dem Wagen zu hören, der durch die eingeschobene Querwand in zwei vollkommen abgetrennte Zellen geteilt war. Und wie im Innern, war er auch nach außen fürsorglich abgeschlossen. Die Fenster verdeckten spiegelnde Metallplatten, und wenn es not tat, konnte der Lenker durch einen einfachen Handgriff auch die Schutzscheibe auf dieselbe Weise sichern.

»Wie kommt auf einmal Oberst Wilkins auf den Plan?« klang es endlich zurück.

»Das weiß ich nicht«, erwiderte der Kahlköpfige. »Vielleicht ist man auf uns aufmerksam geworden. Gewisse Leute sind sehr beunruhigt, denn Sie funken zuviel.«

Die letzten Worte machten offenbar Eindruck, denn der Fahrer stoppte mit einem Ruck. »Haben Sie etwas darüber gehört?« fragte er hastig.

»Nur soviel, daß alle Stationen deshalb besondere Anweisungen erhalten haben. Schränken Sie diese gefährliche Sache also tunlichst ein. Was den gerissenen Wilkins betrifft, so werde ich ihn uns schon vom Leibe halten.«

»Und der Admiral?«

Diesmal ließ die Antwort des Kahlköpfigen etwas länger auf sich warten, lautete aber dann sehr bestimmt. »Sheridan? Von dieser Seite haben wir überhaupt nichts zu befürchten. Er ist zu Lande schwerfällig wie eine Robbe.«

»Hoffentlich täuschen Sie sich nicht«, sagte der andere. »Ich traue dem Mann nicht, und Sie müssen alle Ihre Beziehungen aufbieten, damit er uns nicht etwa eines Tages eine peinliche Überraschung bereitet. Die Dinge stehen augenblicklich sehr übel. Vor allem weiß ich nun, daß die Dokumente wirklich die allergrößte Gefahr bedeuten. Bisher durften wir immer noch hoffen, daß Unberufene damit nichts anzufangen wüßten, aber damit können wir weiterhin nicht mehr rechnen: Bexter hat sie vor seinem Tode entziffert . . .«

Diese Neuigkeit brachte den Kahlkopf endlich aus seiner Gelassenheit. Er stieß einen halblauten Fluch aus und fragte dann: »Woher wissen Sie das?«

»Ich weiß es, das ist die Hauptsache«, wurde er kurz abgefertigt. »Und schließlich hat auch Maud Hogarth die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht, in dem wir vielleicht einen sehr gefährlichen Gegner zu sehen haben. Im übrigen muß ich Ihnen das wohl nicht erst erzählen, da Sie ja heute nachmittag die Sache in Richmond wagten. Ich erfuhr bereits eine Viertelstunde später von der Geschichte, war aber darüber gar nicht erfreut. Sie hätten sich vorher mit mir in Verbindung setzen sollen.«

»Als ich Foster erledigte, habe ich auch nicht erst viel gefragt«, zischte der Kahlköpfige, durch den scharfen Tadel gereizt.

»Das war etwas anderes. Vor allem hatten Sie damals Erfolg. Und vielleicht wäre es Ihnen auch diesmal geglückt, wenn Sie mich von Ihrem Vorhaben unterrichtet hätten. Jedenfalls hätte ich Ihnen einige wertvolle Winke geben können.«

Der Mann im hinteren Teil des Wagens wurde etwas kleinlauter. »Das können Sie jetzt auch noch tun«, knurrte er. »Der Bursche muß unbedingt aus dem Weg! Es scheint mit dem Teufel zugegangen zu sein, daß wir ihn nicht schon vom Halse haben . . .«

»Ja«, kam es von vorne nachdrücklich zurück, »das ist es eben, worauf ich Sie aufmerksam machen wollte: es scheint immer irgendwie mit dem Teufel zuzugehen, wenn man diesem Gentleman an den Leib will. Das hat gestern auch schon ein anderer meiner Leute erfahren.«

Es gab einiges an dieser Mitteilung, was den Fahrgast interessierte, aber er beschränkte sich auf die wichtige Frage: »Was halten Sie von ihm?«

»Ich denke an zwei Möglichkeiten: entweder haben wir es mit jemandem von jener Seite zu tun, die uns am gefährlichsten werden kann . . .«

»Ausgeschlossen«, warf der Kahlkopf mit großer Bestimmtheit ein. »Davon hätte ich sicher erfahren!«

»Gut – dann dürfte der unternehmende Mann also wohl zu jener Bande gehören, der wir alle Schwierigkeiten zu danken haben.«

Der andere verlor plötzlich die Ruhe: »An diesen Schwierigkeiten sind einzig und allein Sie schuld. Bei unserem Geschäft ist man nicht so ungeschickt, sich derartige Dinge stehlen zu lassen. Die Sache mit Foster und all das andere wäre nicht notwendig gewesen, wenn Sie nicht diese Unvorsichtigkeit begangen hätten. Und wir würden nicht seit Monaten mit einer Schlinge um den Hals herumlaufen!«

Es klang sehr erbittert, aber den Herrn am Lenkrad berührte das nicht.

»Nummer Drei«, hauchte er in das Mikrophon, »es ist nicht Ihre Sache, mir Vorwürfe zu machen. Auch dem Vorsichtigsten kann einmal ein Fehler unterlaufen. Und es gehört auch zu unserem Geschäft, daß man hier und da einmal in eine Schlinge gerät. Dann zeigt es sich erst, was man wert ist. Strengen Sie sich also ein bißchen an, damit wir aus dieser verdammten Geschichte endlich herauskommen. Sie wissen, ich verlange nichts umsonst. Die Dienste, die Sie mir bisher geleistet haben, habe ich gewiß sehr anständig bezahlt. Auch den Brief Bexters und die Sache mit Foster. Und wenn Ihr heutiges Unternehmen in Richmond gut ausgegangen wäre, hätten Sie sich auch nicht über die Bezahlung zu beklagen gehabt.«

Es blieb einige Augenblicke still, dann räusperte sich Nummer Drei umständlich und begann von einer anderen Sorge zu sprechen. »Sie werden auch so wieder einmal etwas für mich tun müssen«, sagte er. »Ich brauche dringend Geld. Wenigstens dreihundert Pfund. Sie können ja den Betrag bei der nächsten Gelegenheit verrechnen.«

Das lange Schweigen war kein gutes Vorzeichen, und als endlich eine Antwort kam, klang sie auch wirklich wenig entgegenkommend.

»Sie scheinen vergessen zu haben, daß bereits einige solcher Vorschüsse zu verrechnen sind. Ihre Nachrichtendienste sind dürftig. Was Sie an Material brachten, war ja an sich recht interessant, aber für uns von wenig Wert. Das wissen Sie selbst.«

»Ich habe Ihnen aber ganz genau angegeben, wo und wie das andere zu holen ist«, erwiderte der Kahlköpfige erbost. »Warum haben Sie nicht schon längst zugegriffen? Wir könnten bereits über alle Berge sein, und die verdammte ›Chinesische Nelke‹ würde uns nicht mehr schrecken.«

»So, wie Sie sich die Geschichte vorstellen, würde es unbedingt einen Heidenlärm geben, von dem unsere Leute wenig erbaut wären!« lautete die gelassene Antwort. »Sie müssen es schon mir überlassen, wann und wie ich Ihre Angaben verwerte. Falls diese zutreffen, erhalten Sie auch die vereinbarten sechstausend Pfund. Und vorläufig will ich Ihnen auch noch die verlangten dreihundert zur Verfügung stellen. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es nun erst wieder Geld gibt, wenn wir wirklich am Ziel sind. Es wird sich daher empfehlen, daß Sie Ihre Spielwut etwas einschränken. Wie ich mir sagen ließ, haben Sie in der letzten Woche an einem einzigen Abend ein kleines Vermögen verloren.«

So erleichtert sich der andere fühlte, weil er seinen ewigen geldlichen Nöten für den Augenblick wieder einmal entronnen war, die letzte Bemerkung gefiel ihm gar nicht. »Sie lassen mir also nachspionieren«, polterte er aufgeregt. »Das ist gegen unsere Vereinbarung und . . .«

»Ich lasse Ihnen nicht nachspionieren«, schnitt ihm die Stimme jenseits der stählernen Wand das Wort ab, »sondern ich habe von Ihrer Spielwut einfach erfahren, wie ich hundert andere Dinge erfahre. Sie sind eben eine zu auffallende Persönlichkeit, als daß man sich mit Ihnen nicht beschäftigte. Vielleicht ist dadurch auch Oberst Wilkins auf Sie aufmerksam geworden. Sie sollten daran denken, sich ein anderes Aussehen zuzulegen.«

Durch einen schmalen verkleideten Spalt wurde ein kleines Papierbündel geschoben; der Kahlkopf griff rasch zu und ließ ein befriedigtes Grunzen hören. »Wilkins ist ein zu grüner Junge, um es mit mir aufzunehmen«, kicherte er in plötzlich guter Laune.

Der Motor sprang wieder an, und es kam nur eine kurze Frage zurück.

»Wo soll ich Sie absetzen?«

»An derselben Stelle, an der Sie mich zum zweiten Male aufgenommen haben«, erwiderte der Fahrgast und glaubte dem Herrn mit dem buschigen Schnurrbart noch eine Beruhigung mit auf den Weg geben zu müssen. »Selbstredend werde ich mich um den gewissen Gentleman weiter kümmern«, versicherte er.

»Wenn Sie an diesem Wettlauf teilnehmen wollen«, unterbrach ihn der Wagenlenker und gab Gas, »werden Sie sich beeilen müssen. Es sind nämlich auch schon andere meiner Leute hinter ihm her, und irgendwo muß dieser Teufelsjunge doch zu stellen sein. Falls er wirklich zu den Dieben gehört, dürfte vielleicht in jener Spelunke, in der uns der erste in die Arme gelaufen ist, eine Spur von ihm zu finden sein. Wer ein bißchen Glück hat, kann fünfhundert Pfund verdienen. So viel ist mir der Mann, der sich für Maud Hogarth interessiert, unbedingt wert.«


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