Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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44

Inzwischen war der trübe Wintertag noch unfreundlicher geworden. Als die kleine Pforte im Gittertor sich hinter ihr geschlossen hatte, mußte Mrs. Machennan einige Augenblicke verweilen, um sich über ihren Weg klar zu werden. Aber der Nebel hing so dicht wie eine nasse graue Wand und gestattete nicht einmal auf zwei Schritte Ausblick.

Mrs. Machennan tastete sich also zunächst längs der Gartenmauer durch das Dunkel. Irgendwo mußte ja der Lichterschein eines größeren Straßenzuges durchdringen . . .

Es war wiederum eine sehr geschickte und völlig lautlose Arbeit, die Simonow alle Ehre machte, und diesmal gab es keine Störung. Die Frau mit dem eilig verschnürten Sack über Kopf und Oberkörper wurde wie ein Bündel in den Wagen geschleudert, und noch in der gleichen Sekunde setzte sich dieser in Bewegung.

Das erste, was die überrumpelte Mrs. Machennan nach etwa einer halben Stunde durch die unbequeme Haube aufzunehmen vermochte, war eine aufgeregte ölige Stimme, die ihr höchst unliebenswürdige Dinge ins Ohr schrie.

»So, und jetzt werden wir ein Wörtchen zusammen reden, Madam. Versuchen Sie keine Dummheiten, sonst quetsche ich Ihnen Ihre schwarze Seele aus dem Leib. Faß an und halt fest. Bei der muß man auf jede Teufelei gefaßt sein«, fügte die Stimme hinzu, und Mrs. Machennan mußte es geschehen lassen, daß ihre Handgelenke mit eisernem Griff umklammert und ihre Unterarme aus der Verschnürung nach rückwärts gerissen wurden.

Dann machte sich Simonow daran, den Riemen zu lösen, und zerrte schließlich den Sack so rücksichtslos herunter, daß Mrs. Machennans neuer Hut mitging und zu Boden fiel.

Die sanfte Schottin war darüber sehr empört. »Unerhört«, sagte sie, nachdem sie rasch ein bißchen Luft geschöpft hatte. »Wenn Sie gewohnt sind, mit Ihren Sachen so umzugehen – ich nicht! Der Hut hat zwei Pfund acht Shilling gekostet, und ich habe ihn heute zum ersten Male auf . . .«

Das machte auf Simonow keinen Eindruck. »Halt's Maul«, gab er grob zurück. »Mich interessieren andere Dinge. Vor allem: Wo wohnen Sie? Wenn Sie nicht damit herauswollen, oder mir irgend etwas aufbinden, werde ich es schon aus Ihnen herauskitzeln.« Er ließ den Blick mit einem bösartigen Grinsen durch den kleinen, schmutzstarrenden Raum gehen, der vor dem einzigen Fenster einen festen Holzladen hatte und nur mit einem Tisch und einem Sessel ausgestattet war. »Wir sind hier ganz unter uns, und ich verstehe mich auf solche Dinge. Besonders bei Weibern. Also wird's?«

Es klang sehr ungeduldig, aber Mrs. Machennan war gekränkt.

»Ich verstehe nicht, wozu Sie das wissen wollen«, sagte sie. »Ich habe wirklich nicht die Absicht, Sie einzuladen. Sie sind kein Gentleman . . .«

»So? Meinst du?« höhnte Simonow, indem er sein gelbes schwammiges Gesicht dicht an das ihre brachte. »Na, vielleicht wirst du nachher anders reden. Jetzt habe ich dazu keine Zeit.« Er fuhr ihr mit den klobigen Fingern ans Kinn und spitzte ihre üppigen Lippen. »Ich werde dich vorläufig nur ein bißchen in den faulen Mund beißen, wenn du ihn nicht aufbringst.«

»Gott soll mich schützen!« schnaufte Mrs. Machennan entsetzt, und Simonow ließ rasch los. Zunächst mußte wirklich die wichtige Arbeit getan werden, bevor er an das Privatvergnügen denken durfte, das er vorhatte. Dann sollte es dafür um so ausgiebiger werden. Das Frauenzimmer war zwar nicht mehr die Jüngste, aber trotzdem . . .

»Nun?« drängte er begierig, und Mrs. Machennan zeigte sich plötzlich sehr gefügig.

»Wenn Sie es durchaus wissen wollen, ich wohne in Lambeth, die dritte Straße links hinter der Westminster Brücke. Es ist das letzte Haus auf der rechten Seite. Sie werden sich aber umsonst bemühen, falls Sie etwa gleich nachsehen wollen, denn außer dem Mädchen ist niemand daheim. Und Pheny ist sehr einfältig.«

»Um so besser«, lachte Simonow. Er war sehr zufrieden und hatte es nun riesig eilig. Aber die arme Mrs. Machennan mußte noch zusehen, wie er ihre Handtasche durchstöberte, und dann machte er sich auch in den Taschen ihres neuen Pelzes zu schaffen.

»So«, sagte er beruhigt, »da ist nichts, was gefährlich werden könnte. Nun wirst du also eine Weile allein bleiben, mein Täubchen. Laß dir die Zeit nicht zu lang werden und schrei nicht zu viel, es würde dir nichts nützen. Dieses feine Landhaus hat keine Nachbarschaft, die dich hören könnte. Gib acht, Junge, daß sie dich nicht beißt oder kratzt«, warnte er den Mann, der Mrs. Machennans Hände noch immer wie in einem Schraubstock festhielt. »Bring sie ein bißchen in Schwung und dann rasch los.«

Er öffnete die schwere Tür, und der andere wirbelte die sanfte Schottin wirklich wie einen Kreisel herum, daß sie fast den Halt verlor, und sprang flink seinem Genossen nach.

Mrs. Machennan wartete, bis draußen die Schritte verhallt waren, dann unterzog sie die kahle Kammer einer raschen Musterung. Besonders empörte sie die dicke Staubschicht auf dem Sessel, und sie blies sie zunächst vorsichtig weg und rieb dann mit einem alten Zeitungsblatt, das auf dem Tisch lag, gründlich nach. Hierauf hob sie ihren neuen Hut vom Boden auf, glättete ihn liebevoll und drückte ihn wieder auf den Kopf. Sie mußte dazu den kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche zu Hilfe nehmen, und die verschmutzte schwache Glühbirne an der Decke gab leider nur ein sehr spärliches Licht. Aber schließlich fand Mrs. Machennan doch, daß sie sich wieder sehen lassen konnte; nur ein wenig Puder und etwas Rot waren vielleicht noch aufzulegen.

Als auch das geschehen war, fischte Mrs. Machennan aus dem linken Ärmel behutsam einen einfachen Ring, den sie an den Zeigefinger der linken Hand steckte.


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