Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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16

Lady Helen nahm mit ihrer Begleitung einen großen Tisch gerade in der Mitte des Saales ein, aber der Platz zu ihrer Linken blieb vorläufig leer. Man wußte, daß er für Oberst Wilkins bestimmt war, der bei allen Gelegenheiten dieses Vorrecht genoß. Heute war er allerdings früher gekommen und saß noch im Kreise einiger jüngerer Herren. Er hatte sich darauf beschränkt, Lady Falconer von ferne mit artiger Vertrautheit zu begrüßen, und diese hatte ihr kurzes Nicken auf die gleiche Note abgestimmt.

Und dieses kurze Nicken wiederholte sie nun von ihrem Tisch aus noch viele Minuten nach allen Seiten und in allen möglichen Schattierungen. Man war glücklich, solch einen flüchtigen Gruß zu erhaschen, und Lady Helen geizte damit nicht. Sie nickte auch Admiral Sheridan zu, als sie dessen wenig ermunterndem Blick begegnete, und da ihre Freundlichkeit unerwidert blieb, nickte sie sogar noch ein zweites und drittes Mal mit geradezu herausfordernder Liebenswürdigkeit. Aber Sheridan sah so starr drein wie ein geistesabwesender Bullenbeißer, und Lady Falconer fand dies riesig lustig.

»Sir John scheint heute besonders unverdaulich zu sein«, tuschelte sie ihrer Begleitung zu. »Man sollte ihm vielleicht ein Schaff mit Salzwasser auf den Tisch stellen, damit er ein bißchen in Stimmung gerät. Aber in Gesellschaft des ›Fragezeichens‹ mag das wirklich keine leichte Sache sein. Ich gäbe etwas darum, zu erfahren, was die beiden unterhaltenden Gentlemen einander zu erzählen haben.«

Augenblicklich war es etwas ganz Belangloses, aber die Lady Falconer hätte sich doch sehr amüsiert, wenn sie es hätte mit anhören können.

»So«, knurrte Sheridan befriedigt, »das hätte ich besorgt. Es war so deutlich, daß sie es gemerkt haben muß, und nun wird sie mich mit ihrer messerscharfen Zunge vornehmen. Aber da kann sie lange hacken, bevor es durch meine Haut geht.« Der Admiral zischte etwas, was man glücklicherweise nicht verstand, und verstieg sich dann zu einem bissigen Urteil, für das er absolut nicht maßgebend war. »Eine Möwe – mitten auf der Brust. – Total verrückt . . . Bis jetzt habe ich diesen Vogel immer nur auf einer Rahe oder einer Flaggenstange sitzen sehen, wo er sich ordentlich ankrallen konnte. – Na, diese gefärbte Ziege muß ja schließlich am besten wissen, wie es darum bei ihr bestellt ist . . .«

Der schweigsame Sir Frederick, von Lady Falconer mit dem Spitznamen »Das kleine Große Fragezeichen« bedacht, hüstelte etwas erschreckt, worauf Sheridan eiligst in ein längeres Räuspern überging.

Lady Falconer aber ließ in diesem Augenblick ein leises überraschtes »Oh!« hören, denn sie hatte eben Mrs. Derham und Maud Hogarth entdeckt. Sie sah lange und mit großem Interesse nach deren Tisch hinüber, und ihre Umgebung war äußerst gespannt, was sie zu diesem Ereignis sagen würde. Man wußte, daß die beiden Frauen den Wettlauf um die Gunst der Lady Helen nie mitgemacht hatten und erhoffte daher ein ganzes Bündel nadelspitzer Pfeile. Man wurde aber enttäuscht. Lady Falconer tat die Sache auffallend kurz und glimpflich ab.

»Maud sieht ganz gut aus«, bemerkte sie leichthin, »nur schrecklich unliebenswürdig. Sie müßte das nicht so zeigen, man glaubt es ihr ohnehin. Dafür ist die liebe Tante Ady noch immer so nett und harmlos wie früher, und auch ihr Appetit ist gottlob derselbe geblieben. Sie ißt für zwei.«

Oberst Wilkins stellte sich erst beim Nachtisch ein, aber Lady Falconer schien dies nicht als Vernachlässigung zu empfinden.

»Sie müssen mir sehr dankbar sein, daß ich Sie für heute beurlaubt hatte; es hat etwas lange gedauert, bis ich fertig wurde. Ich glaube, wir sind wirklich die letzten gewesen. Leider scheinen wir dadurch einiges versäumt zu haben. Vor allem hätte ich sehr gern mit angesehen, wie man Maud Hogarth aufgenommen hat. Hoffentlich waren Sie schon hier, als sie kam, und können uns darüber berichten.«

Sie heftete ihre grauen Augen erwartungsvoll auf sein regelmäßiges dunkles Gesicht, in dem sich eine Spur von Verlegenheit zeigte; aber schon in der nächsten Sekunde hatte Wilkins wieder sein glattes, unbefangenes Lächeln.

»Es hat natürlich ziemliches Aufsehen gegeben«, sagte er. »Miss Hogarth hat sich ja seit Monaten von allen gesellschaftlichen Veranstaltungen ferngehalten, und man war daher sehr überrascht, als sie heute plötzlich erschien.« Der Oberst betrachtete sehr angelegentlich seine gepflegten Hände. »Admiral Sheridan geriet sogar derart außer Fassung, daß er die Damen mit überschwenglicher Herzlichkeit begrüßte.«

»Sheridan? – Oh . . .« Lady Falconer hatte jäh die feinen, kunstvoll geschwungenen Linien hochgezogen, die die Brauen andeuteten, und es schien fast, als hätte die Mitteilung einen ganz besonderen Eindruck auf sie gemacht. Aber dann spitzte sie plötzlich schalkhaft die Lippen, und in ihrem Gesicht lag wieder der Zug von überlegener Ironie, der es so interessant machte.

»Der bärbeißige Neptun als galanter Ritter – großartig«, lachte sie. »Und ich glaubte, daß er einen besonders schlechten Tag habe, weil er mich völlig übersah, obwohl ich ihm dreimal zunickte. Aber man muß offenbar jung und hübsch sein, wie Maud Hogarth, um vor seinen Augen Gnade zu finden. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich jedoch alle Minen springen lassen.« Sie sah sich rasch im Kreise ihrer lebhaft plaudernden Tischgesellschaft um und neigte sich dann näher zu Wilkins. »Die Schwäche des ›Großen Fragezeichens‹ kenne ich bereits«, flüsterte sie ihm zu. »Der gute Mann spielt.«

»Legett?« fragte der Oberst betroffen.

»Jawohl, dieser geheimnisvolle alte Musterknabe spielt. Es geschieht zwar nur in kleinen Klubs, aus denen nie etwas herausdringt, aber wenn eine Frau etwas wissen will, erfährt sie es doch. Ich habe Ihnen ja schon wiederholt gesagt, daß der Mann mich beschäftigt, aber Sie haben mich im Stich gelassen. Dabei sollten Sie in Ihrer Stellung über ihn und seine Verhältnisse doch einigermaßen unterrichtet sein.«

Wilkins verriet ein leises Unbehagen, und der Ton, in dem er erwiderte, klang weniger verbindlich, als es sonst seine Art war. »Ich habe in meiner Stellung mit Sir Frederick nicht das mindeste zu tun. Ich weiß von ihm nur, daß er einige Jahre in den Kolonien und dann im Foreign Office tätig war. Er ist aber schon lange aus dem Dienste geschieden, und ich glaube, daß man ihm weit mehr Einfluß zuschreibt, als er wirklich hat.«

»Vielleicht«, sagte die hartnäckige Frau, »aber ich bin nun einmal schrecklich neugierig. Vorläufig genügt es mir zu wissen, daß der liebe Sir Frederick kein so lederner Heiliger ist, wie es den Anschein hat. Ein Mann, dem der Spielteufel im Nacken sitzt, ist mir bei weitem nicht so rätselhaft und unheimlich wie ein Asket, der für keine Freude dieser Welt etwas übrig hat.«

»An den Spielteufel glaube ich bei Legett nicht«, wandte der Oberst mit einem entschiedenen Kopfschütteln ein. »Man hat da wohl übertrieben. Es wird ja in jedem Klub gespielt, und jeder von uns macht hier und da bei einer Partie mit . . .«


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