Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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50

Gerade als Mrs. Machennan das verwahrloste Haus so fürsorglich abgesperrt hatte, war vorn ein Auto mit abgeblendeten Lichtern vorgefahren. Der Lenker, ein herkulischer Mann in einem Ledermantel, stieg aus und öffnete die hintere Wagentür.

»Geh und laß dir das Haus aufmachen«, flüsterte er in das Innere. »Bring auch jemanden mit heraus, der dir hilft. Ich muß beim Wagen bleiben.«

Auf diese Aufforderung kam eine zweite Person zum Vorschein, aber sie hatte sich noch nicht recht auf die Beine gestellt, als sie durch einen eisernen Griff rücklings zu Boden gerissen wurde. Noch in derselben Sekunde spürte sie auch schon harte Finger am Hals und ein Knie auf der Brust und hatte gerade nur mehr so viel Luft, um ruhig liegen bleiben zu können.

Der Mann im Ledermantel jedoch setzte sich gegen den anderen Schatten, der ihn aus der Dunkelheit angegriffen hatte, gewaltig zur Wehr, und die Wut gab ihm doppelte Kräfte. Wenn das wieder das verdammte Pack war, das ihn draußen in Notting Hill niedergeschlagen hatte, sollte man ihn jetzt kennenlernen.

Er war mit einem Satz an der Gartenmauer, und nun, da er den Rücken gedeckt hatte, sollte man es nur versuchen, an ihn heranzukommen. Und wenn er zwei Sekunden Zeit fand, um mit der Hand unter den Mantel zu fahren, würde die Sache rasch ein Ende haben. Vorläufig wirbelte er mit den klobigen Armen heftig um sich, stieß mit den Füßen und fauchte seinem Bedränger die wildesten Flüche und Drohungen ins Gesicht.

»Machen Sie kurzen Prozeß«, gebot plötzlich die Stimme des Dritten, der sich an dem Kampf nicht beteiligte, sondern in den Wagen geschlüpft war. »So oder so . . .«

Und wie als Echo klang es im selben Augenblick von irgendwo aus der Dunkelheit: »Hände hoch, bitte . . .«

Der Athlet im Lederrock stutzte vor Überraschung nur einen Augenblick, aber dieser winzige Augenblick genügte . . .

Mrs. Machennan kam mit ihrer schußbereiten Pistole zu spät, hatte aber die Genugtuung, daß ein vornehmer Gentleman sie sekundenlang fassungslos anstarrte und dann mit stürmischer Herzlichkeit an den Händen faßte. Sie hatte nur gerade noch Zeit, die Pistole zu sichern und in den neuen Pelz zu stecken.

»Liebe Mrs. Machennan . . .«, murmelte Ramsay mit ungläubigem Staunen, und seine sanfte Hauswirtin sah ein, daß sie ihm für dieses Zusammentreffen eine kurze Erklärung schuldig war.

»Ja«, sagte sie mit niedergeschlagenen Augen, »ich habe mich auf dem Heimweg von meinem Besuch etwas verspätet. Es ist aber nicht meine Schuld; man hat mich hierher gebracht, ohne daß ich es wünschte.«

So interessant diese schlichte Mitteilung war, Ramsay erwiderte darauf nichts, sondern zog die schrecklich verlegene Frau hastig zu dem Wagen, flüsterte ihr einige Worte ins Ohr und wies auf die rückwärtigen Sitze.

»Oh . . .«, hauchte Mrs. Machennan, nachdem sie einen neugierigen Blick hinein getan hatte, und lauschte dann doppelt begierig dem, was ihr aufgeregter Mieter ihr noch zuraunte.

»Natürlich läßt sich das machen«, erklärte sie lebhaft, als Ramsay endlich Atem schöpfte. »Ich habe ja noch zwei sehr hübsche Zimmer mit Bad, und es wird auch sonst an nichts fehlen. Ich verstehe mich ein bißchen auf solche Dinge. Den Arzt nehme ich am besten gleich unterwegs mit . . .« Damit saß Mrs. Machennan auch schon in dem fremden Auto und entwickelte mit ihren zarten Händen sofort eine geheimnisvolle Geschäftigkeit.

»Danke, liebe Mrs. Machennan«, sagte Ramsay erleichtert. »Sie werden gleich abfahren können. Ich will die Burschen nur noch ins Haus schaffen lassen, dann fährt Sie einer meiner Leute heim. Und ich komme so rasch wie möglich nach.«

»Oh, wenn Sie in dieses schrecklich schmutzige Haus wollen, werden Sie ja den Schlüssel brauchen«, erinnerte sich die tüchtige Frau und brachte das Unding zum Vorschein. »Ich habe ihn für alle Fälle zu mir gesteckt. Ja, und dann werden Sie drin noch zwei andere Männer finden. Aber der eine ist sehr höflich, wenn man ihm gut zuredet, und der andere dürfte kaum vor zwei Stunden aufwachen.«

Es ging bereits gegen acht Uhr, als dasselbe Auto, das sie nach Camberwell gebracht hatte, ohne daß sie es wünschte, Mrs. Machennan wieder vor ihrem Haus unweit der Westminster Brücke absetzte. Sie kam nicht allein, aber Pheny, die mit knallrotem Gesicht, aufgekrempelten Ärmeln und schiefer Haube die Tür aufriß, kümmerte sich nicht darum.

»Madam«, brach sie sofort mit sonorer Stimme klar und deutlich los, »es waren zwei Gauner hier, aber ich habe sie hinausgeschmissen, wie Sie es wünschten. Und weil ich das Fünfunzengewicht so fleißig in den Mund gesteckt habe, kann ich jetzt reden.«

Mrs. Machennan nahm dieses Wunder mit großer Ruhe auf. »Das höre ich«, sagte sie, »aber das kann ich jetzt nicht brauchen. Legen Sie sofort das Fünfunzengewicht wieder auf die Zunge, und dann ziehen Sie Ihre dicken Filzschuhe an, damit Sie mir nicht wie ein Elefant im Hause herumtrampeln.«

»Kchchch . . .«, gurgelte Pheny eingeschüchtert und kam wieder einmal zu der Überzeugung, daß man es Madam nie recht machen konnte.

Eine halbe Stunde später war auch Donald Ramsay da und durfte zunächst einen Blick durch einen Türspalt tun, den ihm seine Hauswirtin, den Finger auf den Lippen, öffnete.

»Der Arzt sagt, es sei keine Gefahr mehr, aber die Hilfe wäre gerade noch zu rechter Zeit gekommen«, flüsterte sie. »Es soll sich um eine Vergiftung durch irgendein Gas handeln.« Sie machte eine Pause, da ihr Mieter mit einem dankbaren Druck ihre Hand ergriff, aber als sie sich darüber etwas beruhigt hatte, hielt sie es an der Zeit, auch noch einen kurzen Bericht über den Verlauf ihres Besuches hinzuzufügen »Lady Falconer hat mich sehr liebenswürdig aufgenommen«, begann sie mit ihrer harmlosesten Miene, indem sie die Tür zuzog. »Ich mußte ihr aber den Bogen zur Unterschrift hinhalten, weil sie ihren siamesischen Kater im linken Arm hatte. Er ist ein sehr schönes, aber auch ein sehr verzogenes Tier. Glücklicherweise lagen auf dem Tisch mehrere Zigarettenschachteln, und als ich meine Mappe zusammenpackte, habe ich zwei davon mitgenommen. Sie sind bereits angebrochen, und vielleicht finden Sie das darauf, was Sie brauchen. Lady Falconer scheint eine sehr starke Raucherin zu sein, und mit Zigarettenschachteln geht man ja nicht so vorsichtig um . . .«

Mrs. Machennan brachte ein in Papier eingeschlagenes Päckchen zum Vorschein, und Ramsay ließ ein leises belustigtes Lachen hören.

»Sie sind wirklich eine schrecklich gefährliche Person, liebe Mrs. Machennan.«

»Oh«, wehrte diese bescheiden ab, »ich konnte doch nicht ganz unverrichteterdinge zurückkommen. Und auf andere Weise war es nicht zu machen. Ich glaube nämlich, Lady Falconer wußte genau, um was es sich handelte. Sie hat mich eine halbe Stunde warten lassen. – Ja« – Mrs. Machennan brachte in ihrer Verlegenheit die Dinge arg durcheinander – »und auf dem Hinweg bin ich dem Mann begegnet, der mich damals belästigt hat, als ich die Nelken besorgte. Er war in Gesellschaft noch eines andern, und die beiden sind mir dann bis Bayswater gefolgt. Ich dachte mir gleich, daß etwas geschehen würde, und als ich wieder herauskam, sind sie auch wirklich über mich hergefallen und haben mich in das schmutzige Haus in Camberwell geschleppt. Zufällig hatte ich jedoch meine Gaspistole bei mir, eine sehr praktische neue Erfindung. Man schnallt das kleine Rohr innen an den Unterarm, und der Abzug steht mit einem Ring in Verbindung, den man einfach an den Finger steckt. Wenn es Sie interessiert, Mr. Ramsay . . . Ich meine . . .«

Die schüchterne Frau verlor wieder einmal den Faden, weil der große schlanke Gentleman seine Hände auf ihre Schultern gelegt hatte und sie so eigen ansah. Mrs. Machennans Augen flüchteten zwar rasch zu Boden, aber der seltsame Blick ging sogar durch die gesenkten Lider hindurch. Und als Donald Ramsay nun auch noch »Liebe, liebe Mrs. Machennan . . .«, sagte, verspürte die tapfere Schottin ein derartiges Zittern in den Knien, daß sie schleunigst wieder in das andere Zimmer schlüpfte und die Tür behutsam hinter sich schloß.


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