Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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5

Mr. Gardner allerdings gab Maud Hogarth mit großer Selbstgefälligkeit und zudringlicher Ausdauer immer wieder zu verstehen, daß vor allem seine Verteidigung sehr wesentlich zu diesem glücklichen Ausgang beigetragen habe. Das machte ihr den Mann, der in seiner strohblonden Sauberkeit wie ein frisch geschrubbtes Riesenbaby aussah, doppelt unangenehm. So unangenehm, daß sie ihn dies bei jeder Gelegenheit merken ließ. Aber die rosige Kinderhaut des Anwalts war dick. Er fand allwöchentlich irgendeinen Vorwand, um vorzusprechen, und in dieser Woche kam er nun sogar bereits zum zweiten Male.

Maud machte aus ihrem Mißvergnügen kein Hehl, obwohl der bekümmerte Ernst in Gardners rundem Gesicht diesmal auf etwas Besonderes deutete.

Zunächst aber starrte der Anwalt mit seinen etwas gestielten wasserblauen Augen fast erschrocken auf den Nelkenstrauß, dann schüttelte er sorgenvoll den peinlich gestriegelten Kopf, und das ungeduldige junge Mädchen traf ein vorwurfsvoller Blick.

»Ich bin wirklich sehr beunruhigt, Miss Hogarth«, begann er endlich. »Wenn Sie mir schon nicht Ihr Vertrauen schenken wollen, sollten Sie wenigstens vorsichtig sein. Es wäre gewiß nicht zu Ihrem Besten, wenn die alte Geschichte, aus der wir Sie so glücklich herausgebracht haben, plötzlich irgendwie wieder aufgerührt werden sollte . . .«

Maud ahnte sofort, worauf er anspielte, aber ihr Mißtrauen gegen den Mann ließ sie auf der Hut sein. »Wovon sprechen Sie eigentlich?« fragte sie mit geradezu verletzender Schärfe.

»Davon!« Gardner holte mit übertriebener Umständlichkeit eine Zeitung hervor, faltete sie bedächtig auseinander und tippte dann mit dem fleischigen Zeigefinger auf eine Stelle. »Ich bin nämlich überzeugt, daß diese Anzeige von der chinesischen Nelke entweder Ihnen gilt oder aber von Ihnen ausgegangen ist. Und alle, die den Prozeß verfolgt haben, dürften das gleiche vermuten. Das Kennwort ist zu außergewöhnlich, um nicht in diesem Sinn gedeutet zu werden, denn vor Ihrem Prozeß hat man von dieser Blumenart hierzulande kaum etwas gewußt. Und die Fassung der Zeilen erinnert daran, daß verschiedene Dinge ungeklärt geblieben sind. Sie können sich denken, daß es da ein begieriges Rätselraten geben wird. Ich gestehe offen, daß ich mich auch damit beschäftigt habe weil ich es geradezu für meine Pflicht hielt, aber ich bin aus der Sache nicht klug geworden. Ich habe nur das Gefühl, daß Sie sich noch immer in irgendwelchen Schwierigkeiten befinden und eines ehrlichen Beraters bedürfen. Deshalb bin ich gekommen. Worum es sich auch handeln mag, Miss Hogarth, ich würde bestimmt alles, was Sie bedrückt, ein für alle Mal in aller Stille und zu Ihrem Besten aus der Welt schaffen. Von meiner Ergebenheit für Sie sollten Sie doch schon überzeugt sein.«

Der rosige und rundliche Mr. Gardner war immer eindringlicher und wärmer geworden und um seiner Ergebenheit noch beredteren Ausdruck zu geben, legte er nun auch noch Seine gepolsterte Rechte auf die schlanken Finger, die krampfhaft die Lehne des Sessels umklammert hielten.

Diese Berührung ließ Maud jäh auffahren.

»Sie meinen also, daß man auf die Vermutung kommen könne, ich selbst hätte die Anzeige aufgegeben?«

»Gewiß, auch das.« Der Anwalt nickte nachdrücklich und erging sich darüber mit großer Wichtigkeit. »Man kann annehmen, daß Sie auf irgend jemanden einen Druck ausüben wollen, um etwas zu erreichen, was Ihnen damals vielleicht nicht gelungen ist. Oder man kann auch vermuten, daß Sie ein Interesse daran haben, gewisse geheimnisvolle Umstände anzudeuten, um die seinerzeitigen Ereignisse in einem andern Lichte erscheinen zu lassen. Das eine wäre ein sehr gefährliches Spiel, Miss Hogarth, das andere aber völlig zwecklos. Das Urteil ist nun einmal gesprochen, und . . .«

»Danke«, fiel Ihm Maud ins Wort, und es konnte kein Zweifel bestehen, daß sie die Unterredung damit für beendet hielt. Gardner war sichtlich betroffen, gab aber nicht alle Hoffnung auf.

»Überlegen Sie sich also meinen Vorschlag«, drängte er. »Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung. Aber rufen Sie mich nicht zu spät. Ein zweites Mal würde es wohl unmöglich sein . . .«

Maud Hogarth hob ungeduldig die Hand. »Ein zweites Mal«, sagte sie mit unheimlicher Ruhe, »dürfte alles viel einfacher und klarer sein, Mr. Gardner. Denn das nächste Mal – wenn es dazu kommen sollte – werde ich wahrscheinlich wirklich das tun, wessen man mich das erste Mal beschuldigt hat . . .«

Der Anwalt war über diese Antwort so bestürzt, daß seine ausdruckslosen Augen sekundenlang starr auf der hoch aufgerichteten Mädchengestalt hafteten. Das hatte bedenklich entschlossen geklungen, und Gardner überkam plötzlich das unbehagliche Gefühl, daß seine Aufgabe sich nicht nur sehr schwierig, sondern sogar höchst gefährlich gestalten konnte.


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