Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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3

Auch Maud Hogarth hatte die Ankündigung von der chinesischen Nelke gelesen, und kaum eine Stunde später war ein großer Strauß dieser ihrer Lieblingsblumen ohne jede Begleitzeile für sie abgegeben worden.

Wenn sie noch im Zweifel gewesen wäre, ob die Botschaft in der »Times« wirklich ihr gelte, so mußte ihr diese Aufmerksamkeit von unbekannter Seite darüber volle Gewißheit bringen. Aber Maud war sich über den Sinn und Zweck der Anzeige bereits von dem Augenblick an im klaren, da sie sie zu Gesicht bekommen hatte. Und sie nahm sie um so ernster, als man nicht einmal den Weg der Öffentlichkeit gescheut hatte, um der Aufforderung besonderen Nachdruck zu geben.

Nach kurzem Aufatmen sollte also für sie der unheimliche Kampf von neuem beginnen; ein Kampf um eine Sache, die für sie alles bedeutete, und gegen einen geheimnisvollen Gegner, der vor keinem Mittel zurückschreckte. Sie hatte das bereits einmal erfahren, und sooft sie daran dachte, schien es ihr geradezu ein Wunder, daß sie in der tückisch gestellten Schlinge nicht wirklich hängengeblieben war.

Immerhin aber hatte sie einen hohen Preis zahlen müssen. Die Gesellschaft, von der sie bisher umschwärmt und verwöhnt worden war, hatte sie plötzlich fallen lassen, und es war recht einsam um sie geworden. Maud empfand das zwar nicht allzu hart, aber das Verhalten ihrer Bekannten empörte ihren Stolz.

Diese Erbitterung spiegelte sich in ihrer ganzen Persönlichkeit wider. Sie trug die ohnehin mehr als mittelgroße Gestalt hoch aufgerichtet, der rassige Kopf mit dem leicht gewellten tiefbraunen Haar war zurückgeworfen, in dem dunklen Gesicht stand zwischen den seidig schimmernden Brauen eine scharfe Falte.

Alles das mochte es wohl bewirken, daß die ungewöhnliche Schönheit der kaum zwanzigjährigen Lady kalt und herb wirkte.

›Hoheitsvoll und streitbar‹ hatte sie ein Reporter in seinem Bericht über die Gerichtsverhandlung genannt. Es waren aber auch Stimmen laut geworden die von einer ›vollendeten Komödiantin in wohlberechneter Pose‹ gesprochen hatten, von einer ›geradezu zynischen Art, die bei einem jungen Mädchen von solcher Herkunft und Erziehung doppelt unfaßbar erscheinen muß‹.

Maud hatte allen Grund, sich dieser und anderer noch weit üblerer Dinge heute lebhafter denn je zu erinnern. Sie wußte nur zu gut, daß die an sie gerichtete neuerliche Aufforderung keinen bloßen Schreckschuß bedeutete, sie wußte aber auch, daß ihr die Möglichkeit einer Wahl genommen war. Mit dem, was man forderte, durfte und wollte sie ihre Ruhe nicht erkaufen. Wenn man glaubte, daß die vielfachen Foltern der letzten Monate sie furchtsam und mürbe gemacht hätten, sollte man sich getäuscht sehen. Vorläufig konnte sie nichts anderes tun, als die weiteren Dinge abwarten, um zu erfahren, woher die neue Gefahr drohte.

Trotz dieser beklemmenden Gedanken vermochte Maud äußerlich ihre Gelassenheit zu bewahren. Sie war sogar imstande, sich mit den unheilverkündenden Blumen völlig unbefangen zu beschäftigen und sie in einer Vase zu ordnen.

Mrs. Adelina Derham, die noch immer bei ihrem ersten Frühstück saß, verfolgte das Tun ihrer Nichte mit scheuen Augen. Sie kannte zwar die Bedeutung des Straußes nicht, aber Nelken, ob nun chinesische oder nichtchinesische, waren ihr seit der schrecklichen Geschichte furchtbar unheimlich. Hatte sie doch wegen dieser Blumen Aufregungen durchmachen müssen, die ihr angeborenes und überdies noch in volle hundertvierundneunzig Pfund gebettetes Phlegma arg ins Wanken gebracht hatten. Sie brauchte nun wirklich Ruhe, und Maud ließ sie nicht dazu kommen. Das Kind hatte ewig irgendwelche unmöglichen Einfälle. Wie eben jetzt wieder dieses Weihnachtsdinner.

Tante Ady war darüber so bekümmert, daß ihr nicht einmal das Frühstück so recht munden wollte. Sie löffelte das dritte Ei nur aus, weil es eben da war, aber dann seufzte sie sehr tief und hörbar. »Du solltest dir die Sache doch noch einmal überlegen, Maud«, begann sie zaghaft, und ihre müde Stimme klang geradezu flehend. »Es würde schrecklich werden. Wenn ich daran denke, daß . . .«

Die kurze, eigenwillige Kopfbewegung des jungen Mädchens ließ sie mutlos abbrechen.

»Es wird nicht schrecklich werden, Tante Ady, und es bleibt dabei«, erklärte Maud sehr bestimmt. »Eine bessere Gelegenheit kann sich nicht ergeben. Wir werden so ziemlich alle unsere lieben Freunde und Bekannten von einst beisammen finden und nicht mehr auf zufällige Begegnungen angewiesen sein, um ihnen zu zeigen, wie wenig wir uns aus ihnen machen.«

»Entsetzlich . . .«, hauchte Mrs. Derham.

»Warum entsetzlich?« brauste Maud auf. »Schämst du dich etwa meinetwegen? Oder fürchtest du dich vor den Leuten, die uns mit alberner Frechheit anstarren werden? Ich, die es ja vor allem angehen wird, fürchte mich nicht. Im Gegenteil, ich freue mich, denn was sie sehen werden, dürfte ihnen wenig behagen. Aber ich verlange, daß auch du Haltung bewahrst. Du bist trotz deiner zweiundvierzig Jahre noch immer eine Frau, die sehr gut wirkt, und du bist sogar das, was man eine majestätische Erscheinung nennt.«

Es war einiges in diesem energischen Zuspruch, was der wirklich sehr stattlichen Mrs. Derham ganz angenehm klang, aber der Gedanke an das unausbleibliche Spießrutenlaufen war für ihr wenig kriegerisches Gemüt gar zu fürchterlich. Sie machte daher noch einen letzten verzweifelten Versuch, das Schreckliche durch mehr praktische Bedenken abzuwenden.

»Die beiden Gedecke werden zwölf Guineen kosten, Maud«, rechnete sie dieser vor. »Für dieses viele Geld könnten wir doch ganz etwas anderes haben. Das Menü ist allerdings ausgezeichnet und reichlich«, gab sie etwas schwankend zu, »aber ich werde kaum die Hälfte von all diesen guten Dingen . . .«

»So wird eben die andere Hälfte stehen bleiben«, schnitt ihr die hartnäckige Nichte auch diesmal wieder das Wort ab. »Im übrigen werde auch ich nicht die ganze Speisekarte herunteressen, aber doch so viel, daß die Leute sehen, wie wenig sie mir den Appetit verdorben haben.«

Damit setzte Maud die Vase mit den chinesischen Nelken so nachdrücklich in die Mitte des Tisches, daß die empfindsame Mrs. Derham ganz erschreckt zusammenfuhr und schleunigst aus der Nähe der ihr so widerwärtigen Blumen rückte. Sie dachte nicht daran, noch weiter zu widersprechen. Das unberechenbare Kind hatte offenbar wieder einmal einen seiner eigensinnigen Tage, und da war mit ihm nichts anzufangen.


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