Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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28

Oberst Wilkins war trotz seiner Schwäche gegenüber der launenhaften Lady Falconer ein Mann von hervorragenden Eigenschaften. Er besaß unerschütterliche Ruhe und rasche Entschlußfähigkeit und entwickelte im rechten Augenblick eiserne Tatkraft.

Gestern hatte er einen sehr schlechten Abend gehabt, aber heute war er wieder völlig Herr seiner Nerven und vermochte sich in kühler Überlegung mit den wichtigen Dingen zu beschäftigen, die nun irgendwie ins Rollen zu kommen schienen.

Seine Entschlüsse wollten so genau erwogen werden, daß sie ihn mehrere Stunden in Anspruch nahmen; aber als sie endlich feststanden, ging er daran, sie auch sofort auszuführen.

Admiral Sheridan war von seiner prunkvollen Ausfahrt kaum zurückgekehrt, als ihm Oberst Wilkins gemeldet wurde. Sir John machte sehr erstaunte und nicht besonders freundliche Augen und konnte es sich trotz seiner lebhaften Neugier nicht versagen, den Besuch zunächst mit einer kleinen Bosheit zu begrüßen.

»Ich war heute in Notting Hill«, sagte er lachend. »Aber Lady Falconer hatte es noch eiliger und war schon dort, als ich kam.«

Wilkins nahm diese Bemerkung mit einem kühlen Neigen des Kopfes auf und war so dienstlich, daß auch Sir John plötzlich sehr kurz angebunden wurde.

»Nehmen Sie also Platz, und schießen Sie los.«

Es klang erwartungsvoll und ziemlich ungeduldig, aber es hätte dessen nicht bedurft, um den Oberst zu klarer und knapper Sachlichkeit zu veranlassen.

»Ich habe Ihnen bereits vor zwei Tagen gewisse Andeutungen gemacht, Sir«, begann er in seiner leisen, etwas schleppenden und näselnden Art, »bin jedoch damals nicht näher auf die Sache eingegangen, weil ich erst noch das Ergebnis verschiedener Nachforschungen abwarten wollte. Nun aber fürchte ich, daß wirklich etwas an der Geschichte dran ist, und fühle mich daher verpflichtet, Eurer Exzellenz davon ganz offiziell Meldung zu erstatten.«

Er ließ eine Pause eintreten und heftete die dunklen Augen auf den Admiral, der mit den Fingern auf der Tischplatte aufgeregte Wirbel schlug.

»Donnerwetter!« löste sich endlich Sheridans Spannung. »Ja, ich erinnere mich . . .« Er stieß den grauen Kopf vor und war ganz dienstliches Interesse. »Worum soll es gehen? Und woher weht dieser dreckige Wind?«

Wilkins sah auf seine schmalen gepflegten Hände und zog langsam die Schultern hoch. »Soweit sind wir leider noch nicht, Sir. Irgend jemand, der sich in Dunkel hüllt, hat unsern Nachrichtendienst – wahrscheinlich nicht aus den lautersten Beweggründen – auf eine Persönlichkeit aufmerksam gemacht und dabei durchblicken lassen, daß diese sich mit gewissen Dingen befasse. Eigentlich hat der Angeber von zwei Personen gesprochen: von einem kahlköpfigen Mann, der nächtlicherweile bald in diesem, bald in jenem Vorort auftauche, und einem andern, der ihn dort mit einem Wagen abhole. Nun ist das ja an und für sich gewiß kein sonderliches Verdachtsmoment, aber die Behauptungen des Unbekannten lauteten zu bestimmt, als daß ich sie hätte unbeachtet lassen dürfen. Ich habe daher meinen Apparat in Bewegung gesetzt, um zunächst einmal die Spur des Kahlköpfigen aufzunehmen, wofür man mir einige Fingerzeige gegeben hatte . . .«

»Haben Sie ihn erwischt?« fragte Sheridan.

»Meine Leute haben ihn gesehen«, erklärte Wilkins gelassen. »Und als sie ihm folgten, konnten sie beobachten, daß er tatsächlich einen Wagen erwartete und mit diesem davonfuhr.«

»So . . .« Sir John schob die Unterlippe vor, und seine Enttäuschung war so offenkundig, daß der Oberst sich zu einem zustimmenden Lächeln veranlaßt sah.

»Ich gebe zu, das ist nicht viel«, sagte er. »Aber glücklicherweise war es nicht alles. Das hier –«, er griff in die Brusttasche und legte ein kleines, in Papier eingeschlagenes Päckchen vor den Admiral, – »wurde an der Stelle gefunden, an der er eingestiegen war.«

Sheridan war so gespannt, daß er mit der Hülle wenig Umstände machte. Als ein mehrfach gefaltetes Leinwandblatt zum Vorschein kam, stutzte er betroffen – und dann donnerte seine schwere Hand mit gewaltiger Wucht auf den Schreibtisch. »Bei allen Teufeln – eine Hafenkarte . . .«, stieß er aufgeregt hervor, indem er das aufgeschlagene Blatt hastig studierte. »Zwar eine veraltete, die nicht mehr viel Unheil anrichten kann«, stellte er nach kurzer Prüfung etwas beruhigter fest, »aber immerhin . . .« Er zögerte sekundenlang, dann neigte er sich plötzlich mit geheimnisvoller Wichtigkeit zu Wilkins. »Sie müssen nämlich wissen . . .«

Aber damit hatte Sir John auch schon den Faden verloren. Er hielt mitten im Satz inne und rieb sich heftig das Kinn. »Verdammte Geschichte . . .«, murmelte er zerstreut und trommelte dann zur Abwechslung wieder einige Wirbel, bis ihn der etwas befremdete Blick seines Besuchers endlich auf die wichtige Sache zurückbrachte.

»Ja, also – was wäre da zu tun?« fragte er ratlos.

»Das wollte ich eben mit Exzellenz besprechen. Vor allem handelt es sich darum, ob nicht vielleicht auch die Admiralität Maßnahmen zur Überwachung der betreffenden Person treffen will. Die Karte deutet ja in eine gewisse Richtung.«

»Ich?« Sheridan machte sehr große und hilflose Augen. »Wie stellen Sie sich das vor, Oberst? Soll ich eine Zerstörerflotte hinter ihm her fahren lassen oder ihm ein paar meiner Blaujacken auf den Hals hetzen, damit sie ihn im nächsten Tümpel ersäufen? Mir steht doch nicht eine solche Meute von gerissenen Spürhunden zur Verfügung wie Ihnen . . .«

Der Admiral kraulte sich verzweifelt den Kopf, aber Wilkins kam ihm zu Hilfe.

»Wenn also Exzellenz einverstanden sind«, sagte er, »werde ich den Mann im Auge behalten und über unsere Beobachtungen laufend Meldung erstatten. Jedenfalls kann der Bursche nun nicht mehr allzu gefährlich werden.«

Sir John fand den Vorschlag so großartig, daß er sich schallend auf den Schenkel klatschte. Und da diese arge Sorge von ihm genommen war, wurde er wieder neugierig. »Wissen Sie bereits etwas Näheres über den Vogel?«

»Leider nicht allzuviel«, erklärte der Oberst. »Es ist uns nur bekannt, daß er irgendwo in Canonbury einen Unterschlupf hat, aber sein eigentlicher Bau dürfte wohl in einer anderen Gegend zu suchen sein. Und über seine Persönlichkeit ergeben auch die Beschreibungen meiner Leute nur ein sehr ungenaues Bild. Ich hatte ihnen größte Vorsicht eingeschärft, und sie sind ihm daher nicht allzu nahe auf den Leib gerückt. Er soll mittelgroß sein und einen langen weiten Mantel und eine Schirmmütze tragen – das sind so ziemlich die einzigen Anhaltspunkte. Ja, und dann, wie schon bemerkt, noch eine ansehnliche Glatze, die einer meiner Agenten gesehen hat, als der Mann einen Augenblick die Kappe lüftete. Natürlich hätte ich mich mit diesen spärlichen Merkmalen, mit denen wenig anzufangen ist, nicht zufrieden gegeben, aber glücklicherweise haben wir an dem unbekannten Gewährsmann einen sehr eifrigen Verbündeten, dem offenbar daran gelegen ist, den andern in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Er hat uns nämlich nicht nur auf dessen Spur gebracht, sondern auch über Tag und Stunde der letzten Zusammenkunft unterrichtet. Und ich glaube, er wird auch weiterhin dafür sorgen, daß wir dem Kahlkopf auf den Fersen bleiben. Bei der nächsten Gelegenheit aber werde ich versuchen, ihn selbst zu sehen.«

Admiral Sheridan verabschiedete Wilkins weit freundlicher, als er ihn empfangen hatte; als der Oberst bereits an der Tür war, fiel jedoch Sir John plötzlich noch etwas ein.

»Mir will die schreckliche Sache mit Bexters Nichte seit gestern abend wieder einmal nicht aus dem Kopf«, sagte er. »Was kann sie mit diesem Major Foster gehabt haben? Warum ist sie in seine Wohnung gegangen? Sie sieht doch nicht danach aus. Und was hat es dort gegeben? Warum war aus ihr nicht ein Wort darüber herauszubringen? Hat Ihnen Foster nicht vielleicht einmal eine Andeutung gemacht? Sie waren ja mit ihm befreundet und wollten ihn auch gerade an dem Abend abholen, soviel ich mich erinnere . . .«

Es war etwas viel, was der Admiral alles wissen wollte, aber Wilkins hielt sich nur an das, was er beantworten konnte.

»Ich war mit dem Major nicht befreundet«, erklärte er höflich, »sondern wir standen zueinander bloß in regeren dienstlichen Beziehungen, weil unsere Ressorts sich in vielen Fällen berührten. An jenem Abend aber wollten wir gemeinsam einen wissenschaftlichen Vortrag besuchen, und da Fosters Wohnung auf dem Weg lag, hatte ich mit ihm morgens verabredet, ich würde ihn abholen. Über private Angelegenheiten äußerte er sich nie.«

Sir Johns lebhafte Wißbegierde wurde also nicht befriedigt, und er blieb in einer tiefen Nachdenklichkeit zurück, die ihn allerlei seltsame Grimassen schneiden ließ. Plötzlich aber holte er sich mit einem raschen Griff das Tischtelefon heran und setzte mit einem Kraftaufwand, der zur Handhabung des Steuerrades eines Vollmasters ausgereicht hätte, die Scheibe fünfmal in Bewegung.


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