Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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25

Der Mann, der einige hundert Schritte weiter einen wohlverborgenen Wagen hütete, fror schrecklich und suchte sich durch wilde Bewegungen und noch wildere Flüche einigermaßen warm zu machen. Mit seinem blöden Eifer hatte er sich diesmal in einen gehörigen Dreck hineingeritten. Der Teufel mußte ihm eingegeben haben, der Miss zu folgen. Daß es mit der Gärtnerherrlichkeit nun zu Ende war, machte ihm nichts aus, aber diese verdammte Nacht mit bloßen, patschnassen Füßen würde er wahrscheinlich ein paar Wochen im ganzen Leib spüren. Schon jetzt hatte er ein so scheußliches Reibeisen von der Gurgel bis in die Brust hinunter stecken, daß er kaum mehr ordentlich zu atmen wagte; und dabei konnte er nicht einmal den Mund gehörig zumachen, weil ihm dieser besoffene Kerl den Unterkiefer aus den Scharnieren gebracht hatte.

Der Mann fuhr zusammen, riß die Augen auf und erstarrte . . .

Auch das Gesicht, das sich jetzt umständlich in den Wagen schob, verriet ziemliche Verwunderung.

»Noch ein Mensch . . .«, lallte eine schwankende Stimme. »Wahrhaftig, noch ein Mensch . . .« Aber nachdem der joviale Gentleman das reglose Wunder eine Weile mit tiefgründiger Nachdenklichkeit angeblinzelt hatte, wurde er plötzlich noch betroffener. »Nein«, stieß er mit einem kühnen Anlauf hervor, »derselbe Mensch. Wieder derselbe Mensch. Überall derselbe Mensch. Der Mensch mit dem Rad zum Fahren . . . Jawohl . . .«

Er war aber wegen des Rades offenbar doch nicht ganz sicher, denn er beguckte sich das Fahrzeug sehr eingehend und klopfte es sogar außen und innen ab. Und dann hatte er mit einem Mal den Irrtum weg. »Das ist kein Rad zum Fahren, sondern ein Au-to-mo-bil«, sagte er befremdet.

Der Mann im Wagen machte sich auf seinem Sitz so dünn wie möglich und rührte sich noch immer nicht. Er wollte um nichts in der Welt die Erfahrung von vorhin wiederholen; und diesem gefährlichen Säufer einfach das Messer zwischen die Rippen rennen durfte er auch nicht.

»Vier Räder«, lallte die Stimme am Fenster triumphierend. »Ganz genau vier Räder.« Der Herr bekam von der Anstrengung ein heftiges Schlucken, das ihn schüttelte, und suchte daher rasch am Rahmen Halt. »Man muß nur immer seine Sinne beisammen haben«, predigte er eindringlich. »Keinen Alkohol, Alkohol ist Gift. Trinken Sie nie Alkohol, mein Freund. – Ich habe hier oben« – er beschrieb mit dem Arm einen Halbkreis – »zwei arme Gentlemen gesehen, die wahrscheinlich Alkohol getrunken haben. Jetzt liegen sie im Schnee. Im nassen Schnee . . . Pfui Teufel. – Und der eine hat den ganzen Kopf eingewickelt, und der andere den Mantelärmel über das Gesicht gezogen. – Komisch . . . Sie werden erfrieren und ersticken . . . Verflixter Alkohol.«

Diesmal war der Schlucker so gewaltig, daß es dem fanatischen Abstinenzler die Hände von der Stütze losriß. Er taumelte einige Schritte zurück, warf balancierend die Arme in die Luft und den Oberkörper nach vorn, drehte sich ein paarmal im Kreis und bekam dabei einen Schwung, der ihn offenbar unter den Wagen beförderte, denn in der nächsten Sekunde war nichts mehr von ihm zu sehen . . .

Den Mann im Auto verlangte es auch nicht danach. Es war ihm plötzlich noch jämmerlicher und unheimlicher zumute, denn er machte sich auf die Geschichte von den zwei armen Gentlemen seinen eigenen Reim . . .


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