Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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19

Der Vorfall hatte sich so unvermittelt und rasch abgespielt, daß er den übrigen Gästen völlig entgangen war. Nicht einmal die neugierige und scharfäugige Lady Falconer hatte ihn bemerkt, da sie ihre Gesellschaft eben mit liebenswürdigen Bemerkungen über die verschiedenen Persönlichkeiten unterhielt, die nach und nach den Speiseraum verließen.

Draußen im Gang zu den Wirtschaftsräumen erregte der Transport des offenbar Schwerkranken allerdings einiges Aufsehen. Sogar der Geschäftsführer eilte aufgeregt herbei, und als er den Aufsichtskellner gewahrte, verriet er größte Bestürzung. Der Mann war mit einer jener Empfehlungen bei ihm erschienen, die unbedingtes Entgegenkommen forderten, und es war möglich, daß es vor der versammelten vornehmen Welt eine peinliche Szene gegeben hatte. »Ich hoffe . . .«, stieß er in banger Sorge hervor, aber der Kellner schnitt ihm ungeduldig das Wort ab.

»Rasch ein Zimmer.«

Der Geschäftsführer riß eigenhändig die Tür zum nächsten Aufzug auf und bediente ihn selbst. Aber erst im obersten Stockwerk, wo die Unterkunftsräume für das Personal lagen, ließ er ihn halten und öffnete geschäftig eine der kleinen Kammern. Die Sache war nichts für die Augen der Hotelgäste.

»So, das genügt«, sagte der Kellner, der sich als ein Mann von Entschlossenheit erwies. »Nun können Sie auch noch diese Nummer anrufen« – er zog einen Bleistift und einen Streifen Papier hervor und schrieb sie auf – »und bestellen, man möge sofort einen Krankenwagen für Daniel herschicken. Bestimmen Sie auch gleich, wo er halten soll. Zuschauer brauchen wir nicht, Sie selbst werden sich das wohl auch kaum wünschen.«

Der Geschäftsführer schüttelte den gescheitelten Kopf, und der Kellner faßte ihn an der Schulter und schob ihn ohne Umstände zur Tür hinaus.

»Schön. Wenn es soweit ist, verständigen Sie mich.«

Donald Ramsay, der wie ein lebloses Bündel auf der Ottomane gelegen hatte, richtete sich jetzt gemächlich auf, und seine erste Sorge galt Frack und Weste, die bei dem Abenteuer etwas in Mitleidenschaft gezogen worden waren.

»Wie war das also, Brook?« fragte er endlich.

»So gemein und tückisch, wie der ganze Bursche aussieht«, erklärte dieser gelassen. »Er hat übrigens, worauf ich Sie ja aufmerksam machte, das gewisse Zeichen, und als er gar so auffällig herumzurennen begann, hatte ich sofort den Verdacht, daß etwas kommen würde. Richtig ließ er auch, als er an Ihrem Tisch stehenblieb, irgend etwas in Ihr Glas fallen, und es wird wohl nichts Bekömmliches gewesen sein. Jedenfalls war es nicht appetitlich, und ich habe daher das Glas lieber schnell ausgewechselt. Fast wäre ich nicht rechtzeitig fertig geworden, denn ich mußte den richtigen Moment abpassen. Man hat zuviel nach dem Tisch gesehen . . .«

Der große Mann mit dem schrecklich gelangweilten Gesicht machte eine bedeutsame Pause, aber die Frage, die kam, galt etwas anderem, als er erwartet hatte.

»Was haben Sie mit dem Inhalt des Glases gemacht?«

»Den habe ich hier«, erwiderte Brook, indem er eine kleine Flasche aus der rückwärtigen Fracktasche zog. Und Ramsay nickte.

»Lassen Sie die Sache sofort untersuchen. Wir werden mit dem Galgenvogel nun vielleicht öfter zu tun bekommen, und es ist gut, seine Tricks zu kennen. Von dem Burschen habe ich bereits einiges gehört.«

»Und ich bin ihm bereits einige Male begegnet, Sir. Als Sie mich auf ihn aufmerksam machten, wußte ich auch sofort, woran ich mit ihm war. Zuletzt traf ich ihn in Nanking. Damals, als eben der Rummel in den nördlichen Provinzen losging. Er trieb sich dort herum und gab eine Menge Geld aus.«

»Für wen?« forschte Ramsay lebhaft.

»Natürlich für seine Landsleute, die Roten. Die zahlten am besten.«

Der Herr mit der Nelke warf jäh den Kopf zurück und spitzte die Lippen zu einem dünnen, gedehnten Pfiff. Plötzlich aber lachte er belustigt auf. »Der kleine Spaß hat also einen tieferen Sinn gehabt«, sagte er. »Ich habe ihm nämlich völlig ahnungslos etwas von Hsu-Tien-Yun zugeflüstert.«

»Von Wang?« Auch Brook lächelte, sah aber dabei aus, als ob er Krämpfe hätte. »Es wird ihm nicht angenehm geklungen haben. Fast hätte ihn ja ›Ein Hieb‹ wirklich unter seine geschickten Hände bekommen. Man hatte einen unbequemen General der Zentralregierung um die Ecke gebracht, und Simonow sollte die Sache gemanagt haben. Er ist aber rechtzeitig ausgerissen.«

»So . . .« Ramsay war mit einem Mal sehr nachdenklich geworden. »Er hat also mit dem Klub der Globetrotter telefoniert?«

»Ja, das konnte ich noch ermitteln. Um etwas von dem Gespräch mitzuhören, war ich leider zu spät gekommen.«

Ramsay beschäftigte sich schon wieder mit etwas anderem. »Sobald der Wagen da ist, überwachen Sie alles«, ordnete er an. »Es ist möglich, daß es dabei den einen oder den anderen Neugierigen geben wird. Das Weitere bleibt so, wie ich es Ihnen gesagt habe, aber Sie werden nun wohl kaum lange auf mich warten müssen. Der nette Einfall dieses Banditen hat mir die Sache wesentlich erleichtert.«

Eine Viertelstunde später gab es an der spärlich erleuchteten rückwärtigen Front des Hotels eine kleine Menschenansammlung. Zwei kräftige Männer hoben eine verdeckte Bahre behutsam in einen Krankenwagen, und einige Hotelangestellte sahen ihnen dabei mit ernsten Mienen zu. Auch einige Passanten machten halt, und als die Wagentür zufiel, wandte sich ein stämmiger Mann mit hochgeschlagenem Kragen teilnehmend an einen Kellner.

»Es hat wohl einen Unfall gegeben?«

Der Angestellte kehrte sich ihm höflich zu. »So etwas Ähnliches«, erwiderte er leise, und seine Stimme klang so bewegt, daß sich Simonow mit großer Erleichterung in Trab setzte.


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