Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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40

Auch Donald Ramsays Gesicht war etwas lebhafter gefärbt, als er den Hörer des kleinen Apparats wieder auflegte. Dann sah er rasch nach der Uhr und klingelte ungeduldig.

Mrs. Machennan glitt mit der lautlosen Schnelligkeit einer Schwalbe ins Zimmer. Ihre sanften Augen streiften besorgt die garstige Schramme an der Stirn des Gentlemans, die mit einem großen Heftpflaster verklebt war, dann gingen sie sofort zu Boden.

»Ist Mr. Brook schon gekommen, Mrs. Machennan?«

»Soeben.« Die schüchterne Frau zögerte einen Augenblick, dann fügte sie kaum hörbar hinzu: »Ich glaube, er ist sehr aufgeregt . . .«

Ramsay sah sie ganz verdutzt an, plötzlich aber lachte er laut auf. »Brook sehr aufgeregt? Das möchte ich gern sehen. Bitte, schicken Sie ihn rasch herauf. Und dann werden wir beide uns ein Viertelstündchen unterhalten, liebe Mrs. Machennan.«

Er blinzelte ihr freundlich zu, und die sanfte Schottin geriet wieder einmal so außer Fassung, daß sie wie ein Schulmädchen knickste.

Brook schien gar nicht aufgeregt. Er sah genauso gelangweilt drein wie immer, nur sein ausgeprägter Adamsapfel ging lebhaft auf und nieder.

»Nun?« fragte Ramsay.

Der lange Mann sah sich rasch im Zimmer um, dann stieß er mit einem Ruck den Kopf vor. »Im ›Haus im Schatten‹ ist etwas los, Sir«, tuschelte er und war nun wahrhaftig aufgeregt.

Auch Donald Ramsay bekam etwas davon ab. »Was gibt's?« forschte er hastig.

Brook wurde noch leiser. »Der Chef soll in der Nacht einen Unfall gehabt haben. Man macht daraus ein großes Geheimnis, aber ich habe es erfahren, weil ich gerade dort war, als sein Arzt anrief.« Seine Stimme wurde zu einem Hauch. »Er soll angeschossen worden sein . . .«

Ramsay stand wie versteinert, und es dauerte eine Weile, bevor er eine weitere Frage hervorbrachte. »Wie? – Wo?«

»Näheres weiß ich nicht. Unsereiner darf doch nicht die Nase in solche Dinge stecken. Und ich möchte Sie auch bitten, Sir . . .«

Der junge Gentleman glitt haltlos in einen Sessel und starrte mit reglosem Gesicht vor sich hin. »Mein lieber Brook«, lispelte er endlich, »das ist zuviel für mich. Das muß ich erst gründlich verdauen. Wir wollen daher von etwas anderem sprechen.«

Der gefällige Brook sprach also von etwas anderem.

»Die Sache mit dem Zettel, den wir bei Simonow gefunden haben, habe ich heute nacht ausprobiert«, berichtete er. »Als sich der Klub der Globetrotter meldete, verlangte ich zunächst einmal den ›Roten Salon‹, es wurde aber sofort ausgeschaltet. Und ebenso erging es mir mit den anderen Farben und Zimmern, mit denen ich dann sprechen wollte. Es dürfte also schon stimmen, daß das die Losungsworte sind, aber der Teufel mag erraten, welches gerade gilt. Ja, und dann habe ich mir, wie Sie es wünschten, den Klub von außen etwas genauer besehen, es ist aber auch dabei nicht viel herausgekommen. Ich bin zwei Stunden ununterbrochen rund herum gelaufen, ohne etwas Auffälliges zu bemerken.«

»Schön«, sagte Ramsay, »dann wollen wir es also noch einmal versuchen. Schon heute, denn die Sache eilt. Ich habe bis gegen Mitternacht Zeit. Erwarten Sie mich um halb zehn drüben in Chelsea beim Cadogan Pier und bringen Sie Peter Owen mit. Er ist ein tüchtiger Bursche und hat mir gute Dienste geleistet.«

Brook heftete den Blick auf die verunstaltete Stirn des Gentleman und sagte: »Sehr wohl, Sir.« Und dann erinnerte er sich, daß er noch etwas zu berichten hatte. »Ich habe auch den Mann ausgefragt, der gestern nachmittag hinter dem Verfolger der Dame hergefahren ist. Er sagte, der erste habe knapp vor Richmond den Wagen plötzlich aus den Augen verloren und sei dann mit seinem Motorrad kreuz und quer gerattert. Unser Mann blieb natürlich hinter ihm, und dabei will er wirklich einen Herrn mit einem Spitzkopf gesehen haben. Er stand auf einem dunklen Seitenweg neben einem Auto . . .«

Ramsay starrte Brook sekundenlang an, dann sprang er ganz unvermittelt auf etwas anderes über. »Fahren Sie sofort nach Notting Hill, und sorgen Sie dafür, daß mein Wagen ohne zudringliche Gaffer in den Garten gelangen kann. Wie lange ich dort bleiben werde, weiß ich noch nicht. Den Rückweg nehme ich jedenfalls durch die Garage.«

Damit war Brook entlassen, und wenige Minuten später saß Mrs. Machennan dem Gentleman gegenüber.

Donald Ramsay entnahm dem Schreibtisch eine Mappe und legte sie vor sich. Er war ungewöhnlich ernst, und seine Mienen sagten noch weit mehr als seine Worte. »Also, liebe Mrs. Machennan, Sie wissen ja, um was es sich handelt. Wenn wir vielleicht auch nicht das bekommen, was wir haben wollen, werden Sie doch einiges sehen. Die Leute, die bereits auf der Liste stehen, sind unterrichtet, und eine Erkundigung hat daher weiter nichts zu bedeuten. Aber trotzdem ist die Sache nicht ohne Gefahr . . .«

Mrs. Machennan hob die braunen Augen, die noch sanfter strahlten als sonst. »Sie dürfen ganz unbesorgt sein, Mr. Ramsay«, flüsterte sie. »Ich werde die Angelegenheit gewiß zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erledigen. Ich bin zwar nur eine einfache Frau, habe aber einige Erfahrungen.« Sie stockte einen Augenblick, und dann fügte sie mit einem verschämten Lächeln hinzu: »Ich werde meinen neuen Pelz anziehen und den neuen Hut nehmen. Man sagt mir, daß ich darin ziemlich gut aussehe.«

»Sie sehen nicht ziemlich gut, sondern reizend aus, liebe Mrs. Machennan«, erklärte Ramsay mit ehrlicher Wärme, und die sanfte Schottin wäre in diesem Augenblick für ihn schnurstracks in die Hölle gegangen, wenn es hätte sein müssen.


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