Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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43

Lady Falconer schreckte auf das leise Klopfen zusammen, und den eintretenden Butler empfing ein unwilliger Blick. Der Mann beeilte sich, seine Meldung vorzubringen, denn Madam war in der letzten Zeit sehr launenhaft und gereizt.

»Eine Dame, Mylady. Sie sieht sehr gut aus und kommt mit einer Empfehlung.«

Er präsentierte die Karte und den Brief, aber Lady Falconer deutete auf das Tischchen vor sich, das mit Zeitschriften, Zigarettenschachteln und allerlei Kleinigkeiten bedeckt war, die man bei der Hand haben will.

»Wohl irgendeine Bettelei?« fragte sie, indem sie rasch noch einen Zug aus der Zigarette tat und diese dann zerdrückte.

»Es scheint so, Mylady. Die Dame hat eine Mappe bei sich.«

»Erkundigen Sie sich. Wenn es so ist, so bestellen Sie ihr, daß ich heute nicht empfange, und zeichnen Sie . . .«

In diesem Augenblick begannen die Zwerge der altertümlichen Bronzeuhr auf dem Kamin emsig zu hämmern, und Lady Falconer brach ab und löste mit spielerischer Lässigkeit das Siegel von dem Briefumschlag.

»Warten Sie«, sagte sie, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf die wenigen Zeilen geworfen hatte. »Ich werde es mir noch überlegen. Die Dame hat wirklich eine besondere Empfehlung. Sobald ich mich entschieden habe, werde ich klingeln.«

Der Butler zog sich zurück, und Lady Helen wurde mit einem Mal sehr lebendig. Sie sprang auf, hob den Glassturz von der Uhr und drückte auf einen der winzigen Ambosse. Die Zwerge setzten mit ihrem Gebimmel aus, und das Gehäuse öffnete sich wie ein Schrein. Lady Falconer legte eine Muschel, nicht größer als ein Shillingstück, ans Ohr, hauchte zwei kurze Worte und lauschte dann.

Aus dem Gehäuse drang nicht der leiseste Laut, aber die Mienen der Frau verrieten immer mehr Spannung und Erregung.

»Wohin ist sie gegangen?« flüsterte sie plötzlich bestürzt zurück, und als ihr die überraschende Mitteilung wiederholt wurde, kam über ihre verkrampften Lippen ein scharfes Zischen. Aber sie hörte den Bericht ohne Einwurf zu Ende, und erst dann begann sie mit fliegendem Atem wieder zu sprechen. »Ja, machen Sie das so. Der Wagen wird in spätestens einer halben Stunde dort sein. Vielleicht kommt er noch zurecht. Versuchen Sie möglichst viel aus ihr herauszubekommen. Stellen Sie es aber geschickt an, denn Sie haben ja schon erfahren, daß mit diesen Leuten kein leichtes Spiel ist. Sie werden dann das Weitere hören.«

Lady Falconer drückte neuerlich auf den Amboß, dann nach Sekunden noch ein zweites Mal, und während sie wartete, klopfte sie mit der Fußspitze in heftiger Ungeduld auf den dicken Teppich. Ihr Gesicht war fahl und hatte seine gewöhnliche spöttische Überlegenheit völlig eingebüßt. Endlich flüsterte sie kurz, scharf und abgehackt wieder einige Worte in das Gehäuse, dann schloß sie es sorgsam, stürzte das Glas darüber und begann in dem großen Raum, der von der hohen Stehlampe nur matt erleuchtet war, wie gehetzt auf und ab zu laufen. Sie hatte ganz vergessen, daß eine sehr gutaussehende Dame mit sehr guten Empfehlungen auf ihren Bescheid wartete.

Aber plötzlich ließ sie sich wieder in den Lehnstuhl vor dem Kamin gleiten, lockte Achmed, den siamesischen Kater, der schnurrend um sie herum gestrichen war, und bettete ihn an ihrer linken Seite auf ein molliges Polster. Dann streckte sie die Rechte nach dem Klingelknopf aus, und als der Butler in der Tür erschien, sagte sie mit einem leichten, resignierten Seufzer:

»Ich werde die Dame doch empfangen müssen. Lady Williams könnte es mir übel nehmen, wenn ich ihren Schützling so kurz abfertigte. Also, ich lasse bitten . . .«

Mrs. Machennan, die in ihrer schüchternen Verwirrung eine falsche Besuchskarte abgegeben und gewartet hatte, bis sie endlich vorgelassen wurde, war wieder einmal rührend verlegen.

»Oh, Mylady sind zu liebenswürdig«, stammelte sie mit niedergeschlagenen Augen. »Es ist mir schrecklich peinlich, zu so ungelegener Stunde gekommen zu sein. Und ich hätte überhaupt nicht gewagt, Mylady zu belästigen, wenn man mir nicht gesagt hätte, daß Mylady in Ihrer Herzensgüte dem wohltätigen Werk gewiß Ihre Unterstützung angedeihen lassen werden . . .«

Und dann legte die Besucherin, den Zweck dieses wohltätigen Werkes sehr eingehend dar. Sie verlor dabei allmählich ihre Schüchternheit, und ihre angenehme Stimme plätscherte in wohlgesetzter Rede ungehemmt dahin. Sogar die sanften Augen hob sie von Zeit zu Zeit, und es lag ein Ausdruck darin, der selbst das härteste Herz erweichen mußte.

Lady Falconer hatte die Gewohnheit, mit größtem Interesse zuzuhören und die eifervolle Fürsprecherin mit einem sehr wohlwollenden Lächeln zu betrachten. Aber endlich wußte Mrs. Machennan über die Sache gar nichts mehr zu sagen und legte die Mappe von ihrem Schoß auf das Tischchen.

»Hier finden Mylady die Persönlichkeiten, die bereits gezeichnet haben«, sagte sie, indem sie den ersten der pergamentartigen Bogen aufschlug. »Wenn Mylady sich vielleicht erkundigen wollten . . .«

Lady Helen lächelte noch liebenswürdiger und hob abwehrend die Hand. Dann ging ihr Blick rasch über das Tischchen, und sie nahm einen Bleistift auf.

»Vielleicht auf dem zweiten Blatt, wenn ich bitten darf, Mylady«, schlug Mrs. Machennan höflich vor. »Das erste ist ja fast schon voll, und es wird dem guten Zwecke gewiß dienlich sein, wenn Mylady auf dem zweiten den Anfang machen.«

Lady Falconer lächelte weiter und traf Anstalten, sich zurecht zu setzen. Aber plötzlich zögerte sie und blickte unschlüssig auf den Kater an ihrer Seite. »Darf man stören?« fragte sie launig; Achmed rührte sich jedoch nicht, sondern ließ bloß ein unwilliges Schnurren hören.

»Also ›Nein‹«, lachte die Lady und gab dann der Besucherin die Erklärung: »Es ist seine Ruhestunde, und da ist er nicht aus meinem Arm zu bringen. Für ist sehr verwöhnt und ein Tyrann. Wenn ihm etwas nicht paßt, kann er recht ungemütlich werden. Sie werden mir also wohl etwas behilflich sein müssen . . .«, fügte sie bittend hinzu, indem sie auf die Bogen wies.

»Oh, selbstverständlich, Mylady«, erklärte Mrs. Machennan mit großem Eifer, ergriff die Mappe und hielt sie Lady Falconer so geschickt hin, daß diese nur leicht die Hand aufzulegen brauchte, um eine Zahl und ihren Namenszug darauf zu setzen.

»Mylady sind wirklich sehr großzügig«, hauchte Mrs. Machennan, indem sie mit flinken Fingern ihre Sachen zusammenraffte.

»Ich wünsche Ihrem guten Werk den besten Erfolg«, sagte Lady Falconer freundlich, und die Besucherin verabschiedete sich mit einem tiefen, zierlichen Knicks.

»Ich danke Ihnen, Mylady. Da Sie die Güte hatten, die Sache so wohlwollend zu fördern, wird sich der Erfolg gewiß einstellen.«


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