Louis Weinert-Wilton
Die chinesische Nelke
Louis Weinert-Wilton

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54

»Wie die Dinge sich abspielen werden, läßt sich natürlich nicht voraussehen«, sagte etwa um die gleiche Zeit Oberst Wilkins zu seinem Sergeanten Anthony, »aber wenn die Zusammenkunft heute wirklich wieder stattfindet und Sie sich genau an meine Befehle halten, kann es keinen Fehlschlag geben. Auf keinen Fall dürfen Sie, was immer auch geschehen mag, etwas unternehmen, bevor ich Sie durch mein Alarmsignal verständige. Nehmen Sie bloß noch zwei Leute mit. Dann sind wir vier, und das genügt vollkommen. Übrigens werde ich wieder eine halbe Stunde vorher an Ort und Stelle sein und Ihnen weitere Weisungen geben, falls dies notwendig sein sollte.«

»Zu Befehl, Sir«, erwiderte der Sergeant und machte sich eilig auf den Weg nach Rotherhithe, um sich dort zwischen den Hafenbecken ein bißchen genauer umzusehen. Es war eine recht dreckige Gegend, in der man sich bei Nacht leicht verlaufen konnte, und darauf wollte er es nicht ankommen lassen. Es schien sich ja diesmal um eine besonders wichtige Sache zu handeln, denn sein Vorgesetzter verriet eine Nervosität, wie er sie bisher an ihm noch nie beobachtet hatte.

Fast Seite an Seite mit dem eifrigen Sergeanten fuhr auch Mr. Brook nach dem Osten. Er hatte sein gelangweiltestes Gesicht aufgesteckt, aber in seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Nun, da ihm die hundert Pfund bereits so gut wie sicher waren und Mrs. Machennan ihm eine so freundliche Gesinnung verraten hatte, konnte er ganz ernsthaft eine Berechnung anstellen, wieviel zweitausendachthundert und dreitausendzweihundert Pfund, wenn man sie zusammen legte, zu sechseinhalb Prozent an Zinsen ergaben. Und nachdem er das Resultat gefunden und überprüft hatte, kam er zu dem Entschluß, sich bereits für nächsten Sonntag bei der gastfreundlichen Schottin zum Mittagessen anzusagen.

Auch Oberst Wilkins erwog und berechnete in dieser Stunde nochmals verschiedene Dinge Es war unbedingt höchste Zeit, daß der Kahlkopf unschädlich gemacht wurde, denn je länger dieses Spiel dauerte, desto gefährlicher konnte es werden. Deshalb hatte er sich, als er in der verflossenen Nacht von der neuen Gelegenheit erfuhr, dafür entschieden, den großen Schlag nicht länger aufzuschieben; und um in diesem Vorhaben nicht mehr wankend zu werden, hatte er sogar den ungeduldigen Admiral Sheridan davon verständigt.

Nun würde es also geschehen, und er mußte sich über die Möglichkeiten, die sich ihm für seine Zwecke boten, bis ins kleinste klar werden. Es waren ihrer nicht allzu viele, und jede Möglichkeit erforderte ein rasches, entschlossenes Handeln. So oder so würde er den Mann, den er brauchte, schon in die Hände bekommen. Aber, wie würde es mit dem andern werden, der den Wagen lenkte? Wenn er den nicht mitfaßte, blieb eine Frage offen, auf die er eine Antwort finden mußte . . .

Mitten in diesen wichtigen und aufregenden Gedanken wurde der Oberst von Lady Falconer mit einer telefonischen Einladung zum Lunch überrascht. Lady Helen war sehr liebenswürdig, und Wilkins tat sehr beglückt, wenn ihm auch diese verheißungsvolle Artigkeit gerade heute gar nicht gelegen kam. Er war zu sehr von der einen Sache in Anspruch genommen, um gleichzeitig auch die andere entsprechend betreiben zu können.

Er fand Lady Falconer in sehr empfindsamer Stimmung.

»Sie vernachlässigen mich«, empfing sie ihn vorwurfsvoll. »Seit zwei Tagen habe ich nichts vor Ihnen gehört, und wenn ich mich nicht selbst gemeldet hätte, wäre es Ihnen wohl nicht eingefallen, nach mir zu sehen?«

»Ich habe gewartet«, entschuldigte sich Wilkins mit einem heißen Blick.

»Gewartet? Worauf?« Sie hatte die Augen niedergeschlagen, und in ihrer Frage lag diesmal nichts von dem Spott, mit dem sie sonst derartigen Anspielungen begegnete.

Der Oberst wagte plötzlich zu hoffen, daß er vielleicht eine besonders günstige Stunde getroffen habe. Er wäre jetzt nicht in der Verfassung gewesen, sich mit dem koketten Spiel der gewandten Frau abzugeben, aber sie schien ihm heute so ganz anders, als er sie bisher gesehen hatte. Selbst auf die Gefahr hin, durch ihre unberechenbaren Launen eine neuerliche Enttäuschung zu erleben, mußte er jedenfalls einen Versuch wagen. Gelang er, dann konnte ihm dieser Tag mit einem Schlag alles bringen, was er erreichen wollte.

»Daß Sie mich rufen werden, Helen«, erwiderte er. »Sie hatten es mir ja versprochen. Und Sie wissen auch sehr gut, welche Hoffnungen ich daran geknüpft hatte . . .«

»Vielleicht . . .«, sagte sie nach einer kleinen Pause. »Jedenfalls habe ich mein Versprechen gehalten.« Sie neigte sich zu Wilkins und legte ihre Hand, über die ein kostbarer Spitzenbesatz fiel, leicht auf die seine. »Ich fühle mich schrecklich einsam, lieber Freund, und diese trostlosen englischen Winter gehen mir auf die Nerven. Ich liebäugle immer heftiger mit dem Gedanken, für einige Monate auf und davon zu gehen . . .«

Wilkins erschrak ehrlich. »Das dürfen Sie mir nicht antun«, stieß er bestürzt hervor. »Ich – Sie wissen doch . . . Oder machen Sie es möglich, daß ich mit Ihnen gehen kann«, drängte er leidenschaftlich. »Einmal müssen Sie mir nun doch endlich klaren Bescheid geben. Sagen Sie wenigstens ein kurzes ›Nein‹, wenn ich nichts zu erwarten habe. Es wird mich allerdings furchtbar treffen . . .«

Schon der Gedanke an diese Möglichkeit brachte den Oberst so außer Fassung, daß sein dunkles Gesicht alle Farbe verlor, und in dem Blick, den er auf die schweigende Frau gerichtet hielt, lag fast Verzweiflung.

»Gut«, sagte Lady Falconer plötzlich, »ich will Ihnen also eine klare Antwort geben. Wir sind gesetzte Leute, und es ziemt uns, solche Dinge mit dem nötigen Ernst zu behandeln. Wenn ich mich nicht irre, soll ja das, was Sie mir schon so lange sagen wollen, ein richtiger Heiratsantrag werden?«

»Ja.« Wilkins war so erregt, daß er kaum zu sprechen vermochte. »Ich weiß zwar, Helen, daß ich Ihnen damit schwere Opfer zumute, die ich durch nichts aufzuwiegen vermag, aber . . .«

Lady Helen löste die Hand aus der seinen und schüttelte den Kopf. »Das spielt alles keine Rolle«, unterbrach sie ihn. »Auf die Dinge, die ich aufgeben müßte, lege ich keinen Wert. Aber wenn ich mich noch einmal binde, möchte ich es besser treffen als die beiden ersten Male. Es müßte diesmal ein Mann sein, dem ich wirklich etwas bin, der sich mir widmet und mir in allem eine Stütze ist. Sie sehen, ich werde alt und sentimental«, schloß sie mit einem leichten Seufzer.

»Helen . . .!« Es klang alles mögliche aus diesem einen Wort: lebhafter Widerspruch, überschwengliche Beteuerung und unsägliche Befreiung, aber als Wilkins die gewährende Frau an sich zog, geschah es doch nicht mit jenem Ungestüm, das er vor zwei Tagen entwickelt hatte. Er benahm sich sogar so auffallend steif und unsicher, daß Lady Falconer plötzlich belustigt auflachte.

»Ich glaube, du befürchtest, daß wieder Achmed auftauchen und uns stören könnte. Aber ich habe ihn heute verbannt. Einmal, weil ich ahnte, was kommen würde«, gestand sie mit einem verschämten Augenaufschlag, »und dann hat er sich auch sehr garstig zu mir benommen . . .«

Der Butler machte den Vertraulichkeiten ein Ende, und beim Lunch ging es sehr fröhlich und ziemlich schweigsam zu.

»Ich bin vor Glück völlig außer mir, Helen«, tuschelte Wilkins, als sie endlich einen Augenblick allein waren, und sein ganzes Gehaben bestätigte es. Er war zerfahren, zeigte in all seinen Bewegungen eine unbeholfene Eckigkeit und handhabte sogar das Besteck ungeschickt.

Lady Falconer entging das nicht, und sie fand seine Erklärung hierfür nicht ausreichend. »Du bist heute so sonderbar«, sagte sie, als der Kaffee serviert war und die Dienerschaft sich zurückgezogen hatte. »Und du siehst gar nicht aus wie ein Mann, der endlich das erreicht hat, was er sich wünschte. Hattest du Unannehmlichkeiten, oder quälen dich Sorgen? Eigentlich habe ich ja nun ein Recht, davon zu erfahren.«

Wilkins verneinte mit übertriebener Lebhaftigkeit. »Es ist nur der Rückschlag, Helen«, versicherte er. »Du hast es mir ja nicht leichtgemacht. Und ich werde die Befürchtung nicht los, daß alles nur ein Traum sein könnte . . .«

Er zog sie wieder mit großer Behutsamkeit an sich, und zwischen seinen Küssen stellte Lady Falconer eine Frage.

»Wird es dir nicht doch zu schwer werden, deine Karriere aufzugeben? Denn dieses Opfer verlange ich wirklich von dir. Wenn du unlängst nicht davon gesprochen hättest, wäre meine Entscheidung ganz anders ausgefallen. Ich mag mit niemandem teilen, auch mit deinem Beruf nicht.«

»Wie du wünschst«, erklärte Wilkins eifrig, wurde aber dann plötzlich verlegen und suchte nach Worten. »Allerdings – da ich leider kein Vermögen besitze und . . .«

»Oh, wir werden uns eben einschränken«, kam ihm Lady Helen zu Hilfe und lächelte so schelmisch, daß der Oberst sich mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit über ihre Hand stürzte.

»Danke, Helen«, stammelte er. »Nun erst kann ich meines Glückes wirklich froh werden. Es war ein sehr bedrückendes Bewußtsein, dir so gar nichts bieten zu können.« Er atmete erleichtert auf, und in seiner gehobenen Stimmung fühlte er sich zu einer Mitteilung gedrängt. »Es trifft sich sehr gut, daß ich mir eben jetzt einen besonders ehrenvollen Abgang schaffen kann«, vertraute er ihr an. »Ich bin nämlich einer Affäre auf die Spur gekommen, deren Aufdeckung man mir gewiß sehr zugute halten wird.«

Lady Falconer zeigte für diesen Ehrgeiz wenig Verständnis. »Oh, da werde ich also von dir wohl schon in den ersten Tagen zu hören bekommen, daß du keine Zeit für mich hast?« fragte sie enttäuscht. »Ist denn die Sache gar so wichtig? Kannst du sie nicht jemandem sonst übertragen?«

Wilkins schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie wird uns nicht stören, Liebste. Nur für heute mußt du mich noch beurlauben. Heute nacht erledige ich alles, und von morgen an stehe ich dir ganz zur Verfügung.«

»Heute nacht . . .«, wiederholte Helen halblaut und schauerte leicht zusammen. »Schrecklich. Und ich kann zusehen, wie ich den langen Abend allein verbringe . . .«

»Morgen mittag bin ich wieder bei dir«, tröstete sie Wilkins, aber die verwöhnte Frau hatte dafür bloß ein sehr vorwurfsvolles Schmollen. »Morgen mittag . . . Wie du das so leichthin sagen kannst. Das ist ja eine endlose Ewigkeit . . .«


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